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Ann strauchelte, als sie weitergestoßen wurde, fing sich aber wieder. »Ich bin zu alt«, murmelte sie, den Blick in den Himmel gerichtet, »um mich mit einem Verrückten herumzutreiben.«

Eine Stunde forschen Marsches brachte sie zum Dorf der Nangtong. Plumpe, runde Zelte, vielleicht dreißig an der Zahl, bildeten ihr mobiles Dorf. Die niedrigen Zelte kauerten sich dicht an den Erdboden, um dem Wind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Einfriedungen aus hohen Stockzäunen beherbergten ein buntes Gemisch von Tieren.

Schwatzende Menschen, von Kopf bis Fuß in schmuckloses Tuch gehüllt, damit ihre Identität vor den Opfern verborgen blieb, die im Begriff standen, ihre Gebete in die Welt der Seelen hinüberzutragen, kamen aus ihren Hütten und wollten sehen, wie Zedd und Ann hinter vorgehaltenen Speerspitzen durch das Dorf getrieben wurden. Ihre Häscher, beschmiert mit weißer Asche, die Augen schwarz bemalt, waren als Tote verkleidete Jäger, damit niemand Gefahr lief, als einer der Lebenden erkannt zu werden.

Vor einem Pferch wurde Zedd zurückgerissen, damit er stehenblieb, während die Männer die Seilschlaufe am Gatter lösten. Das Tor schwang im Mondlicht auf. Offenbar war ihnen das gesamte Nangtongdorf gefolgt. Die Menschen johlten und brüllten, als die beiden Gefangenen durch das Gatter getrieben wurden. Wahrscheinlich wollten sie den beiden Seelen, die im Begriff standen, im Namen der Nangtong mit deren Vorfahren zu sprechen, irgendwelche Botschaften mit auf den Weg geben.

Zedd und Ann, die Handgelenke noch immer hinter dem Rücken gefesselt, wurden in den Pferch gestoßen und stürzten zu Boden. Sie landeten im Matsch. Grunzende Schatten sprangen davon. Schweine! Dem Untergrund nach, den sie zu einem morastigen Sumpf aufgewühlt hatten, stand das Dorf seit wenigstens einigen Monaten an dieser Stelle.

Die Seelenjäger, fast fünfzig Mann, wie Zedd schätzte, gingen auseinander. Eingekreist von fröhlichen Kindern und stoischen Frauen, machten sich ein paar zu ihren Zelten auf. Andere umstellten den Pferch, um Wache zu halten. Die meisten der Anwesenden riefen den Gefangenen etwas zu und gaben ihnen Botschaften an die Vorfahren mit.

»Warum tut ihr das?« fragte Zedd einen der Bewacher. Er deutete mit einem Nicken auf Ann. »Warum?« Er zuckte die Achseln.

Einer der Bewacher schien zu verstehen. Er machte eine schneidende Bewegung über seine Kehle, dann deutete er imaginäres Blut an, das aus der vorgetäuschten Wunde rann. Er zeigte mit seinem Speer auf den Mond.

»Blutmond?« fragte Ann kaum hörbar.

»Roter Mond«, hauchte Zedd, als er begriff. »Nach dem, was ich zuletzt gehört habe, haben die Konfessoren den Nangtong das Versprechen abgenommen, keine Menschenopfer mehr darzubringen. Ich war nie sicher, ob sie ihr Versprechen halten würden. Wie auch immer, die Menschen haben sich von ihnen ferngehalten.

Der rote Mond muß ihnen angst und sie glauben gemacht haben, die Welt der Seelen sei erzürnt. Wahrscheinlich sollen wir deshalb auch geopfert werden: um die erzürnten Seelen zu besänftigen.«

Ann wand sich unbehaglich neben ihm im Schlamm. Sie warf ihm einen mörderischen Blick zu.

»Ich bete nur, daß Nathan sich in einer Lage befindet, die noch schlimmer als die unsere ist.«

»Was meintest du doch gleich«, fragte Zedd zerstreut, »über das Herumtreiben mit einem Verrückten?«

39

»Was meint Ihr?« fragte Clarissa.

Sie drehte sich erst ein wenig in die eine, dann in die andere Richtung und versuchte eine möglichst natürliche Pose einzunehmen, dabei kam sie sich alles andere als natürlich vor. Sie wußte nicht recht, was sie mit den Händen anfangen sollte, also verschränkte sie sie hinter ihrem Rücken.

Nathan fläzte sich in einem Sessel, wie sie ihn prächtiger noch nicht gesehen hatte. Sitz und Rückenlehne, beides gepolstert, waren mit einem hellbraunen und goldengestreiften Stoff bezogen. Sein linkes Bein hing bequem über einer der reich verzierten Armlehnen, während sein Ellenbogen lässig auf der anderen lag. Sein Kinn ruhte nachdenklich in seiner Hand. Die fein gearbeitete Silberscheide seines Schwertes hing herab, so daß deren Spitze vor dem Sessel den Boden berührte.

Nathan lächelte das ihm eigene Lächeln, welches verriet, daß er sich aufrichtig freute.

»Meine Liebe, ich finde, Ihr seht wunderbar aus.«

»Bestimmt? Das sagt Ihr nicht einfach so? Es gefällt Euch wirklich? Ich wirke nicht … albern darin?«

Er lachte vergnügt in sich hinein. »Nein, albern ganz bestimmt nicht. Hinreißend vielleicht.«

»Aber ich komme mir … ich weiß nicht … vermessen vor. Ich habe noch nie so elegante Kleider gesehen, geschweige denn anprobiert.«

Er zuckte die Achseln. »Dann wird es allmählich Zeit.«

Der Damenschneider, ein dürrer, gepflegter Mann, dessen kahle, weite Schädeldecke nur eine einzige lange graue Locke zierte, kehrte durch die mit einem Vorhang verhängte Tür zurück. Er packte die beiden Enden des um seinen Hals geschlungenen Maßbandes und zog es nervös hin und her.

»Die Dame findet das Kleid annehmbar?«

Clarissa erinnerte sich, wie sie sich Nathans Anweisungen entsprechend zu benehmen hatte. Sie strich den schweren, blauen Samt an ihren Hüften glatt.

»Es sitzt nicht ganz perfekt –«

Die Zunge des Damenschneiders schnellte zwischen seinen Lippen hervor. »Nun ja, meine Dame, hätte ich gewußt, daß Ihr mein Geschäft beehrt, oder hättet Ihr Eure Maße vorab geschickt, dann hätte ich gewiß die nötigen Änderungen vorgenommen.« Er warf einen Blick zu Nathan hinüber. Seine Zunge zuckte abermals hervor. »Seid versichert, meine Dame, ich bin in der Lage, das auch jetzt jederzeit zu tun.«

Der Mann verbeugte sich vor Nathan. »Was meint Ihr, mein Herr? Immer vorausgesetzt, es würde Euren Wünschen entsprechend geändert, meine ich.«

Nathan verschränkte die Arme und betrachtete Clarissa wie ein Bildhauer sein unfertiges Werk. Er kniff die Augen zusammen und überlegte, rollte seine Zunge in der Wange und gab kehlige Laute von sich, als könne er sich nicht recht entscheiden. Der Schneider spielte nervös mit den Enden des Maßbandes.

»Wie die Dame bereits sagte, um die Hüfte sitzt es ein wenig salopp.«

»Seid unbesorgt, mein Herr.« Der Damenschneider war im Nu hinter ihr und zupfte beherzt am Stoff herum. »Seht Ihr, hier? Ich brauche nur ein, zwei Abnäher zu machen. Die verehrte Dame ist mit einer vortrefflichen Figur gesegnet. Ich habe es hier selten mit Damen von so elegantem Körperbau zu tun, trotzdem kann ich das Kleid in wenigen Stunden ändern lassen. Es wäre mir die größte Ehre, die Arbeit noch heute abend zu erledigen und es Euch liefern zu lassen in das – in das – wo logiert Ihr doch gleich, mein Herr?«

Nathan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich werde noch eine angemessene Unterkunft suchen müssen. Gibt es ein Haus, das Ihr guten Gewissens empfehlen könnt?«

Der Damenschneider verneigte sich erneut. »Haus Wildrose wäre das eleganteste Gasthaus in Taniumura, mein Herr. Wenn Ihr wollt, schicke ich rasch meinen Gehilfen hinüber und lasse die entsprechenden Vorbereitungen für Euch und … die Dame treffen.«

Nathan richtete sich im Sessel auf und fischte eine Goldmünze aus seiner Tasche. Er schnippte dem Mann die Münze zu, gefolgt von einer zweiten und schließlich einer dritten.

»Ja, danke, das wäre sehr freundlich von Euch.« Er runzelte nachdenklich die Stirn, dann warf er dem Mann eine vierte zu. »Es ist schon spät, aber ich bin sicher, Ihr könnt sie überreden, den Gastraum bis zu unserem Eintreffen geöffnet zu lassen. Wir waren den ganzen Tag unterwegs und könnten eine anständige Mahlzeit gebrauchen.« Er drohte dem Mann mit dem Zeigefinger. »Die besten Zimmer, wohlgemerkt. Ich werde nicht zulassen, daß man mich in irgendeinem engen Stall unterbringt!«

»Ich versichere Euch, mein Herr, die Wildrose hat kein einziges Zimmer, das man auch nur im entferntesten als Stall bezeichnen könnte, nicht einmal ein Herr wie Ihr. Und wie lange wünscht Ihr dort zu verweilen – nur damit mein Gehilfe es ausrichten kann?«