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Andy warf einen Blick zur Sonne, die soeben im Begriff stand, einen Berg zu streifen. »So wie Ihr reitet, Lord Rahl, würde ich sagen, ein ganzes Stück eher. Normalerweise halten wichtige Leute mich auf. In diesem Fall bin ich es wahrscheinlich, der Euch aufhält.«

Richard schmunzelte. Er erinnerte sich, dieselbe Erfahrung gemacht zu haben. Je bedeutender die Leute waren, denen er als Führer diente, desto langsamer schienen sie sich zu bewegen.

Als sie bei den Ruinen eintrafen, war der Himmel von roten und goldenen Streifen durchzogen. Die umliegenden Berge lagen in tiefem Schatten. Die Ruinen schienen im honiggoldenen Licht zu erglühen.

Es gab einige elegante, mittlerweile zerfallende Gebäude, die einmal Teil eines größeren Palastes gewesen zu sein schienen, genau wie Kahlan gesagt hatte. Da und dort standen auf dem öden Berggipfel noch ein paar Mauerreste, deren Mauerwerk nicht von Schlingpflanzen und Gehölz überwuchert war, wie es im Tal der Fall gewesen wäre, sondern die statt dessen mit einer Schicht Flechten überzogen waren.

Richard stieg ab und gab Unterkommandant Crawford die Zügel. Das Gebäude links der breiten Straße war, gemessen an den Maßstäben, mit denen Richard aufgewachsen war, groß, verglichen mit den Schlössern und Palästen, die er seitdem besucht hatte, handelte es sich jedoch um ein belangloses Bauwerk.

Die Türöffnung war leer. Übriggeblieben waren die zerfallenden Überreste eines noch immer teilweise mit Blattgold versehenen Türrahmens. Drinnen hallten seine Schritte von den Wänden wider. In einem Raum des dachlosen Gebäudes stand eine Bank aus Stein. Der Brunnen in einem anderen enthielt geschmolzenen Schnee.

Ein gewundener Korridor, dessen Faßgewölbe größtenteils erhalten geblieben war, führte Richard an einem Labyrinth von Räumlichkeiten vorbei. Der Korridor teilte sich und ging, wie er vermutete, zu Zimmern in beiden Ecken des Gebäudes. Er folgte der linken Abzweigung zu deren Ende.

Wie alle Räume auf dieser Seite lag er zum Abgrund hinaus. Leere Rechtecke klafften dort, wo einst Fenster das Zimmer vor Wind und Regen geschützt hatten. Man sah über den Rand des Abgrunds hinaus auf die jenseits im blauen Dunst liegenden Berge.

Hier mußten Besucher und Bittsteller des Tempels darauf gewartet haben, vorgelassen zu werden. Während ihrer Wartezeit dürften sie einen prächtigen Blick auf den Tempel der Winde gehabt haben. Wurden sie abgewiesen, war ihnen wenigstens der geblieben. Fast glaubte er vor Augen zu haben, was die Menschen, die in diesem Raum gestanden hatten, gesehen haben mußten.

Er wußte, es war die Gabe, die ihm das alles mitteilte – beinahe so, wie die Seelen derer, die das Schwert der Wahrheit einst in Händen gehalten hatten, ihn führten, wenn er von seiner Magie Gebrauch machte.

Während er so dastand und hinausblickte, sah er ihn fast vor sich, gleich jenseits des Abgrunds, einen Ort von Größe und Macht. Hierher hatten die Zauberer Gegenstände von erhabener Magie geschafft, um sie sicher zu verwahren. Die Zauberer von damals, einige von ihnen Richards Vorfahren, hatten wahrscheinlich an derselben Stelle gestanden wie er und den Tempel der Winde betrachtet.

Im schwindenden Licht schlenderte er an den stattlichen Säulen draußen vorbei, warf einen Blick in die Wachhütten und die ehemals prachtvollen Gärten, berührte die zerfallenden Gemäuer. Obwohl alles jetzt in Auflösung begriffen war, hatte er keine Mühe, sich den majestätischen Anblick vorzustellen, den dies einst geboten haben mußte.

Er stand mitten auf der breiten Straße, die sich durch die zerfallenden Ruinen zog, spürte, wie sich sein goldenes Cape hinter ihm im Wind blähte, und versuchte sich diesen Ort so vorzustellen, wie er damals gewesen war, versuchte ein Gefühl für ihn zu bekommen. Die Straße mehr noch als die Gebäude gaben ihm das unheimliche Gefühl, das verschwundene Bauwerk stehe unmittelbar dahinter. Einst hatte diese Straße genau in den Tempel der Winde hineingeführt.

Mit großen Schritten lief er die breite Straße entlang und stellte sich vor, er schreite auf den Tempel der Winde zu, jener Winde, die behauptet hatten, Jagd auf ihn zu machen. Er passierte einen Mauerrest, lief zwischen den leeren Steingebäuden hindurch und bekam ein Gefühl für die Zeitlosigkeit dieses Ortes, spürte das Leben, das hier einst geherrscht hatte.

Aber wohin war es entschwunden? Wie sollte er es wiederfinden? Wo sonst konnte er suchen?

Hier hatte er gestanden, und selbst jetzt noch konnte Richard ihn fast sehen, ihn fühlen, ihn spüren, so als ziehe ihn seine Gabe immer weiter, bis nach Hause.

Plötzlich hielt ihn jemand fest.

Ulic auf der einen und Egan auf der anderen Seite hatten ihn unter den Armen gepackt und rissen ihn zurück. Er sah nach unten und erkannte, daß der nächste Schritt ihn hinaus in die Leere geführt hätte. Geier schwebten, keine zwanzig Fuß entfernt, genau vor ihm im Aufwind.

Es war, als stünde er am Rand der Welt. Die Aussicht war schwindelerregend. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.

Jenseits der Kante zu seinen Füßen sollte eigentlich noch etwas liegen, das wußte er. Aber dort war nichts.

Der Tempel der Winde war verschwunden.

43

Atme.

Kahlan tat, wie ihr befohlen, stieß die Sliph aus und sog die beißend kalte Luft ein.

Das Geräusch einer zischenden Fackel klang ihr in den Ohren. Ihr eigener Atem hallte schmerzhaft laut. Doch mittlerweile wußte sie, was sie zu erwarten hatte, und geduldete sich, bis die Welt um sie herum wieder in ihren Normalzustand zurückgekehrt war.

Nur war dies nicht normal. Wenigstens war es nicht die Art von normal, die sie erwartet hatte.

»Wo sind wir, Sliph?« Ihre Stimme hallte von allen Seiten wider.

»Dort, wohin du reisen wolltest: beim Jocopo-Schatz. Du solltest zufrieden sein, wenn aber nicht, versuche ich es noch einmal.«

»Nein, nein, nicht, daß ich nicht zufrieden wäre. Ich hatte es mir nur anders vorgestellt.«

Sie befand sich in einer Höhle. Die Fackel war nicht von der üblichen Sorte, die sie gewohnt war – ein Stück Holz mit etwas Pech am oberen Ende –, sondern bestand statt dessen aus zusammengebundenen Gräsern. Kahlan streifte mit dem Kopf fast die Decke, als sie die Beine von der Ummauerung der Sliph herunterschwang und sich aufrichtete.

Sie zog die Fackel aus gebündelten Gräsern aus der Spalte im groben Mauerwerk, wo sie jemand eingeklemmt hatte.

»Ich bin gleich wieder zurück«, meinte sie zur Sliph. »Ich sehe mich etwas um, und wenn ich keinen Weg nach draußen finde, komme ich zurück, und wir reisen woanders hin.« Ihr wurde klar, daß es einen Ausweg geben mußte, sonst wäre die Fackel nicht hier. »Oder ich komme zurück, sobald ich gefunden habe, was ich suche.«

»Ich bin für dich bereit, wenn du reisen willst. Wir werden wieder reisen. Du wirst zufrieden sein.«

Kahlan nickte dem silbernen Gesicht zu, in dem sich das tanzende Licht der Fackel spiegelte, dann trat sie tiefer in die Höhle hinein. Es gab nur einen Ausgang aus dem Raum, einen breiten, niedrigen Durchgang, also nahm sie diesen und folgte ihm auf seinem verschlungenen Weg durch das bräunliche Felsgestein. Ansonsten gab es weder andere Gänge noch Räume, und so setzte sie ihren Weg fort.

Der Gang führte in einen großzügigen Raum von vielleicht fünfzig bis sechzig Fuß Breite, und sie erkannte, wieso dieser Ort der Jocopo-Schatz genannt wurde. Das Licht der Fackeln wurde in Gestalt Tausender goldener Lichtfunken zurückgeworfen. Der Raum war voller Gold.

Einiges davon war in groben Barren oder Kugeln gestapelt, so als hätte man das geschmolzene Metall in Töpfe gegossen und diese dann drum herum weggebrochen. Einfache Kisten quollen über von Nuggets. Andere Kisten mit Griffen an beiden Seiten enthielten allerhand verschiedene Gegenstände aus Gold.

Es gab mehrere Tische, auf denen Goldscheiben lagen, sowie Regale parallel zu einer Wand. Darin standen mehrere goldene Statuen, hauptsächlich aber lagerten dort Rollen feinen Pergaments. Für den Jocopo-Schatz interessierte Kahlan sich nicht. Sie nahm sich nicht die Zeit, die Gegenstände, die sie auf allen Seiten umgaben, zu untersuchen, sondern begab sich statt dessen zum Gang auf der anderen Seite des Raumes.