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»Habt Ihr noch einen Zauber übrig?«, rief Vereesa im Rennen.

»Vielleicht. Aber den würde ich hier lieber nicht einsetzen. Er könnte uns auch erfassen!«

Als ob das noch einen Unterschied machen würde – Zauber oder Drache, eins von beiden würde ihr Schicksal besiegeln, so oder so. Die Elfe hoffte, dass Rhonin sich zu seinem tödlichen Zauber entschloss, bevor sie beide als Drachenfutter endeten.

»Wie weit …?« Der Magier schnappte nach Luft. »Wie weit ist es noch bis Hasic?«

»Zu weit!«

»Irgendeine Siedlung zwischen hier und Hasic?«

Sie versuchte nachzudenken. Ein Ort fiel ihr ein, aber sie erinnerte sich weder an den Namen der Niederlassung, noch von wem sie bewohnt war. Nur dass sie ungefähr eine Tagesreise entfernt lag. »Da gäbe es eine, aber …«

Das Brüllen des Drachen ließ sie beide erzittern. Ein Schatten zog über sie hinweg.

»Falls Ihr wirklich einen anderen Zauber kennt, würde ich vorschlagen, wendet ihn an – sofort!« Vereesa wünschte sich ihren Bogen zurück. Mit ihm hätte sie wenigstens auf die Augen der Bestie zielen können und eine reelle Chance gehabt, sie damit aufzuhalten oder zumindest entscheidend zu irritieren. Der Schock und Schmerz eines solchen Treffers hätte vielleicht sogar ausgereicht, das Monster zu vertreiben.

Sie prallten fast zusammen, als Rhonin unerwartet stehen blieb und sich umdrehte, um der Gefahr ins Auge zu blicken. Mit für einen Zauberer überraschend starken Händen packte er sie an den Armen und stieß sie beiseite. Seine Augen glühten.

Vereesa hatte zwar gehört, dass wirklich mächtige Magier dazu in der Lage waren, aber sie hatte es selbst noch niemals erlebt.

»Bete, dass es nicht auf uns zurückschlägt«, keuchte er. Dann begann er in einer Sprache zu murmeln, die Vereesa unbekannt war und ihr Schauer über den Rücken jagte.

Rhonin führte seine Hände zusammen, begann wieder zu sprechen …

Drei neue geflügelte Wesen brachen durch die Wolken.

Vereesa ächzte, und Rhonin verstummte, brach den Zauber ab.

Er sah aus, als wollte er den Himmel verfluchen, doch dann sah die Elfe, was da über ihrem fürchterlichen Feind aufgetaucht war.

Greife! Riesige, adlerköpfige Greife mit Löwenkörpern und Flügeln … und mit Reitern.

Sie zog Rhonin am Ärmel. »Unternimm nichts!«

Er starrte sie wütend an, nickte aber. Sie sahen wieder hinauf zu dem Drachen.

Die drei Greife stürzten auf ihn herab und überraschten ihn völlig. Nun konnte Vereesa auch ihre Lenker erkennen, aber sie hatte es schon zuvor geahnt. Nur die Zwerge der Luftigen Gipfel, einer weit entfernten Bergregion, die noch hinter dem Reich Quel'thalas lag, vermochten die wilden Greife zu reiten … und nur diese geübten Krieger und ihre Reittiere konnten es überhaupt wagen, einen Luftkampf mit einem Drachen einzugehen.

Obwohl sie viel kleiner waren als der karmesinrote Gigant, machten die Greife diesen Nachteil durch ihre riesigen, rasiermesserscharfen Krallen wert, mit denen sie selbst Drachenschuppen durchdringen konnten, und durch Schnäbel, die das Fleisch darunter herauszuhacken vermochten. Außerdem waren sie viel wendiger und schlugen Haken in der Luft, denen ein Drache nie folgen konnte.

Die Bergzwerge waren auch nicht ausschließlich Lenker. Sie waren größer und schlanker als ihre im Boden lebenden Verwandten, aber genauso stark.

Obwohl ihre bevorzugten Waffen im Luftkampf die legendären Sturmhämmer waren, führte dieses Trio gewaltige doppelseitige Streitäxte an langen Griffen mit sich und handhabte sie mit beeindruckender Leichtigkeit. Die Waffen wurden aus einem dem Adamant verwandten Metall hergestellt und konnten selbst die schuppigen, knöchernen Schädel der Tatzelwürmer durchstoßen. Es ging das Gerücht, dass der große Greifenreiter Kurdran einen noch mächtigeren Drachen als diesen hier mit einem einzigen gut gezielten Hieb einer solchen Axt erlegt habe.

Die geflügelten Tiere umkreisten ihren Gegner, sodass dieser sich ständig umdrehen musste, um zu sehen, woher nun die größte Gefahr kam. Die Orks hatten mittlerweile gelernt, vor den Greifen auf der Hut zu sein, aber ohne seinen Reiter schien der Drache ziemlich ratlos zu sein. Die Zwerge machten sofort von ihrem Vorteil Gebrauch und stoben auf ihren Reittieren hin und her, was den Drachen zunehmend verdross. Die langen Bärte und Pferdeschwänze der Zwerge flatterten im Wind, während sie dem riesigen Untier furchtlos ins Gesicht lachten. Das bellende Lachen machte den roten Leviathan noch wütender, und er warf sich herum, wobei er seine nutzlosen Attacken mit Feuerstößen unterstrich.

»Sie rauben ihm seine Orientierung«, bemerkte Vereesa, von dieser Taktik beeindruckt. »Sie wissen, dass er jung ist und zu zornig, um eine Strategie zu entwickeln.«

»Das ist für uns der richtige Zeitpunkt, um zu verschwinden«, antwortete Rhonin.

»Sie könnten unsere Hilfe gebrauchen!«

»Ich habe einen Auftrag zu erfüllen«, sagte er mit einem düsteren Blick. »Und sie haben es unter Kontrolle.«

Das stimmte. Obwohl sie noch keinen Schlag gegen das Untier geführt hatten, waren ihm die Greife deutlich überlegen.

Das Trio raste weiter um den Drachen herum, machte ihn schwindelig. Er versuchte, einen von ihnen im Blick zu behalten, doch die beiden anderen lenkten ihn ständig ab. Nur einmal kam sein Feuerstoß einem der geflügelten Gegner bedrohlich nahe.

Einer der Zwerge packte plötzlich seine Waffe, und das Ende der Axt blitzte in der Sonne. Noch einmal flog er um den Drachen herum, dann, als er dessen Hals nahe kam, stürzte der Greif plötzlich auf ihn herab. Seine Klauen gruben sich in den Nacken und pflügten die Schuppenhaut auf. Als der Schmerz den Drachen durchfuhr, holte der Zwerg mit seiner Axt aus und ließ sie niedersausen.

Die Klinge drang tief ein. Nicht tief genug, um zu töten, aber mehr als ausreichend, um den Riesenwurm vor Schmerz aufheulen zu lassen.

Er drehte sich aus einem Reflex heraus um und streifte dabei den Zwerg und dessen Greif. Beide gerieten ins Trudeln. Der Reiter vermochte sich zwar festzuhalten, aber die Axt entglitt seinem Griff und fiel in die Tiefe.

Instinktiv wollte Vereesa auf die zu Boden gegangene Waffe zulaufen, aber Rhonin versperrte ihr mit seinem Arm den Weg. »Ich sagte, wir müssen weg!«

Sie wollte widersprechen, doch ein weiterer Blick auf die Kämpfenden sagte ihr, dass sie hier nichts ausrichten konnte. Der verwundete Drache war noch höher geflogen, und die Greifenreiter ließen auch jetzt nicht von ihm ab. Die Waldläuferin hätte nur die Axt sinnlos schwenken können …

»Nun gut«, murmelte sie endlich.

Zusammen entfernten sie sich vom Ort des Kampfes und verließen sich nun wieder auf Vereesa, die allein wusste, wo ihr Bestimmungsort lag.

Hinter ihnen schrumpften der Drache und die Greife zu winzigen Punkten am Himmel. Die Auseinandersetzung bewegte sich von der Elfe und ihrem Gefährten weg.

»Seltsam …«, hörte sie den Zauberer wispern.

»Was ist?«

Er fuhr herum. »Diese Ohren tun also doch nicht nur so, als ob sie zu etwas nütze seien, oder?«

Vereesa erzürnte diese Beleidigung, obwohl sie sich schon Schlimmeres hatte anhören müssen. Menschen und Zwerge waren ziemlich neidisch auf die Überlegenheit der Elfensinne und ließen ihren Unmut oft an den langen, spitzen Ohren aus. Sie waren schon mit Esels-, Schweine- und, am übelsten, mit Goblinohren verglichen worden. Obwohl Vereesa noch keine Waffe ob dieser Beleidigungen gezogen hatte, waren viele nach solchen Worte nicht mehr sonderlich froh gewesen.

Die smaragdgrünen Augen des Magiers verengten sich. »Es tut mir Leid, Ihr fühlt euch beleidigt. Ich hatte es nicht so gemeint.«

Sie bezweifelte die Aufrichtigkeit seiner Entschuldigung, akzeptierte sie aber und schluckte ihren Ärger hinunter. Noch einmal fragte sie: »Was findet Ihr so seltsam?«

»Dass der Drache genau in diesem Augenblick aufgetaucht ist.«