»Verdammt! Ich hätte es wissen müssen.« Rhonin schaute den Zwerg an. »Kannst du mit deiner Axt genau zielen?«
Falstad wirkte beleidigt. »Das ist zwar eine minderwertige Ork-Anfertigung, aber trotzdem eine gebrauchstüchtige Waffe, und deshalb kann ich damit natürlich präzise zielen!«
»Dann schlag damit auf die Scheibe. Jetzt!«
Die Waldläuferin legte dem Zauberer besorgt die Hand auf die Schulter. »Rhonin, glaubt Ihr wirklich, dass das etwas nützen wird?«
»Ich kenne Sprüche, um ihnen die Magie zurückzugeben. Ich variiere einfach nur die Formeln, die mein Orden benutzt, um Magie von anderen Relikten abzuziehen, aber dafür muss das betreffende Artefakt zerbrochen werden. Die Kräfte, mit denen die Magie im Inneren gehalten wird, müssen unschädlich gemacht werden. Ich kann den Drachen geben, was sie brauchen, aber nur, wenn wir es schaffen, die Dämonenseele zu öffnen!«
»Darum geht es also.« Falstad hob die Streitaxt. »Tritt zurück, Zauberer. Willst du zwei saubere Hälften – oder viele kleine Splitter?«
»Zerstöre es einfach so gut du kannst.«
»Kein Problem …« Der Zwerg hob die Axt über den Kopf, atmete tief ein – und schlug dann so heftig zu, dass Rhonin die Anstrengung in der Armmuskulatur des Gefährten sehen konnte.
Die Axt traf.
Metallsplitter flogen nach allen Seiten.
»Bei den Arie! Die Klinge ist völlig ruiniert!«
Die große Scharte in der Axtklinge bewies endgültig, wie hart die Oberfläche der Dämonenseele war. Falstad warf die ramponierte Waffe angewidert von sich und verfluchte die schlechte Qualität der Ork-Schmieden.
Rhonin wusste jedoch, dass die Axt keine Schuld traf. »Das ist schlimmer, als ich dachte.«
»Wenn die Scheibe durch Magie geschützt wird«, sagte Vereesa, »kann sie dann nicht auch durch Magie vernichtet werden?«
»Der Zauber müsste sehr, sehr mächtig sein. Meine eigenen Fähigkeiten reichen dafür nicht aus – aber wenn ich einen anderen mächtigen Talisman hätte …« Er erinnerte sich an das Medaillon, das Krasus – oder richtiger: Korialstrasz – Vereesa gegeben hatte, aber dieses war zurückgeblieben, als der Zauberer und der rote Drache sich auf den Weg in die Schlacht gemacht hatten. Außerdem bezweifelte Rhonin, dass es ihm tatsächlich eine große Hilfe gewesen würde. Aussichtsreicher wäre es gewesen, wenn er etwas von Deathwing besessen hätte, aber sein eigenes Medaillon war im Berg verloren gegangen.
Doch hatte er nicht immer noch den Stein? Den Stein, der aus einer Schuppe des schwarzen Drachens entstanden war?
»Das könnte funktionieren!«, seufzte er und griff in seine Tasche.
»Was hast du da?«, fragte Falstad.
»Das.« Er zog den kleinen Stein heraus, was die anderen jedoch nicht sonderlich beeindruckte. »Deathwing erschuf ihn aus einer Schuppe seines eigenen Körpers, so wie er auch die Dämonenseele durch seine Magie entstehen ließ. Vielleicht erreichen wir damit etwas, was sich durch nichts sonst mehr erreichen ließe …«
Sie sahen ihm zu, wie er den Stein zur Scheibe brachte. Einen Moment war Rhonin unschlüssig, was die beste Vorgehensweise betraf, dann erinnerte er sich an die goldene Regel seiner Kunst: das Einfache war oft das Effektivste.
Der schwarze Stein glänzte in seiner Hand. Der Zauberer drehte ihn, bis er die schärfste Kante gefunden hatte. Er wusste sehr wohl, dass sein Plan vielleicht fehlschlagen würde, aber es gab nichts, was er sonst noch hätte versuchen können.
Vorsichtig strich er mit dem Stein über die Mitte des Talismans.
Deathwings Schuppe schnitt durch die harte goldene Oberfläche wie eine Klinge durch Butter.
»Passt auf.« Vereesa zog ihn gerade noch rechtzeitig zurück, als eine Lichtsäule aus dem Schnitt hervorschoss.
Rhonin spürte die gewaltige magische Kraft, die aus dem beschädigten Talisman entkam und wusste, dass er rasch handeln musste, bevor sie für jene verloren war, denen sie eigentlich gehörte.
Er murmelte einen Zauberspruch und veränderte ihn so, wie er es brauchte. Er konzentrierte sich so gut es ging, wollte nicht riskieren, an diesem kritischen Punkt noch zu scheitern. Es musste einfach gelingen.
Ein phantastischer, leuchtender Regenbogen spannte sich höher und höher dem Himmel entgegen. Rhonin wiederholte den Spruch und unterstrich noch einmal das Ergebnis, das er im Sinn hatte …
Das blendend helle Licht, das nun mehrere hundert Fuß hoch war, bog sich noch weiter und tastete nun in die Richtung der kämpfenden Drachen.
»Habt Ihr es geschafft?«, fragte die Waldläuferin atemlos.
Rhonin betrachtete die weit entfernten Körper von Alexstrasza, Deathwing und den anderen. »Ich glaube schon … Nun, zumindest hoffe ich es …«
»Habt ihr noch immer nicht genug? Wollt ihr weiter gegen etwas kämpfen, das ihr nicht besiegen könnt?« Deathwing sah seine Feinde geringschätzig an. Der letzte Rest von Respekt, den er sich noch für sie bewahrt gehabt hatte, war inzwischen auch noch vergangen. Diese Narren rannten immer noch mit dem Kopf gegen die sprichwörtliche Wand, obwohl sie längst wussten, dass sie auch gemeinsam nicht genügend Kraft aufbrachten, um ihn zu besiegen.
»Du hast zu viel Leid und zu viel Zerstörung angerichtet, Deathwing«, antwortete Alexstrasza. »Nicht nur uns hast du Schaden zugefügt, auch den sterblichen Wesen dieser Welt.«
»Was bedeuten sie mir – und was bedeuten sie dir? Das werde ich nie verstehen.«
Sie schüttelte den Kopf, und da war etwas wie Mitleid in ihrem Blick. Mitleid für …ihn? »Nein, das wirst du nicht.«
»Ich habe lange genug mit euch gespielt, mit euch allen. Ich hätte euch schon vor Jahren vernichten sollen.«
»Aber das konntest du nicht. Die Erschaffung der Dämonenseele hatte sogar dich für eine Weile geschwächt.«
Er schnaufte abfällig. »Aber jetzt verfüge ich wieder über meine volle Stärke. Meine Pläne für diese Welt schreiten rasch voran. Wenn ich euch alle getötet habe, werde ich mit deinen Eiern, Alexstrasza, meine perfekte Welt erschaffen!«
Anstelle einer Antwort griff die rote Königin wieder an. Deathwing lachte, weil er wusste, dass ihre Zaubersprüche ebenso wenig ausrichten würden wie zuvor. Seine eigene Macht und die magischen Platten auf seiner Haut sorgten dafür, dass ihn nichts verletzen konnte.
»Aaargh …!«
Ihr wütender magischer Angriff traf ihn mit einer Macht, die er nie erwartet hätte. Seine Eisenplatten hatten der schrecklichen Wucht nichts entgegenzusetzen. Deathwing reagierte mit einem Schildzauber, aber der Schaden war nicht mehr zu beheben. Sein Körper schmerzte, wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr.
»Was … was hast du mir angetan?«
Im ersten Moment wirkte auch Alexstrasza überrascht, doch dann legte sich ein wissendes und triumphierendes Lächeln auf ihr Gesicht. »Das ist der Anfang von all den Dingen, die ich dir in Träumen bereits zugefügt habe.«
Sie sah größer und stärker aus. Auch die anderen hatten sich in dieser Weise verändert. Ein seltsames Gefühl erwachte in dem schwarzen Drachen und brachte ihn dazu, an seinem perfekten Plan zu zweifeln.
»Fühlst du es? Fühlst du es?«, plapperte Malygos. »Ich bin wieder ich. Welch ruhmreicher Moment!«
»Und es wird auch langsam Zeit«, gab Nozdormu zurück. Seine Juwelenaugen leuchteten stärker als zuvor. »Ja, es wird Zeit.«
Ysera öffnete ihre Augen, die so anziehend wirkten, dass Deathwing rasch zur Seite blicken musste. »Das Ende des Albtraums ist gekommen«, flüsterte sie. »Unser Traum ist Wirklichkeit geworden.«
Alexstrasza nickte. »Wir haben zurückbekommen, was man uns einst stahl Es gibt die Dämonenseele nicht mehr!«
»Unmöglich!«, schrie Deathwing. »Das sind Lügen!«
»Nein«, korrigierte die rote Königin. »Es gibt nur eine Lüge hier, nämlich die, dass du unbesiegbar bist.«