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Der Tempel der vier Winde

Terry Goodkind

1

»Erlaubt, daß ich ihn töte«, sagte Cara. Ihre Stiefelschritte knallten wie harte Peitschenhiebe auf dem polierten Marmorboden.

Die geschmeidigen Lederstiefel, die Kahlan unter ihrem eleganten, weißen Konfessorenkleid trug, scharrten leise über den kalten Stein, als sie versuchte mitzuhalten, ohne in einen Laufschritt zu verfallen.

»Nein.«

Cara zeigte keinerlei Reaktion. Sie richtete die blauen Augen geradeaus auf den breiten Korridor, der sich bis in die Ferne erstreckte. Ein Dutzend d'Haranische Soldaten in Leder und Kettenrüstung, mit schmucklosen Schwertern in der Scheide oder halbmondförmigen, an der Gürtelhalterung eingehakten Streitäxten, kreuzten unmittelbar vor ihnen an einem Quergang ihren Weg. Sie hatten die Waffen zwar nicht gezogen, aber sie hielten die Griffe aus Holz allzeit bereit fest in der Hand und beobachteten mit wachsamen Augen gewissenhaft die Schatten zwischen den Türöffnungen und Säulen zu beiden Seiten. Die Konzentration, mit der sie zur Sache gingen, wurde durch ihre flüchtige Verbeugung vor Kahlan nur kurz unterbrochen.

»Wir können ihn nicht einfach töten«, versuchte Kahlan zu erklären. »Wir brauchen Antworten.«

Eine Braue schnellte über einem eiskalten, blauen Auge in die Höhe. »Oh, ich hatte nicht gesagt, daß er uns vor seinem Tod keine Antworten geben wird. Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er auf jede Frage antworten, die Ihr ihm stellt.« Ein freudloses Lächeln huschte wie ein Geist über ihr makelloses Gesicht. »Das ist die Aufgabe einer Mord-Sith: Leute dazu zu bringen, daß sie Fragen beantworten« – sie hielt inne, während sie abermals lächelte und deutlichen Stolz an den Tag legte –, »bevor sie sterben.«

Kahlan seufzte tief. »Das ist jetzt nicht mehr Eure Aufgabe und nicht mehr Euer Leben, Cara. Eure Aufgabe besteht jetzt darin, Richard zu beschützen.«

»Eben aus diesem Grund solltet Ihr mir erlauben, ihn zu töten. Wir sollten kein Risiko eingehen, indem wir den Mann am Leben lassen.«

»Nein. Zuerst müssen wir herausfinden, was gespielt wird, und wir werden es nicht auf Eure Art tun.«

Caras Lächeln, so humorlos es war, verschwand wieder. »Wie Ihr wollt, Mutter Konfessor.«

Kahlan fragte sich, wie die Frau es geschafft hatte, so schnell in ihre hautenge rote Lederkleidung hineinzukommen. Wenn es auch nur die geringsten Schwierigkeiten gab, schien wie aus dem Nichts wenigstens eine der drei Mord-Sith aufzutauchen. Auf Rot, betonten sie oft, sah man kein Blut.

»Hat dieser Mann das auch ganz bestimmt gesagt? Waren das genau seine Worte?«

»Ganz recht, Mutter Konfessor, genau das waren seine Worte. Ihr solltet mir erlauben, ihn zu töten, bevor er Gelegenheit hat, sie wahr zu machen.«

Kahlan überging die neuerliche Bitte. Die beiden eilten den Flur entlang. »Wo ist Richard?«

»Soll ich Lord Rahl holen gehen?«

»Nein! Ich will nur wissen, wo er ist, falls es Ärger gibt.«

»Ich möchte meinen, das kann man durchaus als Ärger bezeichnen.«

»Ihr sagtet, der Mann werde von wenigstens zweihundert Soldaten mit Waffengewalt festgehalten. Wieviel Unheil kann ein einzelner Mann bei all den Schwertern, Äxten und Pfeilen hier anrichten?«

»Mein früherer Meister, Darken Rahl, wußte, daß man eine Gefahr nicht immer mit Stahl allein abwenden kann. Deswegen hatte er stets einsatzbereite Mord-Sith in der Nähe.«

»Dieser gottlose Kerl hätte Menschen umgebracht, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie tatsächlich eine Gefahr für ihn darstellen. Richard ist nicht so, und ich auch nicht. Wenn ich wirklich bedroht bin, dann zögere ich nicht zu handeln, das wißt Ihr. Aber wenn dieser Mann mehr ist, als er scheint, wieso zieht er dann vor all dem Stahl so ängstlich den Kopf ein? Außerdem bin ich den Gefahren, die Stahl nicht abwenden kann, als Konfessor wohl kaum schutzlos ausgeliefert.

Wir dürfen nicht den Kopf verlieren. Und vor allem sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen, die vielleicht unbegründet sind.«

Kahlan merkte, daß sie der Frau um einen halben Schritt voraus war. Sie verlangsamte ihr Tempo, ging jedoch weiter forsch voran. »Wir reden hier schließlich über Richard.«

Cara grinste geziert. »Ihr seid ebenso besorgt wie ich.«

»Natürlich. Aber nach allem, was wir wissen, und falls dieser Mann tatsächlich mehr ist, als er scheint, könnte es eine Falle sein, die zuschnappt, wenn wir ihn töten.«

»Da könntet Ihr recht haben, aber das ist der Zweck der Mord-Sith.«

»Also, wo ist Richard?«

Cara packte das rote Leder an ihrem Handgelenk, zog den gepanzerten Handschuh stramm und ballte die Hand zur Faust. Ihr Strafer, eine fürchterliche Waffe, die nichts weiter zu sein schien als ein fingerdicker, ein Fuß langer Lederstab, baumelte allzeit bereit an einer dünnen Goldkette an ihrem Handgelenk. Sein Gegenstück hing an einer Kette um Kahlans Hals, stellte in den Händen der Mutter Konfessor jedoch keine Waffe dar. Er war ein Geschenk von Richard, ein Geschenk, das für die Schmerzen und die Opfer stand, die beide durchgemacht hatten.

»Er ist draußen hinter dem Palast, in einem der Gärten.« Cara deutete über ihre Schulter. »In dem dort hinten. Raina und Berdine sind bei ihm.«

Kahlan war erleichtert, daß die beiden anderen Mord-Sith auf ihn aufpaßten. »Hat das etwas mit der Überraschung zu tun, die er für mich hat?«

»Mit welcher Überraschung?«

Kahlan lächelte. »Er hat Euch doch bestimmt davon erzählt, Cara.«

Cara sah sie kurz verstohlen aus den Augenwinkeln an. »Natürlich hat er mir davon erzählt.«

»Und, was ist es?«

»Er hat mir aufgetragen, Euch nichts davon zu sagen.«

Kahlan zuckte die Achseln. »Ich werde ihm nicht verraten, daß Ihr mir davon erzählt habt.«

Caras Lachen, wie zuvor schon ihr Lächeln, war gänzlich humorlos. »Lord Rahl verfügt über die seltsame Eigenschaft, Dinge herauszufinden, vor allem die, die man vor ihm verbergen will.«

Davon konnte Kahlan ein Lied singen. »Und was tut er nun da draußen?«

Die Muskeln in Caras Kiefer spannten sich. »Was man halt draußen so macht. Ihr kennt Lord Rahl, er hält sich gerne unter freiem Himmel auf.«

Kahlan schaute hinüber und erkannte, daß Caras Gesicht fast so rot geworden war wie ihre Lederkleidung. »Und was macht er nun?«

Cara räusperte sich in ihre gepanzerte Faust. »Er zähmt Backenhörnchen.«

»Er macht was? Ich habe Euch nicht verstanden.«

Cara machte eine ungeduldige Handbewegung. »Er meinte, die Backenhörnchen seien herausgekommen, weil es wieder wärmer wird. Er zähmt sie.« Sie blies beleidigt die Wangen auf. »Mit Körnern.«

Die Vorstellung, daß Richard, der Mann, den sie liebte, der Mann, der die Herrschaft über D'Hara an sich gerissen hatte und dem jetzt ein großer Teil der Midlands aus den Händen fraß, Backenhörnchen beibrachte, ihm Körner aus der Hand zu fressen, ließ Kahlan schmunzeln.

»Nun, das klingt doch ganz harmlos – Backenhörnchen zu füttern.«

Cara ballte erneut die Faust, während sie zwischen zwei d'Haranischen Wachposten hindurcheilten. »Er bringt ihnen bei«, erklärte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, »diese Körner aus Rainas und Berdines Hand zu fressen. Die beiden albern herum!« Sie sah gequält zur Decke und warf die Hände in die Höhe. »Herumalbernde Mord-Sith!«

Kahlan preßte ihre Lippen aufeinander und versuchte, nicht lauthals loszulachen. Cara zog ihren blonden Zopf nach vorne und liebkoste ihn auf eine Weise, die in Kahlan beunruhigende Erinnerungen daran wachrief, wie die Hexe Shota ihre Schlangen streichelte.

»Na ja«, versuchte Kahlan, die Empörung der anderen Frau ein wenig zu besänftigen, »vielleicht war es nicht ihre eigene Entscheidung. Sie stehen in seiner Pflicht. Vielleicht hat Richard es ihnen befohlen, und sie gehorchen nur.«

Cara blickte sie ungläubig an. Kahlan wußte, daß jede einzelne der drei Mord-Sith Richard bis in den Tod verteidigen würde. Sie hatten bereits bewiesen, daß sie bereit waren, ihr Leben ohne Zaudern zu opfern. Aber obwohl sie ihm durch Magie verpflichtet waren, mißachteten sie seine Befehle nach Belieben, wenn sie sie für belanglos, unwichtig oder unklug hielten. Nach Kahlans Vermutung lag das daran, daß es ihnen Spaß machte, von der Freiheit, die Richard ihnen gegeben hatte, Gebrauch zu machen. Darken Rahl, ihr früherer Meister und Richards Vater, hätte sie in der Zeitspanne eines Herzschlags getötet, wäre ihm jemals der Verdacht gekommen, sie gehorchten seinen Befehlen nicht, ganz gleich, wie belanglos diese waren.