Ihr müßt verstehen, General, wenn jemand Magie beherrscht, heißt das nicht, daß er dem Hüter höchstpersönlich Einhalt gebieten kann, wenn die Zeit seiner Berührung gekommen ist. Wären Zauberer dazu imstande, ich versichere Euch, dann wären die Friedhöfe mangels Kunden längst verschwunden. Zauberern fehlt jene Macht, über die der Schöpfer verfügt.
Unsere Welt ist eine Welt der Ausgewogenheit. So wie wir alle, besonders die Soldaten, dem Hüter dabei helfen können, den Tod herbeizuführen, so können wir auch am Werk unseres Schöpfers teilhaben und Leben bewahren. Vielleicht wissen wir besser als die meisten, daß es die Pflicht der Soldaten ist, den Frieden und das Leben zu schützen. Im Gegenzug müssen wir manchmal Leben nehmen, um einen Feind aufzuhalten, der sonst einen noch größeren Schaden anrichten würde. Allein das jedoch bleibt von uns in der Erinnerung, nicht das Leben, das wir zu bewahren suchten.
Auch ein Zauberer muß in einem ausgewogenen Verhältnis, in Harmonie mit der Welt stehen, in der er lebt. Schöpfer und Hüter, sie beide haben in unserer Welt eine feste Rolle, die sie spielen müssen. Es steht nicht in der Macht eines einfachen Zauberers, ihnen vorzuschreiben, was sein soll. Er kann sich dafür einsetzen, daß die Geschehnisse sich zu einem Ergebnis verbinden – zu einer Hochzeit, zum Beispiel, aber er kann dem Schöpfer nicht vorschreiben, als Folge dieser Ehe Leben zu erzeugen.
Ein Zauberer darf nie vergessen, daß er innerhalb unserer Welt arbeitet und sein Bestes geben muß, um den Menschen zu helfen – so wie ein Bauer einem Nachbarn hilft, der seine Ernte einbringen oder ein Feuer löschen muß.
Ein Zauberer kann Dinge tun, die jemand ohne Magie nicht bewirken kann, etwa so, wie Ihr kräftig genug seid, eine Streitaxt zu schwingen, ein alter Mann dagegen nicht. Ihr habt zwar starke Muskeln, dafür besitzt der Alte Weisheit, die er aus seiner Erfahrung gewonnen hat. Gut möglich, daß er Euch im Kampf durch seine Weisheit und nicht mit seiner Muskelkraft besiegt.
Ein Zauberer kann so groß sein, wie er will, er wäre niemals fähig, neues Leben in diese Welt zu setzen. Eine junge Frau, die weder Magie noch Erfahrung oder Weisheit hat, kann das, er dagegen nicht. Vielleicht hat sie am Ende mehr mit Magie zu tun als er.
Was ich Euch Männern zu erklären versuche, ist folgendes: Nur weil ich mit der Gabe geboren wurde, kann ich diese Seuche mit der Gabe nicht zum Stillstand bringen. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, daß Magie all unsere Probleme löst. Für einen Zauberer ist genauso wichtig, die Grenzen seiner Kräfte zu kennen, wie für einen Armeeoffizier die seiner Männer.
Viele von Euch haben gesehen, was mein Schwert gegen den Feind ausrichten kann. Doch so furchterregend es als Waffe auch ist, diesem unsichtbaren Feind kann es nichts anhaben. Andere Magie könnte sich als ebenso machtlos erweisen.«
»›Deine Weisheit erfüllt uns mit Demut‹«, zitierte General Kerson leise aus der Preisung.
Die Männer bekundeten ihre Zustimmung und kommentierten Richards logische Erklärungen mit einem Nicken. Kahlan war stolz auf ihn, weil er wenigstens sie überzeugt hatte. Sie fragte sich, ob er sich selbst ebenfalls überzeugt hatte.
»Das war nicht so sehr Weisheit«, brummte Richard, »sondern gesunder Menschenverstand.«
»Bitte seid versichert, Ihr alle«, fuhr er fort, »dies bedeutet nicht, daß ich nicht die Absicht hätte, einen Weg zu finden, um diese Seuche zu beenden. Ich werde jedes Mittel prüfen, das sie vielleicht aufhalten könnte.« Er legte Berdine die Hand auf die Schulter. Sie sah hoch. »Berdine durchsucht mit mir die Bücher alter Zauberer, um herauszufinden, ob sie uns irgendwelche klugen Erkenntnisse hinterlassen haben.
Wenn es einen Weg gibt, wie Magie der Pest Einhalt gebieten kann, dann werde ich ihn entdecken. Im Augenblick jedoch müssen wir jene Mittel anwenden, die uns zur Verfügung stehen, um den Menschen zu helfen. Wir müssen die Männer aufteilen.«
»Aufteilen – und was dann?« fragte General Kerson.
»Aufteilen und aus Aydindril abziehen.«
General Kerson richtete sich auf. Die Glieder seines Kettenhemdes reflektierten das Licht der Lampe, so daß er wie das Traumbild einer Seele zu funkeln schien. »Und Aydindril schutzlos zurücklassen?«
»Nein«, beharrte Richard. »Nicht schutzlos. Mein Vorschlag geht dahin, die Truppen aufzuteilen, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, daß die Pest unter ihnen wütet, und sie rings um Aydindril in Stellung zu bringen. Wir können an sämtlichen Pässen, an allen Straßen und Zugangstälern, die nach Aydindril hineinführen, Abteilungen unserer Streitkräfte postieren. So kann keine Streitmacht gegen uns vorrücken.«
»Und wenn es doch eine tut?« wollte General Baldwin wissen. »Dann könnten sich diese kleineren, isolierten Einheiten als unzureichend erweisen, einen Angriff abzuwehren.«
»Wir werden Posten und Späher einsetzen. Wir werden ihre Zahl vergrößern müssen, damit es nicht zu unliebsamen Überraschungen kommt. Ich glaube nicht, daß Streitkräfte der Imperialen Ordnung schon so weit im Norden stehen, aber sollte es zu einem Angriff kommen, werden wir gewarnt sein und können unsere Truppen rasch zusammenziehen. Deshalb dürfen sie nicht zu weit auseinanderstehen, damit sie die Stadt, falls nötig, verteidigen können. Trotzdem muß ausreichender Abstand gewahrt bleiben, damit die Seuche nicht in der Armee um sich greift.
Jeder Vorschlag von Euch ist willkommen. Deshalb habe ich Euch hergebeten. Wenn Ihr zu einem Punkt Vorschläge habt, dann fühlt Euch frei und ergreift das Wort.«
Drefan trat vor. »Wir müssen in größter Eile handeln. Je eher die Männer fort sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß keiner mit der Krankheit in Berührung kommt.«
Die Offiziere nickten und dachten angestrengt nach.
»Die Offiziere, die uns heute begleitet haben, sollten hierbleiben«, sagte Drefan. »Möglicherweise sind sie mit jemandem in Berührung gekommen, den die Pest befallen hat. Stellt eine Liste aller Personen zusammen, mit denen sie eng zusammenarbeiten, und laßt sie ebenfalls hier in Aydindril isolieren.«
»Wir werden uns sofort darum kümmern«, sagte General Kerson. »Noch heute abend.«
Richard nickte. »Jede Abteilung unserer Streitkräfte muß natürlich mit den anderen in Verbindung bleiben, allerdings dürfen die Nachrichten nur mündlich übermittelt werden. Keine Briefe! Das Papier könnte die Seuche übertragen. Die Männer, die Befehle und Nachrichten weitergeben, sollten beim Sprechen auf Distanz bleiben. Mindestens wie wir hier, in diesem Zimmer, mit mir auf der einen und Euch auf der anderen Seite.«
»Ist das nicht eine äußerst ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahme?« fragte einer der Offiziere.
»Ich habe gehört«, erklärte Drefan, »daß Menschen, die die Pest haben, aber noch nicht an ihr erkrankt sind und daher nichts von ihrem Elend wissen, am charakteristischen Gestank der Pest in ihrem Atem erkannt werden können.« Die Männer nickten interessiert. »Aber diesen tödlichen Geruch zu riechen bedeutet, daß man sich mit der Pest ansteckt. Ihr wärt ebenfalls befallen und müßtet sterben.«
Ein Raunen ging durch die Reihen der Männer.
»Deswegen wollen wir, daß die Boten einander nicht zu nahe kommen«, sagte Richard. »Sollte einer bereits die Pest haben, dann wollen wir nicht, daß er sie auf eine andere Abteilung unserer Truppen überträgt. Es ist sinnlos, all diese Anstrengungen zu unternehmen, wenn wir dabei nicht in jedem einzelnen Punkt gewissenhaft vorgehen.
Es handelt sich um eine tödliche Krankheit. Wenn wir rasch und so umsichtig wie möglich handeln, gelingt es uns vielleicht, eine große Zahl von Menschen vor dem Tod zu bewahren. Wenn wir diese Vorsichtsmaßnahmen nicht ernst nehmen, kann es sein, daß innerhalb weniger Wochen alle Menschen in der Stadt und jeder einzelne unserer Männer tot sind.«
Besorgte Mienen zogen auf die Gesichter.
»Wir geben Euch den denkbar schlechtesten Ausblick«, sagte Drefan und lenkte damit ihre aufmerksamen Blicke wieder auf sich. »Wir wollen nicht so tun, als sei die Gefahr kleiner, als sie tatsächlich ist. Einige Umstände lassen jedoch hoffen. Das Wichtigste ist das Wetter. Die Seuchen, die ich miterlebt und über die ich gelesen habe, breiteten sich am schlimmsten bei sommerlicher Hitze aus.