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Nathan lief mit großen Schritten in den beiden Zimmern auf und ab, betrachtete die Wände mit den aufgemalten Goldleisten, die zur Decke hin abgerundet waren. Dicke Teppiche in satten Farben bedeckten nahezu jeden Zoll des Fußbodens. Überall standen Sofas und Sessel. In einem Zimmer gab es mehrere Tische, einen zum Essen, einen anderen mit schräger Fläche zum Schreiben. Auf dem Schreibtisch lagen ordentlich gestapeltes Papier, silberne Federhalter und goldbeschichtete Tintenfässer mit den unterschiedlichsten Tintensorten.

Im anderen Zimmer stand das Bett. So etwas hatte Clarissa nie zuvor gesehen. Vier kunstvoll gedrechselte Pfosten stützten einen Baldachin aus Spitze und schwerem rotem Stoff mit einem großzügigen Goldmuster. Die Tagesdecke zeigte dasselbe Muster. Das Bett war riesig. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, wozu es so groß sein mußte.

»Nun«, meinte Nathan, als er wieder in das Schlafzimmer geschlendert kam, »ich denke, das sollte wohl genügen.«

Clarissa kicherte. »Nathan, selbst ein König wäre hocherfreut, in einem solchen Zimmer zu schlafen.«

Nathans Gesicht bekam einen gelangweilten Ausdruck. »Mag sein. Aber ich bin mehr als ein König. Ich bin ein Prophet.«

Ihr Lächeln verschwand, und plötzlich wurde sie ernst. »Ja. Ihr seid wirklich mehr als ein König.«

Nathan machte eine Runde durch das Zimmer und löschte die meisten des Dutzends Lampen. Die neben dem Bett und die auf dem Kleiderständer ließ er brennen.

Er drehte sich halb herum und zeigte in das andere Zimmer. »Ich werde dort auf dem Sofa schlafen. Ihr könnt das Bett nehmen.«

»Ich werde mich auf das Sofa legen. Ich würde mich in einem solchen Bett nicht wohl fühlen. Ich bin eine einfache Frau und soviel Luxus nicht gewöhnt. Ihr schon.«

Nathan legte ihr die Hand an die Wange. »Gewöhnt Euch daran. Nehmt das Bett. Der Gedanke, eine so bezaubernde Dame müsse auf einem Sofa schlafen, würde mir Unbehagen bereiten. Ich bin ein Mann von Welt, mir macht das nichts aus.« Er verneigte sich großartig von der Tür aus. »Schlaft gut, meine Liebe.« Die Tür bereits halb geschlossen, hielt er inne. »Ich möchte mich für die Blicke entschuldigen, die Ihr zu ertragen hattet, Clarissa, und für das, was die Leute aufgrund meiner Geschichte von Euch gedacht haben mögen.«

Er war wirklich ein feiner Herr.

»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Eigentlich hat es Spaß gemacht, so zu tun als ob – als wäre ich eine Schauspielerin auf einer Bühne.«

Er hatte dieses Funkeln in den Augen, und er lachte und warf sich sein Cape über die Schultern. »Nicht wahr, es hat wirklich Spaß gemacht, all diese Leute in dem Glauben zu lassen, wir seien eigentlich jemand ganz anderes?«

»Vielen Dank für alles, Nathan. Ihr habt mir heute das Gefühl gegeben, hübsch zu sein.«

»Ihr seid hübsch.«

Sie lächelte. »Das waren nur die Kleider.«

»Wahre Schönheit kommt von innen.« Er zwinkerte. »Schlaft gut, Clarissa. Ich habe einen Schutzschild vor der Tür angebracht, damit niemand hereinkommen kann. Fühlt Euch wie zu Hause, hier seid Ihr sicher.« Leise schloß er die Tür.

Ein warmes Glühen vom Wein auf den Wangen, schlenderte Clarissa gemächlich durchs Zimmer und betrachtete die elegante Einrichtung. Sie strich mit den Fingern über die silbernen Einlegearbeiten auf den kleinen Tischchen neben dem Bett. Sie berührte das geschliffene Glas der Lampen. Sie fuhr mit der Hand über die kunstvoll gewobenen Bettdecken, als sie sie zurückschlug.

Nachdem die Schnüre des Korsetts gelockert waren, konnte sie endlich wieder durchatmen. Sie ließ das Oberteil ihres Kleides von den Schultern gleiten. Die noch immer von unten drückenden Stifte hielten das Kleid über ihrem Busen fest. Sie hockte auf der Bettkante und versuchte, an die Knöpfe an ihrem Rücken heranzukommen. Einige von ihnen saßen zu weit oben. Verzweifelt in sich zusammensinkend, beschloß sie, ihre neuen Schuhe auszuziehen, die aus geschmeidigem, angerauhtem Leder geschustert waren. Sie rollte ihre Strümpfe herunter und bewegte, froh, sie befreit zu haben, ihre Zehen.

Clarissa dachte an zu Hause. Sie mußte an ihr gemütliches Bett denken, klein, wie es war. Sie vermißte ihr Zuhause, nicht weil sie dort glücklich gewesen war, sondern einfach, weil es ihr Zuhause war und sie nichts anderes kannte. So prunkvoll hier auch alles sein mochte, auf sie wirkte es kalt. Kalt und beängstigend. Sie befand sich an einem Ort, der ihr fremd war, und nach Hause konnte sie nicht mehr zurück.

Plötzlich fühlte sich Clarissa sehr einsam. Wenn sie mit Nathan zusammen war, gab ihr sein Selbstvertrauen Trost. Er wußte stets, wohin er ging, was er wollte und was er sagen mußte. Er schien nie von Zweifeln geplagt. Clarissa war voll davon, jetzt, da sie im Schlafzimmer alleine war.

Es war seltsam, aber sie vermißte Nathan mehr als ihr Zuhause, dabei befand er sich im Nachbarzimmer. Fast war Nathan jetzt ihr Zuhause.

Der Teppich fühlte sich unter ihren nackten Füßen gut an, als sie zur Tür hinüberging. Leise klopfte sie gegen die weiße Holztäfelung in der goldenen Umrandung. Sie wartete einen Augenblick, dann klopfte sie ein zweites Mal.

»Nathan?« rief sie leise.

Sie klopfte erneut und rief wieder seinen Namen. Da noch immer keine Antwort kam, öffnete sie die Tür einen Spalt breit und spähte hinein. Nur eine einzige Kerze zerriß das stille Dunkel.

Nathan befand sich wieder in einem seiner Trancezustände. Er saß in einem Sessel und starrte ins Leere. Clarissa blieb eine Weile in der Tür stehen und sah zu, wie er gleichmäßig atmete.

Als sie ihn das erste Mal steif und starren Blicks entdeckt hatte, war ihr angst und bange geworden. Er hatte sie jedoch damit beruhigt, er mache dies schon sein ganzes Leben lang. Damals, beim ersten Mal, war er nicht böse geworden, als sie ihn, im Glauben, etwas stimme nicht mit ihm, gerüttelt hatte.

Nathan würde nie böse auf sie sein. Er behandelte sie immer mit Respekt und Freundlichkeit – zwei Dinge, nach denen sie sich stets gesehnt, die sie aber von ihrer Familie nie bekommen hatte. Und dann traf sie einen Fremden, der diese Gefühle bedenkenlos verschenkte.

Clarissa rief ein drittes Mal seinen Namen. Nathan kniff die Augen zusammen und schaute zu ihr hoch.

»Alles in Ordnung?« fragte er.

»Ja. Hoffentlich störe ich Euch nicht in Euren Gedanken?«

Nathan tat ihre Besorgnis mit einer Handbewegung ab. »Nein, nein.«

»Ich dachte, vielleicht könntet Ihr mir helfen … mein Kleid auszuziehen? Ich komme nicht an die Knöpfe an meinem Rücken heran, außerdem hänge ich offenbar fest. Ich wollte mich nicht angezogen hinlegen und das Kleid ruinieren.«

Nathan folgte ihr ins Schlafzimmer. Sie hatte die Lampe auf dem Toilettentisch gelöscht, um nicht in Verlegenheit zu geraten. Nur die Lampe am Bett ließ ihn erkennen, was er tat.

Clarissa hielt ihr Haar mit beiden Händen zur Seite, während seine kräftigen Finger sich an den Knöpfen nach unten vorarbeiteten. Es war ein gutes Gefühl, ihn so nahe bei sich zu wissen.

»Nathan?« fragte sie leise, als er beim letzten Knopf auf ihrer Hüfte angelangt war.

Zur Antwort gab er einen fragenden Laut von sich. Sie hatte Angst, er könne fragen, was das klopfende Geräusch sei, und sie müsse antworten, es sei ihr Herz.

Clarissa drehte sich um. Dabei mußte sie das Kleid, jetzt, da es aufgeknöpft war, über ihrem Busen festhalten.

»Nathan«, sagte sie, nahm allen Mut zusammen und blickte ihm in die wundervollen Augen, »ich fühle mich allein, Nathan.«

Er runzelte die Stirn und legte ihr sachte eine seiner großen Hände auf die nackte Schulter. »Das braucht Ihr nicht, meine Liebe. Ich bin gleich nebenan.«

»Ich weiß. Aber ich meinte es anders. Ich bin allein, weil ich vermisse … ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Wenn ich allein bin, fange ich an, darüber nachzudenken, was ich tun muß, um den Menschen zu helfen, von denen Ihr gesprochen habt, und dann kommen mir alle möglichen beängstigenden Dinge in den Sinn. Und bevor ich es merke, bricht mir vor Entsetzen der Schweiß aus.«