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Mit vorsichtigen Schritten, den Blick auf den Waldboden gerichtet, trat Kahlan auf die hängenden Ranken und die treibenden Nebelschwaden zu, in denen sich Geschöpfe zu verbergen schienen, die lange Folgen zischender Schnalzlaute und spöttischer Rufe von sich gaben. Auf den ausgedehnten, stillen Wasserflächen, die unter der dichten Vegetation lauerten, erblickte sie so manches Auge, das gerade eben die Wasseroberfläche durchbrach.

Kahlan ging vorsichtig ein Stück weiter, dann hielt sie inne. Sie spürte, daß sie in dem richtungslosen Wald die Orientierung verloren hatte. Es war unmöglich, Norden und Süden, Osten und Westen auseinanderzuhalten. Dieser Wald sah in alle Richtungen gleich aus.

Auch wurde ihr klar, daß sie nicht einmal wußte, ob Shota überhaupt zu Hause war. Das letzte Mal waren sie und Richard ihr im Dorf der Schlammenschen begegnet. Shota war von einem mit dem Hüter im Bunde stehenden Zauberer aus ihrem Heim vertrieben worden. Vielleicht war Shota gar nicht da.

Nein, Nadine hatte sie aufgesucht. Shota war zu Hause. Kahlan ging einen Schritt weiter.

Etwas packte sie am Knöchel und riß ihr die Beine unter dem Körper weg. Sie landete mit einem harten, dumpfen Schlag auf dem Rücken.

»Hübsches Weibchen.«

Kahlan schnappte keuchend nach Luft.

»Samuel! Runter von mir!«

Kräftige Finger schlossen sich um ihre linke Brust. Blutleere Lippen verzogen sich zu einem boshaften Grinsen. »Vielleicht frißt Samuel hübsches Weibchen.«

Kahlan drückte die Spitze des Knochenmessers in die Hautfalten hinten an Samuels Hals. Sie packte einen seiner langen Finger und bog ihn nach hinten, bis er einen schrillen Schrei ausstieß und ihre Brust losließ.

Sie stieß mit dem Messer nach seiner Kehle. »Vielleicht verfüttere ich dich an die Viecher im Wasser dort drüben. Was meinst du? Soll ich dir die Kehle aufschlitzen? Oder steigst du freiwillig von mir runter?«

Der haarlose, fleckig-graue Kopf wich zurück. Gelbe Augen, die im trüben Licht wie Zwillingslampen wirkten, funkelten haßerfüllt auf sie herab. Vorsichtig wälzte er sich zur Seite, um sie aufstehen zu lassen. Kahlan hielt das Knochenmesser auf ihn gerichtet.

Auf seiner wächsernen Haut klebten totes Laub und kleine Holzstückchen aus dem Wald. Mit seinen langen Armen zeigte er in den trüben Nebel.

»Die Herrin will dich sehen.«

»Woher weiß sie, daß ich hier bin?«

Das groteske Gesicht teilte sich zu einem fauchenden Grinsen. »Die Herrin weiß alles. Folge Samuel.« Er machte rasch ein paar geduckte Schritte und blieb dann stehen, um sich umzuschauen. »Wenn die Herrin mit dir fertig ist, wird Samuel dich fressen.«

»Könnte sein, daß ich eine Überraschung für Shota habe. Diesmal hat sie einen Fehler gemacht. Wenn ich mit ihr fertig bin, hast du vielleicht gar keine Herrin mehr.«

Die gedrungene Gestalt musterte sie mit starrem Blick, zog die blutleeren Lippen zurück und fauchte.

»Deine Herrin wartet. Also los.«

Schließlich setzte die stämmige, haarlose, langarmige Gestalt ihren Weg durch das Dickicht fort. Samuel schlich um gefährliche Stellen herum, die Kahlan überhaupt nicht bemerkt hatte, und deutete widerwillig auf Dinge, die sie umgehen sollte. Ranken, denen er auswich, griffen im Vorübergehen nach ihr, doch sie war zu weit entfernt, als daß sie sie hätten packen können. Wurzeln, um die Samuel einen Bogen machte, wanden sich knorrig in die Höhe und versuchten nach ihr zu greifen.

Ab und an sah der kleine Kerl, der nur mit einer von Riemen gehaltenen Hose bekleidet war, über die Schulter, um sich zu vergewissern, ob sie auch folgte. Ein paarmal stieß er während seines hüpfenden Ganges sein seltsam gurgelndes Lachen aus.

Nach einer Weile stießen sie auf einen schmalen Pfad, und kurz darauf wurde das Licht, das durch das dichte Astgewirr über ihren Köpfen drang, heller. Kahlan folgte dem widerwärtigen Geschöpf, bis sie schließlich den Rand des finsteren Waldes und einen steilen felsigen Abgrund erreichten.

Weit unten lag das grüne Tal, in dem die Hexe lebte. Es handelte sich um einen der schönsten Flecken der Midlands, doch das half Kahlan kaum gegen das mulmige Gefühl im Bauch. Ringsherum ragten die kahlen Gipfel der Berge fast senkrecht in die Höhe. Die ausschlagenden Bäume im friedlich daliegenden Tal wiegten sich sanft in der frühmorgendlichen Brise.

Der Abstieg über die senkrechten Felswände schien unmöglich, doch da sie schon einmal hiergewesen war, wußte Kahlan, daß es in den Fels gehauene Stufen gab. Samuel führte sie durch ein schwer begehbares, sumpfiges Gelände voller Gestrüpp, dicht beieinanderstehender Bäume und farnüberwucherter Findlinge zu einer Stelle, die sie ohne seine Führung wohl kaum gefunden hätte. Ein hinter Felsen, Bäumen, Farnen und Ranken verborgener Pfad führte zu dem steilen Abgrund und den Stufen, die in der Felswand nach unten führten.

Samuel zeigte in die Ferne, hinunter ins Tal. »Die Herrin.«

»Ich weiß. Mach schon.«

Kahlan folgte Samuel nach unten. Teils war es ein schmaler Pfad, der größte Teil des Weges hinunter bestand jedoch aus Tausenden von Stufen, die man in die zerklüftete Felswand geschlagen hatte. Sie wanden sich und führten in engen Serpentinen abwärts, manchmal spiralförmig unter den oberen hindurch.

Tief unten, weit entfernt in der Mitte des Tales, erhob sich inmitten zweier Flußläufe, erhabener Bäume und leicht welliger Felder Shotas eleganter Palast. Bunte Fähnchen flatterten oben auf den Türmen und Zinnen, als wollten sie ein Fest ankündigen. Kahlan konnte die fernen Wimpel im Wind knallen hören. Doch hatte sie kein Auge für diese Pracht. Für sie war es der Mittelpunkt eines Spinnennetzes. Ein Ort, an dem Gefahr lauerte. Eine Gefahr für Richard.

Samuel sprang vor ihr die Stufen hinab, glücklich, in die Obhut seiner Herrin zurückzukehren, und spielte zweifellos mit dem Gedanken, Kahlan in einem Eintopf zu kochen, sobald seine Herrin mit ihr fertig wäre.

Kahlan achtete kaum auf die haßerfüllten Blicke aus seinen großen gelben Augen. Auch sie hatte sich in eine Welt des Abscheus zurückgezogen.

Shota wollte Richard Unheil zufügen. Dieser Gedanke ging Kahlan beständig durch den Kopf. Das war der Schlüssel. Shota wollte Richards Glück verhindern. Shota wollte Richard leiden sehen.

Kahlan spürte, wie eine wütende Kraft in ihrem Innern brodelte, bereit zu tun, was immer sie verlangte, um die Gefahr für Richard zu beseitigen. Endlich hatte Kahlan einen Weg gefunden, Shota zu besiegen. Gegen Subtraktive Magie besaß Shota keinen Schild. Sie würde jede Magie, mit der sie sich umgab, durchdringen.

Kahlan hatte den Weg in das Zentrum ihrer Kraft gefunden, den Zugang durch das Labyrinth aus Schutzvorrichtungen, das über ihrer Magie lag. Diese Seite ihrer Magie war durch Regeln geschützt, die ihre Anwendung steuerten. Wie in der Burg der Zauberer, die von Schilden aller Art geschützt wurde, gab es einen Weg, der durch sie hindurchführte. Sie hatte den Weg durch die Burg gefunden, und mit Hilfe ihres gesunden Menschenverstandes hatte sie die Rechtfertigung gefunden, die sich einen Weg durch den Irrgarten aus Prinzipien bahnte, die den Einsatz dieser Magie untersagten.

Sie hatte deren uralte Kraft angezapft, ihre zerstörerische Kraft.

Kahlan spürte, wie sie durch ihren Körper in die Arme strömte. Blaues Licht zuckte in knotigen Windungen um ihre geballten Fäuste.

Fast hätte sie sich in einem Trancezustand der Entschlossenheit verloren.

Zum ersten Mal hatte Kahlan vor der Hexe keine Angst. Wenn Shota nicht schwor, Richard in Frieden zu lassen, ihn sein eigenes Leben leben zu lassen, würde sie zu Staub zerfallen, noch bevor der Tag zu Ende war.

Unten am Fuß der Felswand folgte Kahlan Samuel, der über die Straße sprang, die zwischen den mit vereinzelten Bäumen bestandenen Hügeln und grünen Feldern hindurchführte. Ringsum ragten schneebedeckte Gipfel durch die vereinzelten Wolken in die Höhe. Das Blau des Himmels wurde noch tiefer, als die Sonne über diesen Gipfeln aufging.