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»Das stimmt«, rief Beth vom anderen Bett aus. Ihre Stimme versagte, als sie von einem Hustenanfall übermannt wurde. Nachdem sie sich erholt hatte und wieder Luft bekam, fuhr sie fort. »Sie meinten, Darby hätte richtig gut gespielt. Sie haben uns dieses hübsche Dings gezeigt, das sie dabeihatten.«

Richard starrte sie an. »Ein hübsches Dings?«

»Das glänzende Ding in dem Kästchen«, erklärte Lily.

»Das stimmt«, sagte Beth. »Sie haben es mir und Lily gezeigt.«

»Was war es denn?«

Beth dachte trotz Kopfschmerzen angestrengt nach. »Es war … es war … Ich weiß nicht genau. Es lag in einem Kästchen, das so schwarz war, daß man die Seiten nicht sehen konnte. Das Dings drinnen war richtig hübsch.«

Lily bestätigte das mit einem Nicken. »Meine Puppe hat es auch gesehen. Sie fand es auch richtig hübsch.«

»Habt ihr eine Ahnung, was es war?«

Beide schüttelten den Kopf.

»Es lag in einem Kästchen, das so schwarz war wie Mitternacht. Wenn man es ansieht, ist es so, als blicke man in ein schwarzes Loch«, wiederholte Richard.

Die beiden nickten.

»Klingt wie der Stein der Nacht«, flüsterte Kahlan ihm zu.

Richard kannte diese Schwärze gut. Nicht nur der Stein der Nacht war so, sondern auch die äußere Hülle der Kästchen der Ordnung.

Die Farbe war so düster, daß sie das Licht aus einem Raum zu saugen schien.

Seiner Erfahrung nach, bedeutete dieses Fehlen allen Lichts nichts Gutes. Der Stein der Nacht konnte Wesen aus der Unterwelt hervorholen, und die Kästchen der Ordnung enthielten eine Magie, die, in böser Absicht verwendet, die Welt des Lebendigen vernichten konnte. Mit den Kästchen konnte man ein Tor zur Unterwelt öffnen.

»Und drinnen lag etwas Leuchtendes«, fuhr Richard fort. »War es, als blicke man in eine Kerze oder die Flamme einer Lampe? War es so ein Leuchten?«

»Es war bunt«, sagte Lily. »Ich hab' hübsche Farben gesehen.«

»Wie buntes Licht«, sagte Beth. »Das Dings lag auf weißem Sand.«

Auf weißem Sand. Richards Nackenhaare sträubten sich. »Wie groß war das Kästchen?«

Beth hielt ihre Hände einen Fuß weit auseinander. »An der Seite ungefähr so lang. Aber es war nicht sehr dick. Ungefähr so wie ein Buch. Ja, wie ein aufgeschlagenes Buch. Daran hat das Kästchen mich erinnert – an ein Buch.«

»Und drinnen, in den Sand, waren da Linien hineingezeichnet? So ähnlich, wie man mit einem Stock Linien in die Erde kratzt?«

Beth nickte, während sie rasselnd hustete. Als der Anfall endlich nachließ, keuchte sie und bekam wieder Luft.

»Das stimmt. Da waren saubere Linien, in einem Muster. Genau so hat es ausgesehen. Es war ein Kästchen oder vielleicht ein großes Buch, und als sie es aufgemacht haben, um uns die hübschen Farben zu zeigen, war da weißer Sand drin, in den man sorgfältig Linien gezeichnet hatte. Dann haben wir die hübschen Farben gesehen.«

»Das heißt, auf dem Sand lag etwas? Dieses Ding, das das bunte Licht erzeugte, lag auf dem Sand?«

Beth kniff verwirrt die Augen zusammen und versuchte sich zu erinnern. »Nein … eher kam das Licht aus dem Sand.« Sie ließ sich auf ihr Bett zurückfallen und wälzte sich, sichtlich von ihrer Krankheit gepeinigt, auf die Seite.

Von der Pest gepeinigt. Vom schwarzen Tod.

Aus einem schwarzen Kästchen.

Richard war unfähig, sich bei Lily zu bedanken. Er wagte nicht, sich auf seine Stimme zu verlassen.

Lily legte sich wieder hin. Ihre winzige Stirn zog sich in Falten. »Ich bin müde.« Sie schürzte die Lippen, den Tränen nahe. »Mir geht's nicht gut.«

Sie zog die Beine an und steckte sich den Daumen in den Mund.

Kahlan steckte die Decke rings um Lily fest und versprach ihr eine Überraschung, sobald sie wieder gesund war. Ihr liebevolles Lächeln lockte ein kleines Schmunzeln auf Lilys Lippen. Fast hätte Richard ebenfalls gelächelt. Fast.

Draußen vor dem Haus der Andersons nahm Richard Drefan in der Gasse beiseite. Kahlan sagte den anderen, sie sollen warten, dann stellte sie sich zu den beiden.

»Was sind Male?« wollte Richard wissen. »Du meintest zu dem Großvater, die Jüngste habe die Male.«

»Diese Flecken auf ihren Armen und Beinen werden Male genannt.«

»Und wieso hat den Mann vor Angst beinahe der Schlag getroffen, als er dich sagen hörte, daß das Mädchen sie habe?«

Drefan wendete seine blauen Augen ab. »Die Menschen sterben auf unterschiedliche Weise an der Pest. Den Grund dafür kenne ich nicht, man könnte sich höchstens vorstellen, daß es etwas mit ihrem Zustand zu tun hat. Kraft und Verletzbarkeit der Aura sind bei jedem anders.

Ich habe die unterschiedlichen Todesarten, die die Pest verursacht, nicht alle mit eigenen Augen gesehen, da sie zum Glück nur selten auftritt. Einen Teil meiner Kenntnisse habe ich aus den Aufzeichnungen, die die Raug'Moss aufbewahren. Die Pestepidemien, die ich gesehen habe, fanden stets an kleinen, entlegenen Orten statt. In der Vergangenheit, vor vielen hundert Jahren, gab es ein paar große Epidemien in großen Städten, und die Aufzeichnungen darüber habe ich gelesen.

Bei manchen Menschen bricht sie ganz plötzlich aus – sehr hohes Fieber, unerträgliche Kopfschmerzen, Erbrechen, brennende Schmerzen im Rücken. Diese Opfer sind fast von Sinnen, so heftig sind die Schmerzen über Tage oder Wochen, bis sie schließlich sterben. Manche erholen sich wieder. Beth ist so ein Fall. Ihr Zustand wird sich noch stark verschlimmern. Ich habe schon gesehen, daß Kranke wie sie alles überstanden haben. Sie hat eine kleine Chance.

Mitunter, wenn der Schwarze Tod sie übermannt und ihnen den Körper zersetzt, sehen die Opfer aus wie der erste Junge. Andere werden von entsetzlichen, schmerzhaften Schwellungen am Hals, in den Achselhöhlen oder der Leistengegend gepeinigt. Sie leiden jämmerlich, bis sie schließlich sterben. So ein Fall ist Bert. Wenn das Leiden in die entscheidende Phase und zum Ausbruch gebracht werden kann, erholen sich diese Menschen manchmal.«

»Und was ist mit Lily?« fragte Kahlan. »Was ist mit diesen Malen, wie Ihr sie genannt habt?«

»Ich habe sie noch nie zuvor gesehen, jedenfalls nicht mit eigenen Augen, aber ich habe in unseren Aufzeichnungen über sie gelesen. Die Male erscheinen auf den Beinen und manchmal auf der Brust. Menschen, die die Male aufweisen, wissen oft bis zum Ende gar nicht, daß sie erkrankt sind. Irgendwann stellen sie zu ihrem Entsetzen fest, daß sie die Male aufweisen, und kurz darauf sind sie tot.

Sie sterben unter wenig oder gar keinen Schmerzen. Aber sterben tun sie alle. Keiner, der die Male aufweist, überlebt. Der alte Mann muß sie schon einmal gesehen haben, denn er weiß das.

Bei den Pestepidemien, deren Zeuge ich wurde, traten diese Male nicht auf. In den Berichten heißt es, die schlimmsten Epidemien, bei denen der Tod sich am weitesten ausbreitete, seien durch die Male gekennzeichnet gewesen. Manche Menschen hielten sie für sichtbare Zeichen der tödlichen Berührung durch den Hüter.«

»Aber Lily ist noch ein kleines Mädchen«, protestierte Kahlan, als könnten Widerworte etwas ändern. »Sie wirkte gar nicht so krank. Wäre es nicht möglich, daß sie…«

»Lily fühlt sich nicht wohl. Die Male an ihren Beinen sind voll ausgeprägt. Ihr Tod wird noch vor Mitternacht eintreten.«

»Heute abend?« fragte Richard bestürzt.

»Ja. Allerspätestens. Eher innerhalb der nächsten Stunden. Vielleicht sogar…«

Aus dem Haus drang der langgezogene, schrille Schrei einer Frau. Das Entsetzen darin jagte Richard einen Schauer über den Rücken. Die Soldaten, die sich hinten, am anderen Ende der Gasse, mit gesenkter Stimme unterhalten hatten, verstummten. Das einzige Geräusch war ein Hund, der in der nächsten Straße bellte.

Aus dem Haus war der gequälte Schrei eines Mannes zu hören.

Drefan schloß die Augen. »Ich wollte es gerade sagen, vielleicht sogar schon eher.«

Kahlan vergrub ihr Gesicht an Richards Schulter. Sie krallte sich in sein Hemd. Richards Kopf wirbelte herum.

»Das sind Kinder«, weinte sie. »Dieser Bastard tötet Kinder!«