Yonick blickte starr vor Staunen auf die Silbermünze in seiner Hand. »Soviel kosten Kräuter nicht, hab ich gehört.«
Der Kommandant tat die Erwiderung mit einer knappen Geste ab. »Also, kleiner hab ich's nicht. Kauf mit dem restlichen Geld etwas für deine Mannschaft – für ihren Sieg. Und jetzt nimm es und verschwinde. Wir müssen uns um die Angelegenheiten des Palastes kümmern.«
Yonick richtete sich auf und schlug sich zum Gruß mit der Faust aufs Herz. »Jawohl, mein Herr.«
»Und üb deinen Abstoß«, rief der Kommandant dem Jungen hinterher, als er durch den Saal zu seinen Kumpels rannte. »Der ist ein bißchen ungenau.«
»Mach ich«, brüllte Yonick über die Schulter zurück. »Danke.«
Kahlan sah zu, wie er seine Freunde zusammensuchte und die Jungen gemeinsam zur Tür liefen. »Das war sehr freundlich von Euch, Kommandant …?«
»Harris.« Er erschrak. »Ich danke Euch, Mutter Konfessor.«
»Cara, gehen wir und statten wir dieser Nadine einen Besuch ab.«
Kahlan hoffte, daß der Kommandant, der am Ende des Ganges Habtachtstellung annahm, eine ereignislose Wache hinter sich hatte.
»Hat Nadine versucht, das Zimmer zu verlassen, Kommandant Nance?«
»Nein, Mutter Konfessor«, antwortete er, als er sich von seiner Verbeugung wieder aufrichtete. »Sie schien froh zu sein, daß sich jemand für ihr Anliegen interessierte. Als ich ihr erklärte, es könne möglicherweise Ärger geben und es sei erforderlich, daß sie auf ihrem Zimmer bleibt, versprach sie, meine Anweisungen zu befolgen.« Er warf einen Blick auf die Tür. »Sie meinte, sie wolle mir keine Schwierigkeiten bereiten und werde tun, was man ihr sagt.«
»Danke, Kommandant.« Vor der offenen Tür zögerte sie. »Wenn sie dieses Zimmer ohne uns verlassen will, tötet sie. Stellt nicht erst Fragen, sondern laßt sie ohne Vorwarnung einfach von den Bogenschützen niederschießen.« Als sich daraufhin seine Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Falls sie den Raum ohne uns verläßt, dann deswegen, weil sie Magie beherrscht und uns damit getötet hat.«
Kommandant Nance, dessen Gesicht so fahl geworden war wie ein Jahr altes Stroh, schlug sich zum Salut mit der Faust vors Herz.
Das vordere Zimmer war rot dekoriert. Die Wände waren in dunklem Karminrot gehalten, das mit einer weißen, gekehlten Abschlußleise und mit Fußleisten und Türfüllungen aus rosa Marmor abgesetzt war. Auf dem Boden aus Hartholz lag ein riesiger, goldbetreßter Teppich mit einem aufwendigen Blätter- und Blumenmotiv. Die vergoldeten Beine des Marmortisches und der gepolsterten Sessel aus rotem Samt waren mit einem dazu passenden Blatt- und Blumenmuster verziert. Da es sich um einen Raum im Innern handelte, gab es keine Fenster. Geschliffene Kristallzylinder auf dem Dutzend Reflektorlampen überall im Zimmer überzogen die Wände mit tanzenden Lichtern.
Kahlans Ansicht nach war es einer der geschmacklosesten Räume im Palast, aber es gab Diplomaten, die ausdrücklich dieses Zimmer verlangten. Sie fühlten sich dadurch in genau die richtige Stimmung für Verhandlungen versetzt. Kahlan war immer besonders auf der Hut, wenn sie die Argumente von Abgesandten hörte, die in einem der roten Zimmer wohnten.
Nadine hielt sich nicht im extravaganten Vorzimmer auf. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen.
»Herrliche Räume«, meinte Cara leise. »Kann ich sie haben?«
Kahlan sagte ihr, sie solle still sein. Sie konnte sich denken, warum die Mord-Sith ein rotes Zimmer haben wollte. Während Cara ihr über die Schulter sah, drückte Kahlan vorsichtig die Schlafzimmertür auf. Caras Atem streifte sie am rechten Ohr.
Falls dies überhaupt möglich war, dann hatte das Schlafzimmer eine noch beleidigendere Wirkung auf die Sinne als das Wohnzimmer. Das rote Farbthema setzte sich hier in den Teppichen fort, in der reichbestickten Tagesdecke auf dem Bett, in einer alles andere als zurückhaltenden Ansammlung reich verzierter, goldbetreßter Kissen und der mit Wirbeln durchsetzten rosa Kamineinfassung aus Marmor. Sollte Cara sich in ihrer roten Lederkleidung jemals verstecken wollen, dachte Kahlan, dann brauchte sie sich nur in dieses Zimmer zu setzen, und niemand würde sie finden.
Nur die Hälfte der Lampen im Schlafzimmer brannte. Mehrere Schalen aus geblasenem Glas, die man auf Tische und das Pult gestellt hatte, waren mit getrockneten Rosenblüten gefüllt, deren Duft sich mit dem Lampenöl vermischte und die Luft mit einem schweren, leicht Übelkeit erregenden, süßlichen Geruch durchzog.
Beim Knarren der Türangeln öffnete die Frau, die auf dem Bett lag, die Augen, entdeckte Kahlan und sprang auf. Bereit, Nadine mit ihrer Konfessorenkraft zu überwältigen, sollte sie das kleinste Anzeichen von Aggression an den Tag legen, streckte Kahlan unbewußt einen Arm seitlich aus, damit Cara ihr nicht in die Quere kam. Um sich zu wappnen, hielt sie den Atem an und spannte jeden Muskel. Wenn die Frau Magie beherrschte, würde Kahlan schnell sein müssen.
Nadine rieb sich hastig den Schlaf aus den Augen. Die Unentschlossenheit, mit welchem Bein sie bei dem wackeligen Hofknicks, den sie machte, vortreten sollte, verriet Kahlan, daß sie keine Adlige war. Deshalb konnte sie immer noch eine Schwester der Finsternis sein.
Nadine glotzte Kahlan einen Augenblick lang an, bevor sie sich das Kleid auf den Hüften glattstrich und das Wort an die Mutter Konfessor richtete. »Verzeiht mir, Königin, doch ich war lange unterwegs und habe mich ein wenig ausgeruht. Ich muß wohl eingeschlafen sein, denn ich habe Euch nicht klopfen hören. Ich bin Nadine Brighton, Königin.«
Während Nadine zu einem weiteren wenig eleganten Hofknicks in die Knie ging, sah sich Kahlan rasch im Zimmer um. Das Waschbecken und der Wasserkrug waren unbenutzt. Die Handtücher auf dem Waschtisch daneben waren sauber gefaltet. Am Fußende des Bettes lag ein abgetragener, schlichter wollener Reisebeutel. Eine Kleiderbürste und eine Blechtasse waren die einzigen fremden Gegenstände auf dem überladenen vergoldeten Tisch, der bei dem roten Samtsessel neben dem mit Fransen gesäumten Himmelbett stand. Trotz der am Frühlingsanfang noch kalten Luft und dem erkalteten Kamin hatte sie die Tagesdecke für ihr Nickerchen nicht aufgeschlagen. Vielleicht, überlegte Kahlan, damit sie sich nicht verhedderte, falls sie sich schnell bewegen mußte.
Kahlan entschuldigte sich nicht für ihr Eintreten, ohne anzuklopfen. »Mutter Konfessor«, sagte sie in warnendem Tonfall, denn sie hatte das dringende Bedürfnis, klarzustellen, über welche stillschweigende Macht sie verfügte. »Königin ist einer meiner weniger … gebräuchlichen Titel. Bekannter bin ich als Mutter Konfessor.«
Nadine wurde rot, und die Sommersprossen auf ihren Wangenknochen und quer über ihre feine Nase verschwanden fast. Verlegen senkte sie die großen blauen Augen. Sie kämmte fahrig mit den Fingern durch ihr dichtes, braunes Haar, obwohl es überhaupt nicht ungeordnet zu sein schien.
Sie war nicht so groß wie Kahlan, schien dagegen im gleichen Alter oder vielleicht ein Jahr jünger zu sein. Sie war eine hübsch anzusehende junge Frau, die durch nichts zu erkennen gab, daß sie eine Bedrohung oder Gefahr darstellte. Aber Kahlan war nicht bereit, sich von einem offenen Gesicht und einem unschuldigen Auftreten täuschen zu lassen.
Die Erfahrung hatte Kahlan harte Lektionen gelehrt. Marlin, ihre bislang letzte, hatte anfangs den Eindruck gemacht, als sei er nichts weiter als ein verlegen wirkender junger Mann. Die Augen dieser wunderschönen jungen Frau schienen jedoch nicht dieselbe Zeitlosigkeit zu haben, die Kahlan so beunruhigt hatte. Trotzdem blieb sie auf der Hut.
Nadine drehte sich um, strich hastig die Tagesdecke glatt und drückte die Falten mit schnellen Handbewegungen heraus. »Verzeiht mir, Mutter Konfessor, ich hatte nicht die Absicht, Euer wundervolles Bett durcheinanderzubringen. Ich habe mein Kleid vorher abgebürstet, damit kein Straßenstaub darauf kommt. Eigentlich hatte ich mich auf den Fußboden legen wollen, aber das Bett sah so einladend aus, da konnte ich nicht widerstehen. Hoffentlich habe ich nichts Unrechtes getan.«