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Nein, sie brach nicht in der Absicht auf, Shota umzubringen. Sie wollte lediglich dieser Geschichte mit Nadine auf den Grund gehen und herausfinden, was die Hexe über die Tempel der Winde wußte.

Doch wenn es nicht anders ging, dann wollte sie sich wehren. Mehr noch, sie hatte die Absicht, Richard vor Shota zu beschützen – vor ihren Plänen, seine Zukunft zu ruinieren. Kahlan war es leid, das Ziel ihres unberechenbaren Zorns zu sein. Sollte Shota versuchen, sie zu töten oder Richard dieses Unheil aufzuzwingen, dann würde Kahlan der Bedrohung ein Ende setzen.

Bereits jetzt vermißte sie Richard. Sie hatten so lange dafür gekämpft zusammenzusein, und jetzt verließ sie ihn. Wäre die Situation umgekehrt, wäre sie dann ebenso verständnisvoll, wie sie dies jetzt von ihm erwartete?

In Gedanken noch bei Richard, zog sie die oberste Schublade auf, in der ihr wertvollster Besitz lag. Ehrfürchtig nahm sie das blaue Hochzeitskleid hervor. Davon abgesehen war die Schublade leer. Sie strich mit den Daumen über den feinen Stoff. Als die Tränen Kahlan überwältigten, drückte sie das Kleid an ihren Busen.

Behutsam legte sie das Kleid wieder an seinen Platz zurück, bevor Tränen darauf tropften. Eine ganze Weile stand sie da, eine Hand auf dem Kleid.

Sie schob die Lade zu. Sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Sie war die Mutter Konfessor, ob ihr das gefiel oder nicht. Shota lebte in den Midlands und gehörte daher zu ihren Untertanen.

Sie wollte nicht sterben, ohne Richard wiederzusehen, aber sie ertrug es nicht mehr, daß Shota sich in ihr Leben einmischte und ihre Zukunft verpfuschte. Die Hexe hatte eine andere Frau geschickt, die Richard heiraten sollte. Kahlan hatte nicht die Absicht, dieser Einmischung tatenlos zuzusehen.

Ihr Entschluß festigte sich. Sie griff hinten in den Kleiderschrank und nahm ein verknotetes Seil von einem hölzernen Haken. Es hing dort für den Fall, daß es brannte und die Mutter Konfessor sich über den Balkon retten mußte.

Der heulende Wind und der Schnee trafen sie wie ein Schock, als sie die Glastüren öffnete. Kahlan kniff gegen den Sturm die Augen zusammen und zog die Türen hinter sich zu. Sie streifte die Kapuze über und stopfte ihr Haar darunter. Es wäre nicht gut, wenn die Leute die Mutter Konfessor erkannten – falls in einer solchen Nacht überhaupt jemand unterwegs war. Sie wußte allerdings, daß die Posten oben bei der Burg der Zauberer draußen sein würden.

Rasch befestigte sie das Seil an einem der vasenförmigen Baluster und warf den Rest der schweren Rolle über das Geländer. In der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen, ob es bis zum Boden reichte. Sie mußte darauf vertrauen, daß, wer immer das Seil in Kahlans Kleiderschrank gehängt hatte, überprüft hatte, ob es lang genug war.

Kahlan schwang ein Bein über das steinerne Geländer, ergriff das Seil mit beiden Händen und machte sich an den Abstieg.

Kahlan hatte sich entschieden, zu Fuß zu gehen. Sehr weit war es nicht, und wenn sie ein Pferd nähme, müßte sie es an der Burg zurücklassen, wo es gefunden werden könnte und sie verraten würde. Oder aber sie müßte es laufenlassen, bevor sie dort ankam, was nur den Befürchtungen Nahrung gäbe, ihr könnte etwas zugestoßen sein. Zu Pferd wäre es auch schwieriger, an den Posten oben bei der Burg vorbeizukommen. Die Guten Seelen hatten ihr einen Frühlingsschneesturm geschickt. Das mindeste, was sie tun konnte, war, ihn zu nutzen.

Während sie durch den schweren, nassen Schnee stapfte, begann sie sich zu fragen, ob es klug gewesen war, zu Fuß aufzubrechen. Sie bekräftigte sich in ihrem Entschluß. Wenn sie bereits jetzt anfing, ihre Entscheidungen in Zweifel zu ziehen, dann stand es ihr nicht zu, die Sache zu Ende zu führen.

Die meisten Läden waren geschlossen. Die wenigen Menschen, denen sie begegnete, waren selbst zu sehr damit beschäftigt voranzukommen, um eine gedrungene Gestalt zu beachten, die sich durch den Wind kämpfte. In der Dunkelheit ließe sich nicht einmal unterscheiden, ob sie Mann war oder Frau. Bald würde sie die Stadt hinter sich haben und befände sich auf der menschenleeren Straße, die zur Burg führte.

Den ganzen Weg hinauf überlegte sie, wie sie am besten an den Wachen vorbeikommen sollte. Es waren d'Haranische Soldaten. Die durfte man nicht unterschätzen. Wenn sie erkannt wurde, wäre dies äußerst unvorteilhaft. Man würde es berichten.

Der einfachste Weg, an Posten vorbeizugelangen, war, sie zu töten. Aber das konnte sie unmöglich tun. Das waren jetzt ihre eigenen Leute, die für ihre Sache und gegen die Imperiale Ordnung kämpften. Sie zu töten stand außer Frage.

Sie mit einem Schlag über den Schädel außer Gefecht zu setzen, wäre ebenfalls nicht gut. Nach ihrer Erfahrung erzielte ein Schlag über den Kopf selten das gewünschte Ergebnis. Manchmal war das Opfer nicht bewußtlos und schrie aus Leibeskräften, bevor man irgend etwas unternehmen konnte, schlug Alarm und rief Wachen herbei, die auf Leben und Tod gegen jeden Eindringling vorgingen.

Außerdem hatte sie bereits Männer nach einem Schlag über den Schädel qualvoll sterben sehen. Das wollte sie nicht riskieren. Man schlug jemanden nur dann auf den Kopf, wenn man seinen Tod einkalkulierte, denn der würde aller Wahrscheinlichkeit nach auch eintreten.

Vermutlich hatten Marlin und die Schwester die Wachen mit Hilfe von Magie unbemerkt passiert. Sie besaß jedoch keine, die dazu imstande gewesen wäre. Kahlans Magie würde ihren Verstand zerstören.

Bliebe ein Täuschungsmanöver, oder sie mußte sich hineinschleichen. D'Haranische Wachposten waren in jeder Art von Täuschungsmanövern ausgebildet und kannten wahrscheinlich mehr Tricks, als sie sich vorstellen konnte.

Damit blieb ihr nur noch das Hereinschleichen.

Sie war nicht sicher, wo sie sich befand, aber sie wußte, daß sie sich ihrem Ziel näherte. Der Wind kam von links, also hielt sie sich tief geduckt auf der rechten Straßenseite, wo sie den Wind im Rücken hatte. Sobald sie nahe genug war, würde sie auf allen vieren kriechen müssen.

Wenn sie sich auf die Erde legte, den Umhang über sich breitete und eine Weile wartete, würde der Schnee sie bedecken und unsichtbar machen. Dann mußte sie langsam weiterkriechen und, sobald sie einen Soldaten erblickte, einfach still liegenbleiben, bis er vorüber war. Sie wünschte, sie hätte daran gedacht, Handschuhe mitzunehmen.

Sie beschloß, sich nicht näher heranzuwagen, und wechselte hinüber auf die rechte Straßenseite. Die Brücke würde der schwierigste Teil werden. Dort würde sie wie in einem Trichter in einen verhältnismäßig schmalen Engpaß geraten, wo sie den Soldaten nicht mehr ausweichen konnte. Allerdings fürchteten sich die Soldaten vor der Magie der Burg der Zauberer und standen vermutlich nicht unmittelbar vor der Brücke. Beim letzten Mal hatten sie zwanzig, dreißig Fuß von ihr entfernt gestanden, und in der Dunkelheit und in diesem Schnee war die Sicht alles andere als prächtig.

Allmählich wurde sie zuversichtlicher, was ihre Chance anbetraf, ungesehen durchzukommen. Der Schnee würde ihr ausreichend Deckung bieten.

Kahlan erstarrte mitten in der Bewegung, als eine Schwertklinge vor ihrem Gesicht auftauchte. Ein schneller Blick ergab, daß sich auf ihrer anderen Seite ebenfalls eine Klinge befand. Ein weiterer Soldat drückte ihr einen Spieß von hinten in den Nacken.

Soviel zum Thema heimliches Hineinschleichen.

»Wer da?« erschallte vor ihr eine barsche Stimme.

Kahlan mußte sich etwas Neues einfallen lassen, und das schnell. Rasch entschied sie sich für ein kleines Stückchen Wahrheit, gemischt mit der Angst der Soldaten vor Magie.

»Ihr habt mich fast zu Tode erschreckt, Kommandant. Ich bin es, die Mutter Konfessor.«

»Zeigt Euch.«

Kahlan streifte ihre Kapuze zurück. »Ich dachte, ich käme unerkannt an Euch vorbei. Aber offenbar sind d'Haranische Posten besser als ihr Ruf.«

Die Männer senkten die Waffen. Kahlan war überaus erleichtert, als sie merkte, wie ihr der Spieß aus dem Nacken genommen wurde. Mit der Waffe hätte der Posten sie im Zweifelsfall getötet.

»Mutter Konfessor! Ihr habt uns wirklich einen Schrecken eingejagt. Was wollt Ihr heute nacht denn schon wieder hier oben? Und obendrein noch zu Fuß.«