Das weiß ich. Es war nicht geplant.
Nicht geplant? Vereesa fühlte unerklärlichen Zorn in sich aufsteigen. Nicht geplant!
Seine Aufgabe war es zu beobachten. Nicht mehr.
Das glaubte die Elfe schon lange nicht mehr. »Von wo aus beobachten? Aus den Verliesen Grim Batols? Oder sollte er sich mit den Hügelzwergen treffen, aus Gründen, die Ihr nicht genannt habt?«
Noch eine Pause, dann: Die Situation ist sehr viel komplizierter, junge Elfe, und sie wird von Moment zu Moment noch schwieriger. Eure Anwesenheit war zum Beispiel auch nicht Teil des Planes. Ihr hättet am Hafen umkehren sollen.
»Ich habe einen Eid geschworen. Und ich war mir sicher, dass er über die Grenzen Lordaerons hinaus gilt.«
Neben ihr stand Rom mit verwirrtem Gesichtsausdruck. Ohne die Möglichkeit, selbst mit dem Zauberer zu sprechen, konnte er nur raten, was Krasus zu sagen hatte und worauf Vereesas Antworten sich bezogen.
Rhonin hat … Glück, antwortete Krasus endlich.
»Wenn er noch lebt«, schnappte sie.
Wieder zögerte der Zauberer mit seiner Antwort. Warum verhielt er sich so? Es war ihm doch bestimmt gleichgültig, was mit Rhonin geschah. Vereesa wusste genug über die Wege der Zauberer, elfisch oder menschlich, um zu verstehen, dass sie einander bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausnutzten. Es überraschte sie nur, dass Rhonin, der eigentlich schlauer auf sie gewirkt hatte, auf diesen Krasus hereingefallen war.
Ja … falls er noch lebt …Neuerliches Zögern …. liegt es an uns herauszufinden, was wir tun können, um ihn zu befreien.
Seine Antwort brachte sie völlig aus dem Konzept. Das war das Letzte, was sie erwartet hatte.
Vereesa Windrunner, hört mich an. Ich habe in einigen Angelegenheiten falsch geurteilt – dies gibt Anlass zu großer Sorge – und Rhonin Schicksal beruht auf einer dieser Fehlentscheidungen. Ihr habt vor, ihn zu finden, nicht wahr?
»So ist es.«
Sogar in der Bergfeste der Orks? Einem Ort voller Drachen?
»Ja.«
Rhonin hat Glück, Euch zur Freundin zu haben … und ich hoffe, ebensolches Glück zu haben. Ich werde tun, was ich kann, um Euch bei Eurem bewundernswerten Vorhaben zu helfen, obgleich Ihr es natürlich allein sein werdet, die in reale Gefahr gerät.
»Natürlich«, gab die Elfe sarkastisch zurück.
Bitte gebt den Talisman an Rom zurück. Ich werde noch einmal mit ihm sprechen.
Sie reichte das Zaubergerät liebend gerne an den Zwerg weiter. Rom nahm es und starrte in das Juwel hinein. Manchmal nickte er, obwohl es offensichtlich schien, dass er nicht mit dem einverstanden war, was Krasus sagte.
Schließlich sah er Vereesa an. »Wenn Ihr wirklich meint, es sei notwendig …«
Sie begriff, dass diese Worte für den Zauberer bestimmt waren. Einen Moment später verschwand das Leuchten aus dem Juwel. Rom, der überhaupt nicht glücklich aussah, gab der Elfe erneut den Talisman.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Er will, dass Ihr es bei Eurem Vorhaben tragt. Hier! Er wird es Euch selbst sagen!«
Vereesa ergriff es erneut. Sofort erfüllte Krasus' Stimme ihren Kopf. Rom hat euch gesagt, dass ich wünsche, dass Ihr es tragt?
»Ja, aber das will ich nicht …«
Wollt Ihr Rhonin finden? Wollt Ihr ihn retten?
»Ja, aber …«
Ich bin Eure einzige Hoffnung.
Sie wollte widersprechen, doch in Wahrheit wusste sie, dass sie Hilfe benötigte. Die Chancen standen mehr als schlecht, mit ihr und Falstad ganz auf sich allein gestellt.
»Nun gut. Was erwartet Ihr?«
Hängt den Talisman um Euren Hals, und kehrt mit Rom zu den anderen zurück. Ich werde Euch und Euren Zwergenfreund in den Berg führen … und zu dem Ort, wo Ihr Rhonin wahrscheinlich finden könnt.
Er bot ihr nicht alles an, was sie brauchte, aber genug, um ihre Zustimmung zu erreichen. Sie zog sich die Kette über den Kopf und bettete das Medaillon auf ihre Brust.
Ihr werdet mich hören können, wann immer ich es wünsche, Vereesa Windrunner.
Rom ging an ihr vorbei, er trat bereits den Rückweg an. »Kommt! Wir verschwenden Zeit, Lady Vereesa!«
Als sie ihm folgte, fuhr Krasus fort, zu ihr zu sprechen. Erwähnt nirgends, wozu dieses Medaillon fähig ist. Sprecht nicht vor anderen zu mir, außer wenn ich es erlaube. Zurzeit kennen nur Rom und Gimmel meine Rolle.
»Und die wäre?«, konnte sie sich nicht verkneifen zu murmeln.
Zu versuchen, uns allen die Zukunft zu erhalten.
Die Elfe grübelte über diese Worte nach, sagte aber nichts. Sie vertraute dem Zauberer noch nicht, hatte aber keine andere Wahl.
Vielleicht wusste Krasus dies, denn er fügte hinzu: Hört mich jetzt, Vereesa Windrunner. Ich werde euch vielleicht befehlen, Dinge zu tun, die nicht in Eurem bevorzugten Interesse zu liegen scheinen, oder in dem derer, um die Ihr Euch sorgt. Vertraut darauf, dass sie es dennoch sind. Es liegen Gefahren vor euch, die Ihr nicht versteht, Gefahren, die Ihr nicht alleine angehen könnt.
Und Ihr, Ihr versteht sie alle?, dachte Vereesa, wohl wissend, dass Krasus ihre Frage nicht hörte.
Es ist noch ein wenig Zeit, bevor die Sonne sinkt. Ich muss mich einer wichtigen Angelegenheit widmen. Verlasst die Tunnel nicht, bevor ich es sage. Fürs erste lebt wohl, Vereesa Windrunner.
Bevor sie protestieren konnte, erlosch das Juwel. Die Waldläuferin fluchte leise. Sie hatte des Magiers fragwürdige Hilfe akzeptiert, nun hatte sie auch seinen Befehlen zu gehorchen. Vereesa legte nicht gerne ihr Leben, ganz zu schweigen von dem Falstads, in die Hände eines Zauberers, der von der Sicherheit seines weit entfernten Turms aus kommandierte.
Schlimmer noch, die Elfe hatte ihre beider Leben in die Hände des selben Zauberers gelegt, der schon Rhonin auf diese wahnwitzige Reise geschickt hatte … und damit in den sicheren Tod.
17
An irgendeiner Stelle auf dem Weg in sein Gefängnis war Rhonin wieder bewusstlos zusammengebrochen. Allerdings waren seine Bewacher darin nicht unschuldig gewesen. Sie hatten keine Gelegenheit ausgelassen, ihm die Arme zu verdrehen oder ihn zu schlagen. Die Schmerzen in seinem kleinen Finger waren im Vergleich zu dem, was ihm die Orks antaten, bis er ohnmächtig wurde, ins Bedeutungslose verblasst.
Aber jetzt wachte Rhonin auf – und fand sich einem neuen Albtraum gegenüber. Ein flammender Schädel mit schwarzen Augenhöhlen grinste ihn bösartig an.
Instinktiv versuchte der erschrockene Zauberer, sich von der monströsen Fratze abzuwenden, doch das brachte ihm nur noch mehr Schmerz ein und die Erkenntnis, dass seine Hand- und Fußgelenke mit Schellen gefesselt waren. Er hatte keine Chance, dem über ihm befindlichen dämonischen Horrorwesen zu entkommen.
Aber der Dämon rührte sich nicht. Langsam bezwang Rhonin seinen Schrecken und betrachtete die bewegungslose Kreatur genauer. Viel größer und breiter als ein Mensch, schien sie eine Rüstung aus brennenden Knochen zu tragen. Das zähnebleckende Grinsen hatte einfach den Grund, dass sein dämonischer Bewacher kein Fleisch besaß, das seinen Schädel bedeckt hätte. Er war von Feuer umgeben, und obwohl Rhonin keine Hitze fühlen konnte, die davon ausging, war er überzeugt, dass die Berührung dieser feurigen Knochenhände ausgesprochen schmerzvoll sein würde. Weil ihm nichts Besseres einfiel, sprach Rhonin die Kreatur an.
»Was …wer bist du?«
Keine Antwort. Vom Flackern der Flammen abgesehen, blieb die makabre Gestalt regungslos.
»Kannst du mich hören?«
Wieder nichts.
Mit nun deutlich weniger Angst, dafür umso größerer Neugier, lehnte sich der Zauberer soweit nach vorn, wie seine Fesseln es ihm erlaubten. Probeweise schob er ein Bein vor und zurück. Immer noch erfolgte keine Reaktion, nicht einmal ein Blick in seine Richtung.