»Oh, richtig, der Ring. Nun, es wäre unklug, Euch mit einem Silberring in der Lippe als angebliche Konkubine des Kaisers auszugeben und seinen kleinen Kaisererben austragen zu lassen. Jeder weiß, daß der Kaiser nur Frauen mit einem Goldring in sein Bett befiehlt.
Außerdem seid Ihr fälschlicherweise mit einem Silberring markiert worden. Diese Männer waren einfach völlig blind.« Er machte eine großartige Handbewegung. »Ich habe selbstverständlich einen Blick für so etwas.« Er machte eine einladende Geste Richtung Spiegel. »Seht selbst. Diese Frau ist zu schön, um etwas anderes als einen Goldring zu tragen.«
Der Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte, kamen die Tränen. Clarissa wischte sich mit dem Finger vorsichtig über den unteren Rand des Lids. Sie fürchtete, die Schminke zu verwischen, die die Frau ihr aufgetragen hatte, während ihr Locken gedreht wurden.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Nathan. Ihr habt etwas Magisches bewirkt. Ihr habt eine einfache Frau in etwas…«
»… Wunderschönes verwandelt«, beendete er den Satz.
»Aber warum?«
Sein Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. »Seid Ihr so schwer von Begriff? Ich konnte es mir schließlich nicht erlauben, daß Ihr schlicht wirkt.« Er deutete mit einer schwungvollen Bewegung auf sich selbst. »Niemand würde glauben, ein so gutaussehender Mann wie ich würde sich mit einer weniger schönen Frau zeigen.«
Clarissa schmunzelte. Sie fand ihn gar nicht mehr so alt wie zu Anfang, als sie ihn kennengelernt hatte. Eigentlich machte er einen eleganten Eindruck. Elegant und vornehm.
»Danke, Nathan, daß Ihr an mich glaubt, und das in mehr als einer Hinsicht.«
»Mit Glauben hat das nichts zu tun, sondern mit dem Blick für das, was andere nicht bemerken. Jetzt werden sie es erkennen.«
Sie sah kurz zu dem Vorhang hinüber, hinter dem der Damenschneider verschwunden war. »Aber das ist alles so teuer. Das Kleid alleine würde mich fast einen Jahresverdienst kosten. Und all die anderen Sachen: die Speisen, Kutschen, Hüte, die Schuhe, die Frauen, die mein Haar und mein Gesicht zurechtgemacht haben. Das ist alles so teuer. Ihr werft mit dem Geld um Euch wie ein Prinz auf einer Urlaubsreise. Wie könnt Ihr Euch das nur leisten?«
Das schlaue Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. »Im … Geldmachen bin ich gut. Ich kann gar nicht so viel ausgeben, wie ich mache. Zerbrecht Euch deswegen nicht den Kopf, das alles bedeutet mir nicht viel.«
»Oh.« Sie sah noch einmal in den Spiegel. »Natürlich.«
Er räusperte sich. »Was ich damit sagen will, ist, Ihr seid wichtiger als unbedeutende Gold- oder Geldangelegenheiten. Der Mensch ist bedeutender als derartige Überlegungen. Und wenn es meine letzte Kupfermünze wäre, ich würde sie nicht mit weniger Begeisterung oder größerem Bedacht ausgeben.«
Als der Damenschneider schließlich mit einer Auswahl phantastischer Kleider zurückkehrte, wählte Nathan eine Anzahl von ihnen aus, die sie anprobieren sollte. Clarissa ging mit ihnen ins Ankleidezimmer und probierte jedes einzelne mit der Hilfe der Frau des Schneiders an. Sie glaubte nicht, daß sie in der Lage gewesen wäre, auch nur eines von ihnen alleine zu binden, zu schnüren und zu knöpfen.
Nathan bedachte jedes Kleid, mit dem sie herauskam, mit einem Lächeln und erklärte dem Schneider, er werde es kaufen. Eine Stunde später hatte Nathan ein halbes Dutzend Kleider ausgewählt und dem Mann eine Handvoll Goldmünzen in die Hand gedrückt. Solange sie lebte, hatte sie sich keinen Ort vorstellen können, an dem ein solcher Reichtum herrschte, daß Kleider bereits fertig genäht waren. Dies war ein weiterer Anhaltspunkt dafür, wie sehr sich ihr Leben durch Nathan verändert hatte. Nur die sehr Reichen oder die Angehörigen des Königshauses kauften Kleider auf diese Art.
»Ich werde die nötigen Änderungen vornehmen, mein Herr, und Euch die Kleider ins Haus Wildrose schicken lassen.« Sein Blick zuckte hinüber zu Clarissa. »Vielleicht wünschen der Herr, daß ich einige von ihnen etwas weiter lasse, damit sie sich der werten Dame anpassen, wenn sie das Kind unseres Kaisers trägt?«
Nathan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, nein. Ich mag es, wenn sie so gut aussieht wie irgend möglich. Ich werde eine Näherin beauftragen, sie weiter zu machen, sollte dies erforderlich werden, oder einfach andere kaufen, die ihr passen, wenn es soweit ist.«
Plötzlich war es Clarissa peinlich, daß dieser Damenschneider zu glauben schien, sie sei nicht nur eine Mätresse des Kaisers, sondern auch Nathans. Der Ring durch ihre Lippe, wenngleich er aus Gold war, kennzeichnete sie als Sklavin. Kind oder nicht, Goldring oder nicht, eine Sklavin bedeutete dem Kaiser wenig.
Nathan erklärte jedem dreist, er sei Kaiser Jagangs Generalbevollmächtigter, woraufhin sich alle unablässig verbeugten und ein Bein ausrissen. Clarissa war nichts weiter als ein Besitz, den der vertraute Generalbevollmächtigte des Kaisers mit diesem teilte.
Die Seitenblicke des Schneiders taten endlich ihre Wirkung. In seinen Augen war sie eine Hure. Vielleicht eine in eleganten Kleidern und vielleicht nicht aus eigenem Entschluß, aber nichtsdestotrotz eine Hure. Eine Frau, die Spaß daran hatte, mit eleganten Kleidern ausstaffiert und von einem wichtigen Mann im elegantesten Gasthaus der Stadt ausgehalten zu werden.
Allein die Tatsache, daß Nathan nicht so dachte, verhinderte, daß sie gedemütigt aus dem Geschäft herausrannte.
Clarissa ermahnte sich. Dies war eine Maskerade, die Nathan sich für sie ausgedacht hatte, damit sie in Sicherheit waren. Sie hinderte Soldaten, denen sie an jeder Wegbiegung begegneten, daran, sie in ein Zelt hineinzuzerren. Mißbilligende Blicke auszuhalten, das war in ihren Augen wirklich eine geringe Gegenleistung für das, was Nathan für sie getan, für den Respekt, den er ihr entgegengebracht hatte. Was Nathan dachte, zählte.
Außerdem war sie mißbilligende Blicke gewöhnt – Blicke, die bestenfalls mitleidig und schlimmstenfalls tadelnd waren. Niemand hatte sie je wohlwollend angesehen. Sollten diese Leute doch denken, was sie wollten. Sie wußte, daß sie etwas Lohnendes tat, und zwar für einen verdienstvollen Mann.
Clarissa schritt erhobenen Hauptes zur Tür.
Der Damenschneider verbeugte sich abermals, als sie auf die dunkle Straße hinaustraten und zur wartenden Kutsche hinübergingen. »Ich danke Euch, Lord Rahl. Vielen Dank, daß Ihr mir erlaubt habt, dem Kaiser auf meine bescheidene Art zu dienen. Die Kleider werden noch vor morgen früh geliefert, mein Wort darauf.«
Nathan entließ den Mann mit einem beiläufigen Wink.
Im schummerigen Speisesaal des eleganten Haus Wildrose saß Clarissa Nathan an einem kleinen Tisch gegenüber. Jetzt fielen ihr die verstohlenen Blicke auf, die ihr das Personal zuwarf. Sie setzte sich aufrechter hin, zog die Schultern zurück und lud sie trotzig dazu ein, sich ihren Busen gut anzusehen. Im schummerigen Kerzenlicht und bei all der Schminke würden sie nicht bemerken, wie sie dabei rot wurde.
Der Wein wärmte sie, und der Entenbraten stillte ihren nagenden Hunger. Ständig wurden neue Speisen aufgetragen. Geflügel, Schweine- und Rindfleisch, dazu Bratensäfte und Soßen und eine Vielzahl von Beilagen. Hier und da knabberte sie ein bißchen, wollte jedoch nicht als Vielfraß gelten und war nichtsdestotrotz nach einer Weile satt.
Nathan aß mit Hingabe, aber nicht übermäßig. Er genoß die unterschiedlichen Gerichte, wollte jedes probieren. Das Personal umschwärmte ihn, schnitt Fleisch auf, goß Soßen darüber und schob Teller und Platten hin und her, als wäre er alleine hilflos. Er bestärkte sie, bestellte Dinge, schickte andere fort und erweckte alles in allem den Eindruck, sie hätten es mit einem bedeutenden Mann zu tun.
Vermutlich war er das auch. Er war der Generalbevollmächtigte des Kaisers, ein Mann, dem man nicht in die Quere kam. Alle waren um die vollste Zufriedenheit des Lord Rahl bemüht. Wenn es dazu erforderlich war, sich ebenfalls um Clarissas Wohlergehen zu kümmern, dann nahm man das in Kauf.
Clarissa war erleichtert, als man sie schließlich zu ihren Zimmern führte und Nathan die Tür hinter ihnen schloß. Sie sackte innerlich zusammen. Endlich fiel die Last der Verantwortung, sich wie eine elegante Dame oder eine Hure aufzuführen, von ihr ab. Sie wußte nicht genau, wie sie die Rolle anlegen sollte. Auf jeden Fall war sie froh, den Blicken entkommen zu sein, die ihr ständig folgten.