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Kahlan konnte die steinernen Mauern zu beiden Seiten der Brücke gerade eben erkennen. Nur gut, daß die Pferde den Abgrund dahinter nicht sehen konnten. Daß Nick nicht scheuen würde, wußte sie, aber bei den anderen beiden war sie nicht sicher. Die jähen Felswände des gähnenden Abgrunds fielen Tausende von Fuß ab. Wenn man keine Flügel hatte, gab es nur diesen einen Weg in die Burg der Zauberer.

Im vom Schnee reflektierten Dämmerlicht verschmolz die riesige Burg mitsamt ihren hochaufragenden Mauern aus dunklem Stein, ihren Brustwehren, Bollwerken, Türmen, Wehrgängen und Brücken mit der tintenschwarzen Dunkelheit des Berges, in den man sie hineingebaut hatte. Für jenen, der keine Magie besaß oder mit Magie nicht umzugehen wußte, bot die Burg einen düsteren Anblick unverkennbarer Bedrohlichkeit.

Kahlan war in Aydindril aufgewachsen und unzählige Male oben in der Burg gewesen, meist allein. Selbst als Kind hatte man ihr wie auch den anderen Konfessoren erlaubt, die Burg zu betreten. Als sie noch klein war, hatten die Zauberer mit ihr herumgealbert, in den Gängen Fangen gespielt und gelacht. Die Burg war für sie ein zweites Zuhause: bequem und sicher, einladend und beschützend.

Aber ihr war klar, daß in der Burg Gefahren lauerten, wie in jedem anderen Zuhause auch. Ein Zuhause konnte ein sicherer, einladender Ort sein, solange man nicht so unklug war, in die Feuerstelle zu laufen. Auch in der Burg gab es Orte, die man besser mied.

Erst als sie älter war, betrat sie die Burg nicht mehr allein. Ab einem bestimmten Alter wurde es für einen Konfessor gefährlich, überhaupt irgendwo allein hinzugehen. Hatte ein Konfessor erst die ersten Geständnisse entgegengenommen, war er ohne den Schutz seines Zauberers nirgendwo mehr sicher.

Ab einem bestimmten Alter machte sich ein Konfessor Feinde. Familienangehörige von Verurteilten glaubten selten, einer ihrer Lieben könne ein schlimmes Verbrechen begangen haben, oder aber sie gaben dem Konfessor die Schuld am Todesurteil des Betreffenden, obwohl ein Konfessor lediglich dessen Rechtmäßigkeit bestätigte.

Ständig kam es zu Mordversuchen an Konfessoren. Nie fehlte es an Leuten, angefangen bei einfachen Bürgern bis hin zu Königen, die einem Konfessor nach dem Leben trachteten.

»Wie werden wir ohne Lord Rahl durch die Schilde gelangen?« fragte Berdine. »Damals hat uns seine Magie ermöglicht, sie zu durchschreiten. Diesmal werden wir sie nicht passieren können.«

Kahlan lächelte den beiden Mord-Sith beruhigend zu. »Richard hat nicht gewußt, wohin er ging. Er ist einfach durch die Burg geirrt und hat instinktiv den richtigen Weg gefunden. Ich kenne die Wege, die keine Magie erfordern. Vielleicht gibt es dort ein paar schwache Schilde, aber die kann ich passieren. Und wenn ich sie passieren kann, dann kriege ich Euch ebenfalls hindurch, indem ich Euch bei der Hand nehme, genau wie Richard Euch durch die kräftigeren Schilde hindurchgebracht hat.«

Cara murrte übelgelaunt. Sie hatte gehofft, die Schilde würden sie aufhalten.

»Ich war schon so oft in der Burg, Cara. Es ist hier völlig sicher. Wir werden ausschließlich die Bibliotheken betreten. So wie Ihr meine Beschützer draußen in der Welt seid, so werde ich in der Burg der Eure sein. Wir sind Schwestern des Strafers. Ich werde nicht zulassen, daß Ihr mit gefährlicher Magie in Berührung geratet. Vertraut Ihr mir?«

»Nun … vermutlich seid Ihr wirklich eine Schwester des Strafers.«

Sie kamen unter dem riesigen Fallgatter hindurch und traten in das Burggelände ein. Innerhalb der massiven Mauern schmolz der Schnee, sobald er den Boden berührte. Kahlan schlug ihre Kapuze zurück. Hier herrschte eine angenehme Wärme.

Sie schüttelte den Schnee von ihrem Umhang, atmete die frühlingsfrische Luft tief ein und füllte ihre Lungen mit dem vertrauten, besänftigend wirkenden Aroma. Nick wieherte freudig.

Kahlan führte die beiden Mord-Sith über die Kiesel- und Schotterfläche bis zum überwölbten Durchlaß in der Mauer, der einen Teil der Burg untertunnelte. Während sie durch den langen Durchgang ritten, tauchten die Lampen, die an Caras und Berdines Sattel hingen, das Mauergewölbe ringsum in ein gelblichrotes Licht.

»Warum reiten wir hier durch?« fragte Cara. »Lord Rahl hat uns durch das große Tor dort hinten geführt.«

»Ich weiß. Deshalb fürchtet Ihr Euch auch vor der Burg. Das war ein sehr gefährlicher Weg. Ich führe uns auf dem Weg hinein, den ich sonst immer benutzt habe. Er ist viel besser. Ihr werdet sehen.

Hier sind früher die Bewohner der Burg hineingegangen. Besucher nahmen wieder einen anderen Eingang, wo sie von einem Posten empfangen wurden, der sich um sie kümmerte.«

Hinter dem Tunnel musterten alle drei Pferde die mit üppigem Gras bestandene, weite Koppel. Die Schotterstraße führte an der Mauer entlang, in der sich der Haupteingang zur Burg befand. Auf der anderen Seite umschloß ein Zaun die Koppel. Links begrenzte die Burgmauer einen Teil der Koppel. Hinten gab es Stallungen.

Kahlan stieg ab und öffnete das Gatter. Nachdem sie Sattel und Zaumzeug abgenommen hatte, ließen sie alle drei ihren Pferden auf der Koppel freien Auslauf, wo sie grasen und in der milden Luft herumtollen konnten, wenn ihnen danach war.

Ein Dutzend breiter Granitstufen, über Jahrtausende hinweg ausgetreten, führte zu einem nach hinten versetzten Eingang, einer schlichten, aber schweren Doppeltür, durch die man in die Burg selbst gelangte. Cara und Berdine folgten mit den Laternen. Der Vorraum sog das Licht in seiner ungeheuren Weite auf, so daß die Säulen und Bögen im Schein der schwachen Flammen nur ansatzweise zu erkennen waren.

»Was ist das?« fragte Berdine in leisem Flüsterton. »Hört sich an wie rauschendes Wasser.«

»Hier gibt es … doch keine Ratten, oder?«

»Genaugenommen ist es ein Brunnen«, erklärte Kahlan, deren Stimme in der Ferne widerhallte. »Und Ratten gibt es in der Burg tatsächlich, Cara. Aber nicht dort, wo ich Euch hinbringe. Versprochen. Hier, gebt mir Eure Laterne. Ich will Euch das Gerüst dieses bedrohlichen Verlieses zeigen.«

Kahlan nahm die Laterne und ging gemächlich zu einer der Lampen an der rechten Wand hinüber. Sie hätte ohne Licht dorthin gehen können, so oft war sie schon hiergewesen, aber sie brauchte die Flamme der Laterne. Sie fand die Hauptlampe, kippte den Zylinder nach hinten und zündete sie mit der Flamme aus Caras Laterne an.

Die Hauptlampe fing Feuer. Mit einer Folge von dumpfen, gedämpften Explosionen leuchteten die übrigen Lampen im Raum auf – Hunderte von ihnen – jeweils zwei gleichzeitig, paarweise, eine auf jeder Seite. Jeder der gedämpften Explosionen folgte fast augenblicklich die nächste, als die Lampen des riesigen Raumes nacheinander von der Hauptlampe entzündet wurden. Rasch wurde es im Raum heller, der Effekt glich dem Hochdrehen des Dochtes einer Lampe.

In Sekundenschnelle war der Vorraum fast taghell, getaucht in den sanften gelblich-orangefarbenen Schein aller Flammen. Der Anblick versetzte Cara und Berdine in fassungsloses Staunen.

Das verglaste Dach, einhundert Fuß weiter oben, war dunkel, tagsüber jedoch durchflutete es den Raum mit Wärme und Licht. Nachts, wenn der Himmel klar war, konnte man die Lampen herunterdrehen und den Sternenhimmel beobachten oder den Raum vom Mondlicht bescheinen lassen.

In der Mitte des gefliesten Raumes stand ein kleeblattförmiger Brunnen. Über der mittleren Schale schoß das Wasser fünfzehn Fuß weit in die Höhe, um dann über eine Stufe nach der anderen in breitere, mit einem welligen Kamm verzierte Schalen hinabzustürzen und schließlich aus in gleichmäßigen Abständen angeordneten Öffnungen im Boden in perfekt aufeinander abgestimmten Bögen in das untere Becken zu fließen. Eine Ummauerung aus scheckig weißem Marmor war so breit, daß sie als Bank dienen mochte.

Berdine stieg eine der fünf Stufen hinunter, die um den ganzen Raum herumliefen. »Er ist wunderschön«, flüsterte sie staunend.