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Nathan strich über die Rüschen an seiner Hemdbrust. »Bis Kaiser Jagang nach mir verlangt, natürlich.«

»Selbstverständlich, mein Herr. Und möchtet Ihr das Kleid, mein Herr?«

Nathan hakte einen Daumen in die kleine Tasche an der Vorderseite seiner grünen Weste und ließ seine Hand herabhängen. »Für den Alltag wird es genügen müssen. Was hättet Ihr an ein wenig eleganteren Modellen?«

Der Damenschneider verneigte sich lächelnd. »Erlaubt, daß ich Euch einige andere zur Ansicht bringe. Die werte Dame kann dann diejenigen anprobieren, die Euch zusagen.«

»Ja«, erwiderte Nathan. »Ja, das wäre wohl das beste. Ich verfüge über beträchtliche Erfahrung und einen ausgeprägten Geschmack. Ich bin Besseres gewöhnt. Bringt etwas, das mir Bewunderung entlockt.«

»Selbstverständlich, mein Herr.« Er verbeugte sich zweimal und eilte davon.

Nachdem der Mann verschwunden war, schmunzelte Clarissa verwundert. »Nathan! Das ist das eleganteste Kleid, das ich je zu Gesicht bekommen habe, und Ihr verlangt, daß er uns noch etwas Besseres zeigt?«

Nathan sah sie mit gespieltem Erstaunen an. »Nichts ist zu gut für die Konkubine des Kaisers, die Frau, die das Kind des Herrschers in sich trägt.«

Ihr Herz schlug schneller, als der Prophet zum wiederholten Male davon sprach. Wenn sie in seine himmelblauen Augen blickte, glaubte sie dort manchmal etwas Eigentümliches zu erkennen, das bei ihr ein leichtes, unbestimmtes Gefühl auslöste, wenngleich nur für einen Augenblick, daß Nathan weit mehr als wahnsinnig war. Brachte er dann aber das ihm eigene heitere Lächeln auf seine Lippen, schmolz sie angesichts seiner Zuversicht dahin.

Er war wagemutiger als jeder andere Mann, dem sie begegnet war. Seine Tapferkeit hatte sie vor den Rohlingen in Renwold gerettet. Seitdem hatte seine Dreistigkeit ihnen aus Situationen herausgeholfen, die ihr mehr als nur hoffnungslos erschienen waren.

Diese Verwegenheit, die alle Kühnheit so weit übertraf, mußte einen Funken Wahnsinn enthalten.

»Ich vertraue Euch, Nathan. Und ich tue alles, was Ihr von mir verlangt. Aber würdet Ihr mir bitte verraten, ob dies ein Lügenmärchen ist, mit dem wir hier bestehen wollen, oder ob Ihr wirklich eine derart schaurige Zukunft für mich seht?«

Nathan nahm sein Bein herunter und richtete sich zu seiner vollen, alles überragenden Größe auf. Er nahm eine ihrer Hände und legte sie auf sein Herz, als sei sie eine äußerst zarte Blüte. Sein langes silbergraues Haar fiel über seine Schulter nach vorn, während er ganz nah vor ihr stand und ihr in die Augen sah.

»Es ist nur eine Geschichte, um meine Ziele zu erreichen, Clarissa. Sie spiegelt in keiner Weise wider, was ich für die Zukunft sehe. Ich will Euch nicht anlügen und Euch erzählen, uns stünden keine Gefahren bevor, doch seid vorerst unbesorgt und genießt das Leben. Wir müssen eine Weile warten, und ich wollte Euch die Zeit so angenehm wie möglich vertreiben.

Es steht Euch frei, zu tun, was Ihr tun müßt. Ich vertraue auf Euer Wort. Ich wollte Euch in der Zwischenzeit nur eine Gefälligkeit erweisen.«

»Aber sollten wir uns nicht dort verstecken, wo die Menschen uns nicht kennen? Irgendwo, wo uns niemand sieht?«

»So verstecken sich Verbrecher oder unerfahrene Ausreißer. Aus diesem Grund werden sie auch gefaßt. So etwas macht die Menschen mißtrauisch. Wer jemanden verfolgt, sieht in allen dunklen Löchern nach und kommt überhaupt nicht auf die Idee, im Licht zu suchen. Solange wir uns verborgen halten müssen, ist die Öffentlichkeit das beste Versteck.

Die Geschichte ist zu absurd, und niemand wird sie glauben. Kein Mensch käme je auf den Gedanken, jemand besäße die Kühnheit, sich eine solche Geschichte auszudenken, deswegen wird niemand an ihr zweifeln.

Außerdem verstecken wir uns genaugenommen gar nicht. Niemand verfolgt uns. Wir wollen nur kein Mißtrauen erregen. Genau das täten wir aber, wenn wir uns versteckten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ihr seid unglaublich, Nathan.«

Clarissa betrachtete die Taille des wunderschönen Kleides, zumindest, was sie davon unter ihrem offenherzigen Busen erkennen konnte, der so hoch geschnürt war, daß ihre Brüste fast herausfielen. Sie zupfte an den Stützen, die unter ihrem Busen gegen ihre Rippen drückten. Noch nie hatte sie so seltsame und unbequeme Unterkleider getragen. Wozu sie alle dienen sollten, davon hatte sie keine Ahnung. Sie strich den seidenen Rock des Kleides glatt.

»Steht es mir gut? Ganz ehrlich? Sagt mir die Wahrheit, Nathan. Ich bin nur eine einfache, unscheinbare Frau. Wirkt es an einer unscheinbaren Frau nicht albern?«

Nathan runzelte die Stirn. »Unscheinbar? Glaubt Ihr das wirklich?«

»Natürlich. So dumm bin ich nicht. Ich weiß, daß ich nicht –«

Nathan winkte ihr, sie solle schweigen. »Vielleicht solltet Ihr Euch selbst ein Bild machen.«

Er zog das Tuch vom Standspiegel. Sie befanden sich in einem Vorführzimmer für Herren. Als er sie in Fragen der Etikette und der Schicklichkeit unterrichtet hatte, hatte er ihr erklärt, die Spiegel an einem solchen Ort würden selten benutzt, und sie dürfe in keinen hineinschauen, es sei denn, man bat sie darum. In einem so exklusiven Geschäft zählte der Blick in den Augen des Herrn, nicht der in den Spiegel.

Nathan faßte sie sachte am Ellenbogen und geleitete sie vor den Spiegel. »Vergeßt die Vorstellung, die Ihr selbst von Euch habt, und betrachtet, was andere vor sich haben, wenn sie Euch anschauen.«

Clarissas Finger spielten nervös mit dem gerafften Zierat an ihrer Hüfte. Sie nickte Nathan zu, fürchtete aber, in den Spiegel zu schauen und von jenem Anblick enttäuscht zu werden, den sie nur zu gut kannte. Er drängte sie erneut. Innerlich vor Verlegenheit ein ganz klein wenig zusammenzuckend, drehte sie sich um und betrachtete staunend ihr Konterfei.

Bei dem Anblick, der sich ihr bot, fiel ihr die Kinnlade herunter.

Clarissa erkannte sich nicht wieder. So jung sah sie doch gar nicht aus. Eine Frau – kein junges, launisches Fräulein, sondern eine Frau in voller Blüte, eine elegante Frau von Rang – blickte ihr entgegen.

»Nathan«, hauchte sie, »mein Haar … so lang war mein Haar doch gar nicht. Wie hat die Frau, die es heute nachmittag frisiert hat, es länger machen können?«

»Oh, nun, das hat sie gar nicht. Ich habe dafür ein wenig Magie benutzt. Ich dachte, es sähe so besser aus. Ihr habt hoffentlich nichts dagegen?«

»Nein«, antwortete sie leise. »Es ist wunderschön.«

Man hatte ihr weiches braunes Haar zu Löckchen gedreht und zarte violette Bänder hineingeflochten. Sie wiegte den Kopf hin und her. Die Löckchen hüpften auf und ab und schwangen von einer Seite zur anderen. Clarissa hatte einmal eine Dame von hohem Rang in Renwold gesehen, die ihr Haar so wie sie getragen hatte. Sie hatte noch nie so schönes Haar gesehen. Und jetzt hatte Clarissa die gleiche Pracht auf dem Kopf.

Sie bestaunte sich im Spiegel. Ihre Gestalt war so … Wohlgestalt. All diese harten, engsitzenden Dinger unter ihrem Kleid hatten ihren Körper irgendwie umgeformt. Clarissa errötete, als sie bemerkte, wie ihr Busen sich nach oben drückte, fast unbedeckt, so daß er für aller Augen sichtbar war.

Natürlich war ihr immer klar gewesen, daß Frauen wie Manda Perlin nicht wirklich so gebaut waren, wie es schien. Ohne die Kleider waren deren Körperformen nicht viel anders als die jeder anderen Frau, nur hatte Clarissa nie gewußt, wieviel davon auf das Konto der Kleider ging, die diese attraktiven Damen trugen.

Im Spiegel, in diesem Kleid, das Haar auf diese Weise frisiert und mit der Schminke im Gesicht, war sie jeder einzelnen von ihnen ebenbürtig. Älter vielleicht, doch dieses Alter schien das, was sie vor sich hatte, nur noch zu unterstreichen, und verlieh ihm keineswegs etwas Verbrauchtes, Unansehnliches, wie sie immer geglaubt hatte.

Und dann entdeckte sie den Ring in ihrer Lippe.

Er war aus Gold, nicht aus Silber.

»Nathan«, fragte sie leise, »was ist mit dem Ring passiert?«