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Sie hatte nicht die Absicht, hier länger zu verweilen, denn sie war besorgt und wollte zu den Schlammenschen, doch selbst wenn sie Interesse daran gehabt hätte, sich umzusehen, wäre sie nicht lange geblieben. Die Luft roch entsetzlich und verursachte bei ihr Atembeschwerden und Hustenreiz.

Der faulige Gestank bewirkte, daß ihr Kopf sich zu drehen begann und sie Kopfschmerzen bekam.

Die Luft im Gang war besser, auch wenn man sie kaum als gut bezeichnen mochte. Sie tastete nach dem Knochenmesser und stellte fest, daß es noch immer warm war, wenngleich nicht mehr so heiß wie zuvor.

Der Tunnel begann auf seiner gewundenen Bahn anzusteigen. Weiter oben ging der dunkle Fels in Erde über, die stellenweise von Balken gestützt wurde. Sie fand keine weiteren Abzweigungen, bis sie schließlich frische Luft schnupperte. Dann zweigte ein Tunnel nach links ab, und ein paar Schritte weiter ein anderer nach rechts. Sie spürte die kühle Luft, die durch den geradeaus führenden hereinwehte, also folgte sie diesem.

Die Flamme der Fackel zuckte und flackerte, als sie in die Nacht hinaustrat. Der Himmel war mit funkelnden Sternen übersät. Nicht weit entfernt sprang eine Gestalt auf. Kahlan zog sich ein paar Schritte weit wieder in die Höhle zurück und sah sich kurz nach beiden Seiten um, ob noch jemand draußen lauerte.

»Mutter Konfessor?« erscholl eine bekannte Stimme.

Kahlan machte einen Schritt nach vorn und hielt die Fackel hinaus in die Nachtluft.

»Chandalen? Bist du das, Chandalen?«

Die muskulöse Gestalt sprang in den Schein der Fackel. Er trug kein Hemd und war mit Schlamm beschmiert. An Armen und Kopf waren Grasbündel festgebunden. Das schwarze Haar war mit dem klebrigen Schlamm, wie ihn die Jäger benutzten, glattgestrichen. Obwohl auch sein Gesicht damit bedeckt war, erkannte sie das breite, vertraute Grinsen wieder.

»Chandalen«, seufzte sie erleichtert. »Ach, Chandalen, was bin ich froh, dich zu treffen.«

»Und ich Euch, Mutter Konfessor.«

Er kam auf sie zu, um ihr einen Schlag ins Gesicht zu verpassen, die traditionelle Begrüßung der Schlammenschen, mit der man Respekt vor der Stärke des anderen bekundete. Kahlan hielt ihn mit ausgestreckten Händen von sich fern.

»Nicht! Bleib fort!«

Er richtete sich auf und blieb stehen. »Warum?«

»Weil dort, wo ich herkomme, in Aydindril, eine Krankheit ausgebrochen ist. Ich will keinem von euch zu nahe kommen, denn ich habe Angst, du oder jemand anderes von unserem Volk könnte sich anstecken.«

Die Schlammenschen waren tatsächlich ihr Volk. Sie und Richard waren vom Vogelmann und den anderen Dorfältesten zu Schlammmenschen ernannt worden und gehörten jetzt zur Dorfgemeinde, obwohl sie nicht dort lebten.

Chandalens Wiedersehensfreude schwand. »Auch hier wütet eine Krankheit, Mutter Konfessor.«

Kahlan senkte die Fackel. »Was?« fragte sie leise.

»Es ist viel passiert. Unser Stamm hat Angst, und ich kann ihn nicht beschützen. Großvaters Seele hat uns aufgesucht. Er meinte, es werde sehr großen Ärger geben.

Er sagte, er müsse mit Euch reden und werde Euch eine Nachricht senden, damit Ihr zu uns kommt.«

»Das Messer«, erwiderte sie. »Ich habe seinen Ruf über das Messer gespürt. Und ich habe mich sofort auf den Weg hierher gemacht.«

»Ja. Das erzählte er uns kurz vor der Dämmerung. Einer der Dorfältesten trat aus dem Haus der Seelen und sagte, ich solle hierher gehen und auf Euch warten. Wie seid Ihr durch das Loch in der Erde zu uns gekommen?«

»Das ist eine lange Geschichte. Es hat mit Magie zu tun … Chandalen, ich kann nicht warten, bis wir eine weitere Versammlung einberufen können, um mit den Ahnenseelen zu sprechen. Es gibt Schwierigkeiten. Ich kann mir nicht leisten, drei Tage lang zu warten.«

Er nahm ihr die Fackel aus der Hand. Sein Gesicht unter der Maske aus Schlamm wirkte hart.

»Es ist nicht nötig, drei Tage zu warten. Großvater erwartet dich im Haus der Seelen.«

Kahlan riß die Augen auf. Sie wußte, daß eine Versammlung nur die eine Nacht währte, in der sie einberufen wurde.

»Wie ist das möglich?«

»Die Ältesten sitzen noch im Kreis. Großvater trug ihnen auf, auf dich zu warten. Er wartet ebenfalls.«

»Wie viele sind erkrankt?«

Chandalen hielt alle zehn Finger einmal in die Höhe, dann, beim zweiten Mal, nur eine Hand. »Sie haben große Schmerzen im Kopf. Sie entleeren ihren Magen, obwohl sie nichts darin haben. Sie glühen vor Fieber. Einige von ihnen werden an den Fingern und Zehen schwarz.«

»Gütige Seelen«, sagte Kahlan leise zu sich selbst. »Ist schon jemand gestorben?«

»Heute, kurz bevor Großvater mich hierherschickte, ist ein Kind gestorben. Der Junge war als erster erkrankt.«

Kahlan fühlte sich selbst krank. Ihr drehte sich der Kopf bei dem Versuch, das Gehörte zu begreifen. Normalerweise duldeten die Schlammenschen keine Fremden in ihrem Dorf und verließen ihr Land nur äußerst selten. Wie konnte das geschehen?

»Waren irgendwelche Fremden hier, Chandalen?«

Er schüttelte den Kopf. »Das würden wir nicht zulassen. Fremde bringen nichts als Ärger.« Er schien nachzudenken. »Möglicherweise hat es eine Fremde versucht. Aber wir haben ihr nicht erlaubt, das Dorf zu betreten.«

»Eine Frau?«

»Ja. Einige der Kinder waren draußen im Grasland und spielten Jagd. Eine Frau näherte sich ihnen und fragte, ob sie ins Dorf kommen dürfe. Die Kinder liefen zurück und erzählten uns davon. Als ich meine Jäger zu der Stelle führte, konnten wir sie nicht finden. Wir sagten den Kindern, die Ahnenseelen würden zornig werden, wenn sie uns noch einmal einen solchen Streich spielten.«

Kahlan hatte Angst, weiter nachzufragen, denn sie fürchtete sich vor der Antwort. »Das Kind, das heute gestorben ist, war eines der Kinder, die behauptet hatten, sie hätten die Frau getroffen, nicht wahr?«

Chandalen legte den Kopf schief. »Ihr seid eine weise Frau, Mutter Konfessor.«

»Nein, Chandalen. Ich habe nur Angst. Eine Frau kommt nach Aydindril und spricht Kinder an. Und jetzt beginnen sie zu sterben. Der Junge, der gestorben ist, hat er erzählt, sie habe ihm ein Buch gezeigt?«

»Als ich mit Euch auf meine Reise ging, habt Ihr mir diese Dinge gezeigt, die Ihr Bücher nennt und dazu benutzt, Wissen weiterzugeben, aber unsere Kinder kennen so etwas nicht. Wir unterrichten unsere Kinder mit lebenden Worten, wie es uns unsere Ahnen beigebracht haben.

Der Junge erzählte aber, die Frau habe ihm hübsche bunte Lichter gezeigt. Das klingt nicht nach den Büchern, an die ich mich erinnere.«

Kahlan legte Chandalen eine Hand auf den Arm, eine Geste, die ihm früher wegen der damit verbundenen Bedrohung durch die Kraft eines Konfessors angst gemacht hätte, die ihm jetzt jedoch aus einem ganz anderen Grund bedenklich erschien.

»Ihr habt gesagt, wir dürfen uns nicht nahe kommen.«

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, beruhigte sie ihn. »Ich kann keinen größeren Schaden mehr anrichten. Hier ist dieselbe Seuche ausgebrochen wie in Aydindril.«

»Es tut mir leid, Mutter Konfessor, daß Krankheit und Tod auch Euer Zuhause heimsuchen.«

Sie umarmten sich in Freundschaft und geteilter Angst.

»Was ist das hier für ein Ort, Chandalen? Diese Höhle?«

»Ich habe Euch damals davon erzählt. Es ist der Ort mit der schlechten Luft und dem wertlosen Metall.«

»Dann befinden wir uns nördlich des Dorfes?«

»Nördlich und ein Stück nach Westen.«

»Wie lange wird es dauern, bis wir wieder im Dorf sind?«

Er schlug sich vor die eigene Brust. »Chandalen ist stark und rennt schnell. Ich habe das Dorf verlassen, als die Sonne unterging. Chandalen braucht nicht mehr als ein paar Stunden. Auch im Dunkeln nicht.«

Sie betrachtete das mondbeschienene Grasland jenseits des niedrigen, felsigen Hügels, auf dem sie standen. »Der Mond ist hell genug, um sehen zu können, wohin wir laufen.« Kahlan brachte ein dünnes Lächeln zuwege. »Außerdem müßtest du wissen, daß ich ebenso stark bin wie du, Chandalen.«