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»Mensch!« Das Wort quoll aus seinem Mund wie ein Fluch. »Du hast eine einzige Chance, mit dem Leben davonzukommen. Sag mir, wo der Rest eurer Truppe ist!«

»Ich bin nicht …« Rhonin hustete. Der Schmerz, den der gebrochene Finger verursachte, wogte in ihm. »Ich bin – allein.«

»Denkst du, ich bin ein Narr?«, grunzte der Anführer. »Du hältst Nekros für einen Narren? Wie viele Finger hast du noch, eh?« Er zog an dem Finger neben dem bereits gebrochenen. »Und es gibt noch viele andere Knochen in deinem Körper. Viele Knochen, um sie zu zerbrechen!«

Rhonin dachte so schnell nach wie der Schmerz es ihm erlaubte. Er hatte denen, in deren Gewalt er geraten war, schon mehrfach erklärt, allein unterwegs gewesen zu sein, doch das hatte die Orks nicht zufrieden gestellt. Was wollte dieser Nekros hören? Dass eine Armee in seinen Berg einmarschierte? Hätte ihm das besser gefallen?

Rhonin musste sich etwas einfallen lassen und wenigstens so lange am Leben bleiben, bis er eine Möglichkeit zur Flucht gefunden hatte …

Noch immer wusste er nicht, was eigentlich passiert war – nur dass Deathwing ihn trotz aller Vorsicht überlistet hatte. Augenscheinlich hatte der Drache es darauf angelegt, dass Rhonin entdeckt wurde. Aber warum? Es machte genauso viel – oder wenig – Sinn wie Nekros' augenscheinlicher Wunsch, feindliche Soldaten durch seine Festung spazieren zu sehen!

Nun, über Deathwings dunkle Pläne konnte er sich auch später noch den Kopf zerbrechen. Zunächst aber ging es ums nackte Überleben.

»Nein! Nein … bitte … die anderen … Ich bin nicht sicher wo sie sind … wurden getrennt …«

»Getrennt? Glaube ich nicht! Du kamst wegen ihr, nicht wahr? Wegen der Drachenkönigin! Das ist deine Aufgabe, Zauberer! Ich weiß es!« Nekros kam ihm ganz nah; sein widerlicher Atem raubte Rhonin fast wieder das Bewusstsein. »Meine Spione haben es gehört! Du hast es gehört, nicht wahr, Kryll?«

»Oh ja, oh ja, Meister Nekros! Ich habe alles gehört!«

Rhonin versuchte, an dem Ork vorbeizublicken, aber Nekros ließ ihn nicht sehen, wer da sprach. Dennoch sagte die Stimme einiges über die Identität des Sprechers aus; dieser Kryll musste der Goblin sein, den Rhonin vorhin schon einmal gehört hatte.

»Ich sage dir noch einmal auf den Kopf zu, Mensch, du bist wegen der Drachenkönigin hier – ist es nicht so?«

»Wir wurden getre …«

Nekros schlug ihm quer über das Gesicht und hinterließ eine blutige Spur an Rhonins Mund. »Gleich ist noch ein Finger dran! Du kamst, den Drachen zu befreien, bevor eure Armeen Grim Batol erreichen! Du hast dir gedacht, du machst dir das Chaos hier zunutze, was?«

Diesmal lernte Rhonin schnell. »Ja … ja. Das wollten wir.«

»Du hast ‚wir‘ gesagt! Zum zweiten Mal jetzt!« Der Führer der Orks lehnte sich triumphierend zurück. Nun erst bemerkte der verletzte Zauberer Nekros' verstümmeltes Bein. Nun verwunderte es ihn nicht mehr, dass dieser brutale Ork ein Drachenzuchtprogramm leitete, anstatt einen wilden Krieger-Trupp zu anzuführen.

»Seht Ihr, großer Nekros? Grim Batol ist nicht länger sicher, mein glorreicher Kommandeur!«, fiel die schrille Stimme des Goblins ein. »Wer weiß, wie viele Feinde noch in den zahllosen Tunnels lauern? Wer weiß, wie lange es noch dauert, bevor die Armeen des Bündnisses hier aufmarschieren, angeführt von dem Einen Dunklen Herrscher? Eine Schande, dass fast alle anderen Drachen schon in Dun Algaz sind! Du kannst den Berg unmöglich mit unseren eigenen wenigen Bestien verteidigen! Besser, der Feind findet uns hier gar nicht erst, als so viele kostbare …«

»Sag mir etwas, das ich noch nicht weiß, du armseliges Wrack!« Er stach einen fleischigen Finger in Rhonins Brust. »Nun, der hier und seine Kumpane kommen jedenfalls zu spät! Du wirst weder die Drachenkönigin noch ihre Jungen bekommen, Mensch! Nekros hat vorausschauend gehandelt!«

»Ich …« Noch ein Schlag. Das einzig Gute daran war, dass der Schmerz im Gesicht Rhonin kurzzeitig von dem Schmerz in seinem gebrochenen Finger ablenkte. »Ihr könnt Grim Batol haben, wenn ihr es unbedingt wollt! Möge der ganze Berg über euch zusammenbrechen!«

»Nekros – du musst diesen Irrsinn beenden!«

Rhonin schaute auf. Er kannte diese Stimme, auch wenn er sie erst einmal gehört hatte.

Seine Wächter reagierten ebenfalls. Sie drehten sich gerade weit genug von ihm weg, um Rhonin einen Blick auf die riesenhafte schuppige Gestalt zu erlauben, die dort so furchtbar in Ketten und Klammem gezwungen war. Alexstrasza, die Drachenkönigin, konnte sich kaum bewegen. Ihre Glieder, der Schwanz, Flügel und Kehle waren gründlich festgezurrt. Sie konnte zwar augenscheinlich ihren riesigen Rachen öffnen, doch nur soweit, dass sie essen oder mit Mühe zu sprechen vermochte.

Die Gefangenschaft hatte ihr nicht gut getan. Rhonin hatte schon einige Drachen gesehen, besonders scharlachrote, und deren Schuppen besaßen einen gewissen metallischen Glanz. Die von Alexstrasza hingegen waren stumpf geworden, verblasst und an einigen Stellen schienen sie sogar lose zu sein. Sie sah überhaupt nicht gesund aus, soweit er die Körpersprache des Reptils zu deuten vermochte. Die Augen wirkten irgendwie verwaschen, ganz zu schweigen von der unglaublichen Erschöpfung, die sich darin spiegelte.

Er konnte sich kaum vorstellen, was sie durchgemacht hatte. Gezwungen, eine Brut zu gebären, die dann von ihren Wächtern für deren mörderische Zwecke trainiert wurde. Wahrscheinlich sah sie ihre Jungen nie wieder, nachdem ihr die Eier einmal genommen worden waren. Vielleicht bedauerte sie sogar den Verlust an Leben, der von ihren Kindern verursacht wurde …

»Du hast keine Erlaubnis zu sprechen, Reptil!«, schnappte Nekros. Er fasste in einen Beutel, der an seiner Hüfte hing, und drückte auf etwas.

Rhonins Haut prickelte, als ihn eine magische Kraft von erstaunlicher Stärke streifte. Er wusste nicht, was der Ork tat, doch es bewirkte, dass die Drachenkönigin in solchem Schmerz aufbrüllte, dass es jeden außer Nekros berührte.

Doch trotz ihrer Qual fuhr Alexstrasza fort: »Du – du verschwendest Energie und Zeit, Nekros! Du kämpfst für etwas, das – das schon verloren – ist!«

Mit einem Stöhnen schloss sie endlich ihre Augen. Ihre Atmung, die einen Moment zuvor noch so schnell gewesen war, wurde kurz flach und stabilisierte sich dann langsam.

»Nur Zuluhed gebietet mir, Reptil!«, knurrte der einbeinige Ork. »Und er ist weit weg.« Seine Hand fuhr wieder aus dem Beutel. Gleichzeitig schwand die magische Kraft, die Rhonin gespürt hatte.

Der Zauberer hatte schon viele Gerüchte darüber gehört, wie die Horde überhaupt solch großartige Wesen unter ihre Kontrolle bringen konnte, aber nichts kam dem gleich, was er gerade selbst miterlebt hatte. Es war klar, dass sich in dem Beutel ein Gegenstand von großer magischer Kraft verbarg. Begriff Nekros überhaupt, über was für eine Macht er da gebot? Mit etwas derartigem zur Verfügung, hätte er die Horde selbst anführen können!

»Wir müssen die anderen in unsere Gewalt bringen«, sagte der ältere Ork, an einen seiner Krieger gewandt, die am Eingang standen. »Wo hast du die Leiche der Wache gefunden?«

»Fünfte Ebene, dritter Tunnel.«

Nekros' Augenbrauen wuchsen zusammen. »Über uns?« Er betrachtete Rhonin wie ein erstklassiges Stück Fleisch.

»Zauberwerk! Fangt in der fünften Ebene an und arbeitet euch nach oben, dann …« Er stockte kurz. »Lasst keinen Tunnel aus! Irgendwie sind sie von oben gekommen!« Ein Grinsen breitete sich langsam über seine fremdartigen Züge mit den hässlichen Stosszähnen aus.

»Vielleicht doch keine Magie! Torgus sah die Greifen! Das ist es! Der Rest von ihnen kam, nachdem Deathwing Torgus vertrieben hatte!«

»Deathwing … Deathwing dient niemandem – außer sich selbst!«, stieß Alexstrasza plötzlich hervor, und ihre Augen öffneten sich weit. Sie klang fast angsterfüllt, und Rhonin konnte das gut verstehen. Wer hatte keine Furcht vor dem schwarzen Dämon?