»Es ist oft quälender, über etwas zu grübeln, als es tatsächlich zu tun. Denkt einfach nicht daran. Versucht, das große Bett und das prachtvolle Zimmer nach Möglichkeit zu genießen. Wer weiß, eines Tages müssen wir vielleicht im Straßengraben schlafen.«
Sie nickte und mußte seinem Blick ausweichen, um nicht den Mut zu verlieren.
»Ich weiß, ich bin eine unscheinbare Frau, Nathan, dennoch gebt Ihr mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Kein Mann hat mir je das Gefühl gegeben, ich sei hübsch … begehrenswert.«
»Nun, wie ich bereits sagte –«
Sie legte ihm die Finger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Wirklich, Nathan…« Sie sah in seine wundervollen Augen. Währenddessen schluckte sie und überdachte abermals, was sie sagen wollte. »Nathan, ich fürchte, Ihr seid ein viel zu fescher Mann, als daß ich widerstehen könnte. Wollt Ihr die Nacht mit mir zusammen in diesem großen Bett verbringen?«
Als sie die Hand fortnahm, spielte ein Lächeln um seine Mundwinkel. »Fesch?«
Sie nickte. »Sehr fesch.« Sie spürte das Wippen ihrer Locken.
Er legte ihr die Arme um die Hüften. Das ließ ihr Herz noch schneller schlagen.
»Ihr seid mir nichts schuldig, Clarissa. Ich habe Euch vor den Dingen, die in Renwold geschahen, gerettet, doch im Gegenzug, habt Ihr mir versprochen zu helfen. Darüber hinaus seid Ihr mir nichts schuldig.«
»Ich weiß. Das ist es nicht –«
Sie wußte, sie drückte sich nicht klar genug aus.
Also stellte sie sich auf die Zehenspitzen, schlang ihm die Arme um den Hals und preßte ihre Lippen auf seine. Er zog sie fest an seinen Körper. Sie überließ sich ganz seinen Armen und Lippen.
Er wich zurück. »Ich bin alt, Clarissa. Ihr seid eine junge Frau. Ihr wollt sicher keinen Mann, der so alt ist wie ich.«
Wie lange hatte sie gelitten, weil sie dachte, sie sei zu alt, um jemanden abzukriegen? Wie oft hatte sie sich verloren gefühlt, weil sie zu alt war? Und jetzt erzählte ihr dieser Mann, dieser wunderbare, lebenssprühende, gutaussehende Mann, sie sei zu jung.
»Nathan, ich möchte auf das Bett geworfen werden, dieses elegante, teure Kleid vom Leib gerissen bekommen, und dann möchte ich, daß Ihr mit mir macht, was immer Ihr wollt, bis ich die Seelen singen höre.«
Er sah sie an. Im Zimmer herrschte absolute Stille. Schließlich schob er ihr einen Arm hinter die Beine und holte sie von den Füßen. Er trug sie zum Bett hinüber, doch statt sie darauf zu werfen, wie sie vorgeschlagen hatte, setzte er sie behutsam darauf ab.
Sein Gewicht versank im Bett, als er sich neben ihr niederließ. Er strich ihr mit den Fingern über die Stirn. Sie sahen sich in die Augen. Er küßte sie zärtlich.
Da ihr Kleid ganz aufgebunden und aufgeknöpft war, ließ es sich leicht über ihre Hüfte streifen. Sie fuhr ihm mit den Fingern durch sein langes silbergraues Haar, während sie ihm dabei zusah, wie er liebevoll ihre Brüste küßte. Seine Lippen fühlten sich warm an auf ihrer Haut. Aus irgendeinem Grund fand sie dies überraschend und erstaunlich. Ein leises Stöhnen entwich ihrer Kehle, als sie spürte, wie ihre Brustwarzen auf so männlich leidenschaftliche Weise geküßt wurden.
Nathan lebte vielleicht schon lange, aber in ihren Augen war er kein alter Mann. Er war fesch, er war draufgängerisch und einfühlsam, und er sorgte dafür, daß sie sich wunderbar fühlte. Sie ertappte sich dabei, wie ihr der Atem stockte, als sie ihn ohne seine Kleider sah.
Kein Mann hatte sie je mit so zielstrebiger Zärtlichkeit berührt, und die Unbeirrbarkeit dieser Berührung ließ ihre Leidenschaft noch heftiger aufglühen.
Seine Küsse wanderten an ihr herab, und bei jedem keuchte sie und hielt in süßem, erstauntem Verlangen den Atem an.
Als er schließlich seinen Platz auf ihr einnahm, gab sie sich ganz und gar und ohne jede Scham ihrer Begierde hin. Sie fühlte sich sicher und geborgen, nicht nur im Himmelbett, sondern auch in seiner feurigen Umarmung. Und dann, als sich ihr Körper unter ihrem erlösenden Schrei anspannte, hörte sie endlich den Gesang der Seelen.
40
Kahlan schoß geräuschlos dahin wie ein Habicht im Sturzflug, gleichzeitig schien sie, ruhig schwebend wie ein Adler im Aufwind, in der Luft zu stehen. Licht und Dunkel, heiß und kalt, Zeit und Entfernung waren bedeutungslos, und doch bedeuteten sie alles. Es war eine überraschende Verwirrung der Empfindungen, die jedesmal noch durch die süße Gegenwart der Sliph gesteigert wurde, sobald Kahlan das lebende Quecksilber in ihre Lungen und in ihre Seele sog.
Es war die reine Wonne.
Mit einer plötzlichen Explosion von Sinneseindrücken war es vorbei.
Unvermittelt brach Licht in ihr Gesichtsfeld ein. Der Lärm von Vögeln, Gezänk und das Gesumme der Insekten klangen ihr schmerzhaft in den Ohren. Mit Lianen behangene Bäume, Felsen, die mit Flechten überwuchert und in einem Gewirr aus Wurzeln und Ranken festgehalten wurden, Schwaden eines dunklen, feuchten Nebels schienen von allen Seiten auf sie einzustürmen. Die überwältigende Gegenwart all dessen machte ihr angst.
Atme, forderte die Sliph sie auf.
Der Gedanke versetzte sie in Schrecken. Nein.
Die Stimme der Sliph brannte sich in Kahlans Verstand. Atme.
Kahlan wollte nicht aus dem friedlichen Schoß der Sliph in diese grelle, laute Welt gestoßen werden.
Dann mußte sie an Richard denken und an die Frau, die ihn bedrohte: Shota.
Kahlan stieß die Sliph aus ihren Lungen. Das flüssige Silber strömte aus ihr heraus, und doch wurde sie nicht naß. Keuchend sog sie die eigenartig scharfe Luft in sich hinein. Sie hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen, als die Sliph sie auf dem Mauerrand absetzte.
»Wir sind dort, wohin du reisen wolltest«, verkündete die Sliph.
Widerstrebend öffnete sie die Augen und ließ die Hände sinken. Die Welt des Lebendigen beruhigte sich langsam und glich sich dem Bild an, das Kahlan von ihr hatte. Die stützende Hand der Sliph auf ihrer Hüfte löste sich.
»Danke, Sliph. Es war mir … eine Freude.«
Das flüssige Gesicht lächelte. »Es freut mich, daß es dir gefallen hat.«
»Es wird hoffentlich nicht lange dauern. Anschließend müssen wir wieder zurückreisen.«
»Ich werde bereit sein, wenn du noch einmal reisen möchtest«, sagte die Sliph, deren Stimme in das Dämmerlicht hinaushallte. »Wenn ich wach bin, bin ich jederzeit bereit zu reisen.«
Kahlan schwang ihre Beine von der Steinmauer des Brunnens herunter. Man konnte Teile eines alten Gebäudes erkennen, das jedoch größtenteils verfallen und im feuchten Unterholz des Waldes versunken war. Hier sah sie die Überreste einer Mauer, dort eine halbe Säule, auf dem Boden einige Pflastersteine, alles von Ranken, Wurzeln und Laub überwuchert.
Kahlan wußte nicht genau, wo sie sich befand, doch mußte es der düstere Wald sein, der das Zuhause der Hexe umgab. Kahlan erinnerte sich, wie sie durch diesen gefährlichen, geheimnisvollen Wald gelaufen war, nachdem Shota sie gefangengenommen und nach Agaden gebracht hatte, um Richard dorthin zu locken.
Schroffe Gipfel, einer Dornenkrone gleich, boten den nebeldurchzogenen Bäumen hoch oben auf dem weiten Grat des Rang'Shada-Gebirges Schutz. Die düsteren und vielerlei Gefahren bergenden Wälder wiederum schützten Shotas abgelegenes Heim. Sie hielten die Menschen davon ab, nach Agaden zu kommen und die Hexe zu behelligen.
Laute Schreie, Schnalzlaute und Rufe hallten durch die stehende, stinkende Luft. Kahlan rieb sich die Arme, obwohl die Luft feuchtwarm war. Das Frösteln kam von innen.
Manchmal konnte sie durch die seltenen, kleinen Lücken im Blätterdach das rosafarbene Glühen des Himmels sehen. Sicher dämmerte es gerade. Sie wußte, der heller werdende Himmel würde keine Abwechslung in das Dämmerlicht dieser Wälder bringen. Selbst an einem sonnigen Tag war es an diesem ungastlichen Ort bedrückend finster.