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Wie ihre Konfessorenkraft, die sie stets tief in ihrem Innern gespürt hatte, war inzwischen auch der Con Dar gleich unterhalb der Oberfläche allzeit gegenwärtig: eine drohende Gewitterwolke über dem Horizont. Als sie ihn brauchte, um Richard zu beschützen, hatte sie augenblicklich gespürt, wie er sie durchfuhr: ein bläulicher Blitz, der alles zerstörte, was sich ihm in den Weg stellte.

Ohne die Subtraktive Magie in Verbindung mit der verbreiteten Additiven konnte niemand in der Sliph reisen. Sowohl die Schwestern der Finsternis als auch jene Zauberer, die zu Günstlingen des Hüters geworden waren, waren in der Lage, diese Form der Magie anzuwenden.

Kahlan betrat ihr Schlafgemach. Sie streifte den Morgenrock ab und warf ihn aufs Bett. Sie zog die unterste Schublade ihrer reich verzierten Kommode auf und wühlte in ihren Sachen nach dem Gegenstand, den sie benötigte.

Drinnen lagen die Kleider, die sie früher auf ihren Reisen getragen hatte und die für ihr Vorhaben besser geeignet waren als das weiße Kleid der Mutter Konfessor. Sie stieg in ihre grüne lange Hose. Dann nahm sie ein festes Hemd heraus, zog es über und knöpfte es mit zitternden Fingern zu. Sie stopfte das Hemd in die Hose und schloß den breiten Gürtel. Die Hüfttasche ließ sie zurück.

Ganz hinten aus der Schublade holte Kahlan einen in ein Rechteck aus weißem Stoff gewickelten Gegenstand hervor. Sie legte ihn auf den Boden, beugte sich über ihn und schlug die Ecken des Tuches zurück.

Obwohl sie wußte, was es war und wie es aussah, konnte sie nichts dagegen machen: Sie fröstelte, als sie es jetzt wiedersah.

Auf dem Tuch lag das Knochenmesser, das Chandalen ihr vermacht hatte. Es handelte sich um eine aus dem Armknochen seines Großvaters hergestellte Waffe.

Das Messer hatte ihr bereits einmal das Leben gerettet. Sie hatte Prindin damit getötet, einen Mann, der ihr Freund gewesen war, sich später aber dem Hüter zugewandt hatte.

Zumindest glaubte sie, ihn getötet zu haben. Sie erinnerte sich nicht mehr genau, was an jenem Tag geschehen war. Damals hatte sie unter dem Einfluß eines Giftes gestanden, das Prindin ihr verabreicht hatte. Sie war nicht vollkommen sicher, ob nicht vielleicht doch die Seele von Chandalens Großvater sie gerettet hatte. Prindin hatte sich auf sie geworfen, und plötzlich, so schien es, hatte sie das Messer einfach in der Hand. Sie wußte noch genau, wie sein Blut am Messer herabgelaufen und ihr über das Handgelenk getropft war.

Tiefschwarze Rabenfedern breiteten sich fächerförmig von der runden Knochenverdickung am oberen Ende aus. Raben standen bei den Schlammenschen für mächtige Seelenmagie. Man brachte sie mit Tod in Verbindung.

Chandalens Großvater hatte die Seelen um Hilfe ersucht, um seinen Stamm davor zu bewahren, von einem anderen Stamm der Wildnis, den Jocopo, hingemetzelt zu werden, dem die kriegerische Gier nach Blut den Verstand geraubt hatte. Niemand kannte den Grund, die Folge war jedoch ein Blutbad gewesen.

Er hatte eine Versammlung einberufen und die Seelen um Hilfe gebeten. Damals war sein Stamm friedfertig und nicht in der Lage gewesen, sich zu verteidigen. Die Seelen hatten Chandalens Großvater gezeigt, wie man die Jocopo töten konnte, wodurch sein eigener Stamm zu den Schlammenschen geworden war. Die Schlammenschen verteidigten sich und entledigten sich der Bedrohung.

Die Jocopo gab es nicht mehr.

Chandalens Großvater hatte seinem Sohn beigebracht, wie man Beschützer seines Stammes wurde, und Chandalens Vater wiederum hatte dieses Wissen an Chandalen weitergegeben. Kahlan kannte nur wenige Männer, die diese Aufgabe so gut erfüllten wie Chandalen. In einer Schlacht mit der Armee der Imperialen Ordnung hatte er wie die Verkörperung des Todes gewütet. Sie selbst allerdings nicht minder.

Chandalen trug das aus den Knochen seines Großvaters sowie ein aus denen seines Vaters hergestelltes Seelenmesser stets bei sich. Das aus den Knochen seines Großvaters hatte er Kahlan vermacht, damit es sie beschütze. Und so war es auch gekommen. Vielleicht würde sich das wiederholen.

Kahlan nahm das Knochenmesser voller Ehrfurcht in die Hand.

»Großvater von Chandalen, du hast mir bereits einmal geholfen. Bitte beschütze mich jetzt abermals.« Sie küßte das geschliffene Messer.

Wenn Kahlan Shota schon gegenübertreten mußte, dann wenigstens nicht unbewaffnet. Eine bessere Waffe konnte sie sich nicht vorstellen.

Sie knotete das Band aus gewebter Präriebaumwolle um ihren Arm und schob das Messer hindurch. Es lag, verdeckt von den schwarzen Zierfedern, fest auf ihrem Oberarm. Aufgrund der Befestigungsart ließ sich die Waffe verblüffend schnell ziehen. Kahlan wollte eine Frau aufsuchen, vor der sie sich fürchtete, und mit dem Knochenmesser war ihr dabei entschieden wohler zumute.

Einer anderen Schublade entnahm Kahlan einen leichten hellbraunen Umhang. Wegen der Schneestürme des Frühlings hätte sie gerne einen schwereren eingepackt, es war jedoch damit zu rechnen, daß sie ihnen nicht lange ausgesetzt sein würde. In Agaden würde es nicht so kalt sein wie in Aydindril.

Sie hoffte, die helle Farbe werde es ihr erleichtern, sich unbemerkt an den Posten oben bei der Burg vorbeizuschleichen, zudem ließ sich das Messer in dem leichten Umhang schneller ziehen.

War es töricht zu glauben, sie könne das Messer schneller ziehen, als Shota einen Bann aussprach, überlegte sie, und war eine solche Waffe gegen eine Hexe überhaupt von Nutzen? Sie warf den Umhang über die Schultern. Das Messer war alles, was sie hatte.

Außer ihrer Konfessorenkraft. Vor der hatte Shota Respekt: Gegen die Berührung durch einen Konfessor war niemand gefeit. Gelang es Kahlan, die Hexe zu berühren, wäre es deren Ende. Allerdings besaß Shota Magie, die bislang verhindert hatte, daß Kahlan ihr nahe genug kam, um von ihrer Kraft Gebrauch zu machen.

Damit der blaue Blitz des Con Dar seine Wirkung entfalten konnte, brauchte Kahlan sie allerdings nicht zu berühren. Sie seufzte. Zu ihrer eigenen Verteidigung ließ sich der Con Dar nicht heraufbeschwören. Kahlan hatte Richard mit dem Blitz beschützt, als der Screeling ihn angegriffen hatte und als die Schwestern der Finsternis ihn abgeholt hatten.

Sie spürte, wie eine Woge der Erkenntnis durch ihre Gedanken flutete. Richard liebte sie und wollte sie heiraten, um immer bei ihr sein zu können. Shota hatte ihm diesen Wunsch verwehrt und Nadine geschickt, damit diese ihn heiratete. Davon wollte er nichts wissen.

Nadine war einfach über die Tatsache hinweggegangen, daß Richard Kahlan liebte, hatte ihn gequält und verletzt. Er wollte nicht mit ihr Zusammensein und duldete ihre Anwesenheit nur, weil Shota etwas im Schilde führte und er Angst hatte, sie aus den Augen zu lassen. Auf keinen Fall aber wollte er gezwungen sein, sie zu heiraten.

Shota stand im Begriff, Richard Unheil zuzufügen.

Die Hexe stellte eine Gefahr für ihn dar. Kahlan konnte den Con Dar heraufbeschwören, um ihn zu schützen. Sie hatte es schon einmal getan, als die Schwestern Richard gegen seinen Willen gefangenzunehmen drohten. Kahlan konnte den blauen Blitz benutzen, um Shota in ihre Schranken zu weisen. Dieser Art von Magie hatte die Hexe nichts entgegenzusetzen.

Kahlan wußte, wie Magie funktionierte. Diese Magie stammte aus ihrem Innern. Wie jene aus Richards Schwert war sie mit dem subjektiven Empfinden verbunden. Fühlte Kahlan sich berechtigt, sie zu Richards Verteidigung einzusetzen, dann tat der Con Dar, was sie von ihm verlangte. Sie wußte, Richard wollte nicht, daß Shota ihn benutzte, ihn beherrschte, ihm vorschrieb, wie er sein Leben zu leben hatte.

Kahlans Vorgehen war daher gerechtfertigt: Shota stand im Begriff, Richard Unheil zuzufügen. Der Con Dar würde gegen sie wirken.

Sie hielt inne, ließ sich auf die Fersen sinken und bat die Guten Seelen mit einem Gebet um Unterweisung. Die Vorstellung, sie handele aus Rache oder mache sich auf den Weg, um jemanden zu töten, war ihr unangenehm. Sie wollte nicht denken, daß sie die Absicht hatte, Shota umzubringen. Sie fragte sich, ob sie etwas zu rechtfertigen versuchte, das sich nicht rechtfertigen ließ.