Wir sind die Braut, die den Seelen geopfert werden soll. Wie sähe das aus, wenn die Nangtong eine unwürdige, geistig zurückgebliebene Braut opferten? Angenommen, du wärst eine der Seelen, wärst du dann nicht beleidigt?«
»Bekäme ich dich bei dem Handel ab, ganz bestimmt.«
Zedd heulte den Himmel an. Erschrocken rückte Ann ein Stück von ihm ab.
»Es ist unsere einzige Chance, Ann.« Er beugte sich ganz dicht heran und flüsterte ihr das folgende ins Ohr. »Ich schwöre einen Eid als Oberster Zauberer, ich werde niemandem erzählen, wie du dich aufgeführt hast.«
Er rückte von ihr ab und grinste. »Außerdem macht es Spaß. Weißt du noch, wieviel Spaß es gemacht hat, als Kind draußen im Dreck zu spielen? Das war einfach das Allerschönste.«
»Aber vielleicht klappt es nicht.«
»Ja, und? Würdest du nicht lieber sterben und Spaß am letzten Tag deines Lebens haben, anstatt hier verängstigt, frierend und verdreckt herumzuhocken? Würdest du nicht lieber ein letztes Mal herumtollen? Laß dich gehen, Prälatin, und erinnere dich, wie es war, ein Kind zu sein. Tu einfach, was immer dir gerade in den Sinn kommt. Hab Spaß. Sei ein Kind.«
Ann dachte mit ernster Miene über seine Worte nach.
»Du wirst es niemandem erzählen?«
»Du hast mein Wort darauf. Du kannst fröhlich wie ein Kind herumtollen, und niemand außer mir – und natürlich den Nangtong – wird je davon erfahren.«
»Wieder eine deiner Verzweiflungstaten, Zedd?«
»Wir leben in verzweifelten Zeiten. Auf geht's.«
Ann setzte ein durchtriebenes Lächeln auf. Sie versetzte ihm einen deftigen Stoß vor die Brust, der ihn nach hinten in den Matsch warf. Hemmungslos lachend warf sie sich auf ihn.
Sie rangen miteinander wie die Kinder, wälzten sich im Schlamm. Nachdem sie sich ein halbes dutzendmal herumgerollt hatten, hatte Ann sich in ein aus Armen, Beinen und zwei Augen bestehendes Schlammonster verwandelt. Der Matsch teilte sich, und zum Vorschein kam ein rosafarbener Mund, der gemeinsam mit Zedds den Himmel anheulte.
Sie formten Bälle aus Dreck und benutzten die Schweine als Zielscheiben. Sie scheuchten die armen Geschöpfe herum. Sie warfen sich auf den runden, festen Rücken der quiekenden Tiere und ritten sie im Kreis, bis sie abgeworfen wurden und im Matsch landeten. Zedd bezweifelte, ob Ann in all den neunhundert Jahren ihres Lebens jemals so schmutzig gewesen war.
Während sie eine Runde Fangen auf einem Bein spielten, bei der man mehr in den Schlamm fiel, als daß man sich hüpfend von der Stelle bewegte, wurde Zedd bewußt, daß ihr Lachen sich verändert hatte.
Ann fand wirklich Spaß daran.
Sie stapften durch Pfützen. Sie jagten den Schweinen hinterher. Sie liefen rund um den Pferch und ratterten mit Stöcken am Zaun entlang.
Und dann verfielen sie auf die Idee, den Wächtern Grimassen zu schneiden. Sie malten sich gegenseitig ulkige Fratzen in den Schlamm auf ihren Gesichtern. Sie gaben jedes unflätige Geräusch von sich, das ihnen in den Sinn kam. Sie hüpften herum und lachten und zeigten mit dem Finger auf die feierlich ernsten Wächter.
Vor lauter Lachen konnten Ann und Zedd sich nicht mehr auf den Beinen halten und wälzten sich, sich den Bauch haltend, wie zwei Betrunkene auf dem Boden.
Die Menschenmenge wuchs immer weiter an. Besorgtes Murmeln ging durch die Reihen der Zuschauer.
Ann stopfte sich die Daumen in die Ohren, wackelte mit den Fingern und schnitt ihnen Grimassen. Zedd stand auf dem Kopf und sang ein paar ihm bekannte anzügliche Balladen. Ann fing hysterisch an zu kichern, als er die entscheidenden Wörter falsch aussprach.
Zedd bekam einen Lachanfall, dann schlug er hin und landete im Matsch, und Ann warf sich auf ihn. Sie hockte auf seinem Bauch, drückte ihn zu Boden und kitzelte ihn unter den Armen, während er zwischen seinen Lachanfällen nach Atem ringend ihre Rippen kitzelte. So viel Spaß hatten die beiden ihr Leben lang noch nicht gehabt. Die Schweine drängten sich in einer Ecke zusammen.
Plötzlich, die beiden waren gerade völlig hemmungslos damit beschäftigt, die kitzligsten Stellen beim jeweils anderen zu entdecken, wurden Wassereimer über ihnen ausgeleert. Sie sahen hoch. Noch mehr Wasser ging auf sie nieder.
So schnell, wie der Matsch von ihnen heruntergewaschen wurde, warfen sie sich wieder hinein. Aschebeschmierte Wächter packten sie bei den Armen und hielten sie mit vorgehaltenen Speeren in Schach, während sie erneut abgespritzt wurden. Zedd linste hinüber zu Ann. Ann linste zurück. Sie wirkte lächerlich, als ihr Gesicht unter Schlieren von Dreck zum Vorschein kam. Er kicherte und schnitt ihr ein Gesicht. Sie kicherte und zog ihm ebenfalls eine Grimasse. Die Männer brüllten sie an.
Die Wangen aufgebläht, versuchte Zedd, das Lachen einzustellen. Die Wächter stießen ihnen die Speere in den Rücken und drängten sie voran. Das erinnerte ihn daran, gekitzelt zu werden, und sie brachen erneut in Gelächter aus.
Es war, als hätte das Lachen, einmal ausgebrochen, ein Eigenleben. Welchen Unterschied machte es, daß sie geopfert werden sollten? Warum sollten sie zu guter Letzt nicht noch einmal richtig Spaß haben. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Die Menge aus verschleierten Gestalten teilte sich, während die beiden Gefangenen aus dem Schweinepferch herausgeführt wurden.
Zedd hob kichernd die Arme und winkte. »Wink den Leuten zu, Annie.«
Statt dessen schnitt sie Grimassen. Zedd gefiel der Einfall, und er äffte sie nach. Die Menschen wichen erschrocken zurück, so als böte sich ihnen ein grauenvoller Anblick. Einige Frauen stimmten weinend ein Klagegeheul an. Zedd und Ann zeigten lachend auf sie, als die Frauen Schutz vor diesen Irren suchten und aus der Menschenmenge flüchteten.
Wenig später lagen Zelte und Zuschauer hinter ihnen, während ihre Häscher sie mit ihren Speeren weiterstießen. Kurz darauf befanden sich die beiden verdreckten, stinkenden, glücklichen Opfergaben draußen in den Hügeln. Fünfunddreißig oder vierzig Seelenjäger der Nangtong, allesamt mit einsatzbereiten Speeren oder Bögen in den Händen, zogen hinter ihnen her. Zedd fiel auf, daß einige von ihnen Bündel und Vorräte mitgenommen hatten.
Der Oberste Zauberer Zeddicus Zu'l Zorander und Prälatin Annalina Aldurren hüpften lachend vor den Speeren her und prahlten gegenseitig damit, wie viele Zwiebeln sie verdrücken konnten, ohne daß ihnen die Tränen kamen.
Zedd hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie unterwegs waren, aber es war ein schöner Vormittag, um dorthin zu gehen. Was immer ihr Ziel sein mochte.
»Irgendwie komisch, Lord Rahl«, befand Unterkommandant Crawford.
Richard ließ den Blick über das Geröllfeld wandern. »Was ist daran komisch?«
Der Unterkommandant legte den Kopf in den Nacken und sah an der Felswand hoch. »Na ja, ich meinte, es ist eigenartig. Ich bin inmitten von zerklüfteten Bergen aufgewachsen und habe mein Leben lang Orte wie diesen gesehen, aber diese Stelle hier ist eigenartig.« Er drehte sich um und zeigte. »Seht Ihr den Berg dort drüben? Man kann erkennen, wo der Erdrutsch ausgelöst wurde.«
Richard legte eine Hand an die Stirn, um seine Augen gegen die tiefstehende Nachmittagssonne abzuschirmen. Der Berg, auf den der Unterkommandant zeigte, war zerklüftet und bis auf den obersten Bereich mit Bäumen bestanden. An der steilen Wand unterhalb von ihnen hatte ein Teil nachgegeben und dort, wo das Gestein weggebrochen war, eine Narbe aus nacktem Fels hinterlassen. Am Fuß der kahlen Narbe befand sich ein Geröllfeld.
»Was ist damit?«
»Nun, seht Euch all das Geröll dort unten an. Das ist der Teil, der aus der Flanke des Berges herausgebrochen ist.« Er deutete auf den Hang, oberhalb dessen sie standen. »Aber es ist nicht dasselbe.«
Ein weiterer Soldat kam hinzu und salutierte mit einem Faustschlag aufs Herz. Er sah vorsichtig zu Ulic und Egan hinüber, die mit verschränkten Armen dastanden, und wartete schweigend ab.