Während er dem Kerl den Arm auf den Rücken drehte, bemerkte er das Blut. Blut war etwas, dessen Spuren er sorgfältig zurückverfolgte. Dieses Blut war eine Überraschung. Er hatte den Mann mit dem Messer nicht verletzt – noch nicht. Das Blut stammte auch nicht aus der zertrümmerten Nase des Mannes.
Selten überkam ihn ein so wohliger Schauer der Überraschung wie angesichts dieses Blutes, das er nicht erwartet hatte.
Er gewahrte, daß der Mann vor Schmerzen schrie. Daher warf er sich auf den Rücken des Mannes und hämmerte ihm den Handballen auf den Kopf, daß die Zähne des Kerls auf dem Straßenpflaster zersplitterten – was ihn ein wenig ruhiger machte. Er packte das fettige Haar mit der geballten Faust, riß den Kopf des Mannes nach hinten und lauschte seinem Stöhnen.
»Raub ist ein gefährliches Geschäft. Wird Zeit, daß du den Preis dafür bezahlst.«
»Wir hätten dir nichts getan«, lallte der Mann. »Wir hätten dich bloß ausgenommen, du Bastard.«
»Bastard, ja?«
Behutsam, langsam, jeden einzelnen Zoll genießend, schlitzte er dem sich heftig wehrenden Mann die Kehle auf.
Welch unerwartetes Vergnügen diese Nacht ihm beschert hatte. Er hob die Hände, krümmte seine Finger und fischte in einer wischenden Bewegung die Quintessenz des Todes aus der Luft, fing dessen seidige Substanz im selben Augenblick ein, als sie in die Dunkelheit aufstieg, und zog sie zu sich zurück.
Er war die Erfüllung ihres Lebens. Er war das Gleichgewicht. Er war der Tod. Er genoß es, diese Erkenntnis in ihren Augen abzulesen. Am liebsten hatte er es, wenn er sich in diesem Blick, dieser Erkenntnis, diesem … Grauen sonnen konnte. Es verschaffte ihm Befriedigung. Es machte ihn vollkommen.
Er erhob sich, wankend vor Ekstase über den satten Geruch des Blutes. Er bedauerte, daß es so kurz gedauert hatte und er ihre Schreie nicht länger hatte hinauszögern können. Sie waren Wonne. Es verlangte ihn nach ihnen, er brauchte sie, war wie versessen auf sie. Sie erfüllten ihn, machten ihn zu einem Ganzen. Er brauchte die Schreie, nicht eigentlich das Geräusch – oft knebelte er seine Partner –, sondern den Versuch zu schreien, und das, wofür sie standen: blankes Entsetzen.
Daß ihm verwehrt wurde, die Schreie des Entsetzens in aller Ruhe zu genießen, ließ ihn unbefriedigt. Seine Lust war nicht gestillt.
Er schlich die Gasse entlang und stellte fest, daß sein Messer so präzise getroffen hatte wie immer. Der Junge lag zusammengebrochen auf der Seite. Er sah großartig aus, mit dem Messer, das bis zum Heft in seinem Hinterkopf steckte, und der schweren Klinge, deren Spitze ein wenig seitlich der Mitte aus der Stirn hervorschaute.
Übersättigt von einem Übermaß aus Empfindungen stellte er plötzlich fest, daß er noch etwas verspürte: Schmerz.
Überrascht untersuchte er seinen Arm und sah, woher das unerwartete Blut kam. An der Außenseite seines rechten Unterarms klaffte eine gut sechs Zoll lange Wunde. Sie war tief. Sie würde genäht werden müssen.
Die Freude über ein so unerwartetes Ereignis raubte ihm den Atem.
Gefahr, Tod und Zerstörung – das alles in einer einzigen Nacht, bei einer zufälligen Begegnung. Fast war es zuviel.
Die Stimmen hatten recht gehabt, als sie sagten, er solle nach Aydindril gehen.
Doch noch immer hatte er nicht, was er brauchte – das hinausgezögerte Entsetzen, das behutsame Aufschlitzen, das Zerschneiden, das Absaufen im Blut, das Bereiten endloser, köstlicher Qualen, die Orgie aus wüstem Zustechen zum Schluß.
Die Stimmen aus dem Äther hatten ihm versprochen, daß er diese Dinge bekommen würde, daß er die höchste Eroberung machen, das höchste Gleichgewicht, die ultimative Paarung erleben würde.
Sie hatten ihm versprochen, er werde die allerhöchsten Ausschweifungen erleben.
Sie hatten ihm die Mutter Konfessor versprochen.
Seine Zeit würde kommen.
Die Zeit der Mutter Konfessor würde kommen.
Bald.
Als Verna ihm mit dem feuchten Lappen die Stirn abtupfte, schlug Warren die Augen auf. Erleichtert stieß sie einen langen Seufzer aus.
Er versuchte sich aufzusetzen. Mit fester Hand auf seiner Brust drückte sie ihn vorsichtig zurück ins Stroh.
»Bleib liegen und ruh dich aus.«
Er zuckte vor Schmerzen zusammen, machte ein schmatzendes Geräusch. »Ich habe Durst.«
Verna drehte sich um und nahm den Schöpflöffel aus dem Eimer. Sie hielt ihn an seine Lippen. Den zerbeulten Kopf des Löffels in beide Hände nehmend, stürzte er das ganze Wasser gierig in sich hinein.
Nach dem langen Zug rang er keuchend nach Atem. »Mehr.«
Verna zog den Schöpflöffel durch den Eimer und ließ ihn trinken, bis er seinen Durst gestillt hatte.
Sie lächelte ihn an. »Ich bin froh, daß du wach bist.«
Es schien ihm Mühe zu bereiten, ihr Lächeln zu erwidern. »Darüber bin ich selbst froh. Wie lange war ich diesmal ohnmächtig?«
Sie tat seine besorgte Frage mit einem Achselzucken ab. »Ein paar Stunden.«
Er sah sich im Innern der Scheune um. Verna hob die Lampe hoch, damit er seine Umgebung besser erkennen konnte. Regen trommelte auf das Dach, und so wirkte es hier drinnen richtig gemütlich.
Verna stellte die Lampe ab und stützte sich neben ihm auf einen Ellenbogen. »Die Unterkunft ist nicht übertrieben prunkvoll, aber wenigstens ist sie trocken.«
Als sie den Bauernhof gefunden hatten, war er fast bewußtlos gewesen. Die Familie, der der Hof gehörte, hatte Mitleid gezeigt. Verna hatte es abgelehnt, in ihrem Bett zu schlafen, denn sie wollte sie nicht zwingen, in ihrer eigenen Scheune zu übernachten.
Auf ihrer mehr als einundzwanzigjährigen Reise hatte Verna oft an solchen Orten die Nacht verbracht und die Unterbringung als ganz angenehm, wenn auch ein wenig sehr schlicht empfunden. Sie mochte den Geruch von Stroh. Während ihrer Reise hatte sie ihn nicht mehr ausstehen können, doch nach der Rückkehr in das abgeschiedene Leben des Palastes der Propheten änderte sie ihre Meinung und ertappte sich dabei, wie sie sich nach dem Duft von Heu, Erde, Gras und regenfrischer Luft sehnte.
Warren legte seine Hand zärtlich auf ihre. »Tut mir leid, daß ich uns so sehr aufhalte, Verna.«
Sie lächelte und erinnerte sich an eine Zeit, als sie wegen ihrer Ungeduld nervös auf und ab gelaufen wäre. Warren und seine Liebe zu ihr brachten eher ihre ruhigere Art ans Licht. Er tat ihr gut. Er war ihr ein und alles.
Sie schob seine blonden Locken nach hinten und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. »Unsinn. Wir hätten ohnehin über Nacht haltmachen müssen. In dem Wetter wären wir nur langsam und mühselig vorangekommen. Letztendlich wird es nach einer ordentlichen Ruhepause schneller gehen. Glaub mir, ich habe eine Menge Erfahrung in diesen Dingen.«
»Aber ich komme mir so nutzlos vor.«
»Du bist ein Prophet. Das verschafft uns ein Wissen, das alles andere als nutzlos ist. Allein dadurch haben wir mehrere Tage gewonnen, die wir sonst in die falsche Richtung gereist wären.«
Seine besorgten blauen Augen richteten sich auf die Dachsparren. »In letzter Zeit treten die Kopfschmerzen immer häufiger auf. Wenn ich mir vorstelle, daß ich die Augen schließe und vielleicht nie wieder aufwache, wird mir angst und bange.«
Zum erstenmal an jenem Abend runzelte sie verärgert die Stirn. »Ich will dieses Gerede nicht hören, Warren. Wir werden es schaffen.«
Er zögerte, wollte nicht mit ihr streiten. »Wenn du es sagst, Verna. Nur werde ich uns immer mehr aufhalten.«
»Dagegen habe ich vorgesorgt.«
»Tatsächlich? Was hast du gemacht?«
»Ich habe jemanden angeheuert, der uns fährt. Wenigstens ein Stück.«
»Ich dachte, du möchtest keine Kutsche mieten, weil sie die Aufmerksamkeit auf uns lenken würde. Du hast gesagt, du möchtest nicht Gefahr laufen, erkannt zu werden, und du möchtest nicht, daß neugierige Menschen sich nach Reisenden in einer Kutsche erkundigen.«