Kahlan fügte sich seufzend in ihr Schicksal. »Ruft alle Eure Männer zusammen, dann werde ich es Euch erklären.«
Der Kommandant deutete mit dem Kopf nach hinten. »Hier entlang. Wir haben eine kleine Hütte. Damit Ihr aus dem Wind herauskommt.«
Sie ließ sich auf die andere Straßenseite führen, wo eine einfache dreiwandige Konstruktion stand, die ein wenig Schutz vor Wind und nassem Wetter bieten sollte. Sie war nicht groß genug für sie und alle sechs Soldaten. Die Soldaten bestanden darauf, sie solle sich auf den trockensten Platz ganz hinten stellen.
Sie war hin- und hergerissen zwischen der Zufriedenheit darüber, daß selbst bei einem Schneesturm niemand an den d'Haranischen Posten vorbeikam, und dem Wunsch, es wäre ihr gelungen. Das hätte alles sehr vereinfacht. Jetzt würde sie sich herausreden müssen.
»Hört alle zu«, begann sie. »Ich habe nicht viel Zeit, da ich in einer wichtigen Mission unterwegs bin. Aus diesem Grund bin ich auf Euer Vertrauen angewiesen. Euer aller Vertrauen. Habt Ihr alle von der Pest gehört?«
Die Männer bestätigten mit einem Brummen, sie wüßten Bescheid, und traten verlegen aufs andere Bein.
»Richard, Lord Rahl, versucht eine Möglichkeit zu finden, sie aufzuhalten. Wir wissen nicht, ob es eine Möglichkeit gibt, aber er wird unermüdlich danach suchen, das wißt Ihr. Er würde alles tun, um sein Volk zu retten.«
Die Männer nickten erneut. »Was hat das mit –«
»Ich bin in Eile. Zur Zeit schläft Lord Rahl. Die Suche nach einem Mittel gegen die Pest hat ihn erschöpft. Nach einem Mittel der Magie.«
Die Männer richteten sich ein wenig auf. Der Kommandant rieb sich das Kinn. »Wir wissen, daß Lord Rahl uns nicht im Stich lassen würde. Er hat mich vor ein paar Tagen geheilt.«
Kahlan blickte in die Augen, die ihr entgegenstarrten. »Nun, was wäre, wenn Lord Rahl selbst an der Pest erkranken würde? Bevor er eine Lösung findet? Was würde dann passieren? Dann wären wir alle tot.«
Die Angst stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Für D'Haraner war der Verlust eines Lord Rahl eine verhängnisvolle Sache. Er brachte ihrer aller Zukunft in Gefahr.
»Wie kann man ihn dagegen schützen?« fragte der Kommandant.
»Das hängt ganz von Euch Männern ab, hier und heute nacht.«
»Was vermögen wir zu tun?«
»Lord Rahl liebt mich. Ihr alle wißt, wie besorgt er um mich ist. Die ganze Zeit über läßt er mich von diesen Mord-Sith beschatten. Wachen begleiten mich auf Schritt und Tritt, wohin ich auch gehe. Er würde nicht zulassen, daß ich auch nur auf eine Entfernung von Meilen in die Nähe einer Gefahr gerate. Stets ist er zur Stelle, bevor das Unheil auch nur einen flüchtigen Blick auf mich erhaschen kann.
Ebensowenig möchte ich, daß ihm etwas zustößt. Was wäre, wenn er an der Pest erkrankt? Dann verlieren wir alle ihn.
Ich habe vielleicht einen Weg gefunden, ihm zu helfen, die Seuche aufzuhalten, bevor sie uns alle befallen kann – und bevor er sich ansteckt, was irgendwann ganz sicher geschehen wird.«
Ihnen stockte der Atem. »Wie können wir helfen?« fragte der Kommandant.
»Was ich tue, hat etwas mit Magie zu tun – mit sehr gefährlicher Magie. Wenn ich Erfolg habe, kann ich Lord Rahl vielleicht vor der Pest bewahren. Uns alle. Aber wie gesagt, es ist gefährlich.
Ich muß mit Hilfe von Magie für ein paar Tage fort, um festzustellen, ob ich Lord Rahl helfen kann, die Seuche aufzuhalten. Als Soldaten wißt Ihr, wie streng er mich bewacht. Er würde mich niemals gehen lassen. Eher würde er sterben, als zulassen, daß ich mich einer Gefahr aussetze. In dieser Hinsicht kann man mit ihm nicht vernünftig reden.
Aus diesem Grund habe ich die Mord-Sith und meine anderen Bewacher getäuscht. Niemand weiß, wohin ich gehe. Erfährt Richard von meinem Plan, wird er mir folgen und sich der gleichen Gefahr aussetzen wie ich. Welchen Sinn hätte das? Wenn ich getötet werde, wird er ebenfalls getötet werden. Habe ich Erfolg, besteht kein Grund, daß er mir folgt.
Ich wollte nicht, daß jemand erfährt, wohin ich heute nacht aufbreche. Ihr, Männer, seid jedoch zu gute Wachen. Jetzt liegt es bei Euch. Ich riskiere mein Leben, um Lord Rahl zu beschützen. Wollt Ihr ihn ebenfalls beschützen, dann müßt Ihr Verschwiegenheit geloben. Selbst wenn er Euch in die Augen blickt, müßt Ihr ihm erklären, Ihr hättet mich nicht gesehen und niemand sei hier heraufgekommen.«
Die Männer scharrten mit den Füßen, räusperten sich und sahen einander an.
Die Finger des Wachhauptmanns spielten nervös am Heft seines Schwertes. »Wenn Lord Rahl uns in die Augen blickt und uns eine Frage stellt, dürfen wir ihn nicht anlügen, Mutter Konfessor.«
Kahlan beugte sich näher an den Mann heran. »Dann könnt Ihr ihn ebensogut auf der Stelle erschlagen. Denn das käme auf dasselbe heraus. Wollt Ihr Lord Rahls Leben gefährden? Wollt Ihr für seinen Tod verantwortlich sein?«
»Selbstverständlich nicht! Wir alle würden unser Leben für ihn geben!«
»Ich bin ebenfalls bereit, mein Leben für ihn zu opfern. Wenn er dahinterkommt, was ich tue oder wohin ich heute nacht gegangen bin, wird er mir folgen. Helfen kann er mir nicht, aber er könnte dabei das Leben verlieren.«
Kahlan zog ihren Arm unter ihrem Umhang hervor und zeigte nacheinander auf das Gesicht jedes einzelnen Mannes. »Ihr seid dafür verantwortlich, wenn Lord Rahls Leben in Gefahr gerät. Es ist Eure Schuld, wenn er sinnlos ein Risiko eingeht. Womöglich tötet Ihr ihn so.«
Der Kommandant blickte jedem seiner Männer in die Augen. Er rieb sich das Gesicht und überlegte. Schließlich ergriff er das Wort.
»Was verlangt Ihr von uns? Sollen wir auf unser Leben schwören?«
»Nein«, erwiderte Kahlan. »Schwört auf Lord Rahls Leben.«
Die Männer sanken, dem Beispiel des Kommandanten folgend, auf ein Knie.
»Wir schwören einen Eid auf das Leben von Lord Rahl, niemandem zu verraten, daß wir Euch heute nacht gesehen haben, des weiteren schwören wir, daß außer Euch und den beiden Mord-Sith früher am Tag niemand die Burg betreten hat.« Er sah sich nach seinen Männern um. »Schwört es.«
Nachdem alle den Schwur geleistet hatten, erhoben die Männer sich. Der Kommandant legte Kahlan väterlich die Hand auf die Schulter.
»Ich kenne mich mit Magie nicht aus, Mutter Konfessor, das ist die Sache von Lord Rahl, und ich weiß auch nicht, was Ihr heute nacht vorhabt, aber Euch möchten wir ebensowenig verlieren wie ihn. Lord Rahl braucht Euch. Was immer Ihr vorhabt, gebt auf Euch acht!«
»Vielen Dank, Kommandant. Ich denke, Eure Männer sind die größte Gefahr, der ich heute nacht begegnen werde. Morgen wird sich das ändern.«
»Findet Ihr den Tod, dann entbindet uns das von unserem Eid. Wenn Ihr sterbt, müssen wir Lord Rahl mitteilen, was wir wissen. Man wird uns hinrichten, sollte es dazu kommen.«
»Nein, Kommandant. Lord Rahl würde nichts dergleichen tun. Deswegen müssen wir unsere Pflicht tun und ihn beschützen. Denn ohne ihn wird die Imperiale Ordnung über uns herfallen. Diese Menschen haben keinen Respekt vor dem Leben – sie waren es, die diese Pest geschickt haben. Und zwar zuerst Kindern.«
Kahlan mußte schlucken, als sie in das silberne Gesicht der Sliph blickte.
»Ja, ich bin bereit. Was soll ich tun?«
Eine glänzende metallische Hand hob sich aus dem Becken und berührte den oberen Rand der Mauer. »Komm zu mir«, sagte die Stimme, die im Raum widerhallte. »Du brauchst nichts zu tun. Das übernehme ich.«
Kahlan kletterte auf die Mauer. »Und du kannst mich ganz sicher nach Agaden bringen?«
»Ja. Ich war schon einmal dort. Es wird dir gefallen.«
Kahlan wußte nicht so recht, ob es ihr gefallen würde. »Wie lange wird es dauern?«
Die Sliph schien die Stirn zu runzeln. Kahlan sah ihr Spiegelbild in ihrer glänzenden Oberfläche.
»Von hier bis dort. So lange. Ich war schon einmal dort.«
Kahlan seufzte. Die Sliph schien nicht zu begreifen, daß sie dreitausend Jahre geschlafen hatte. Was bedeutete für sie ein Tag mehr oder weniger?