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Ein kurzes Heulen zerriß die angespannte Stille. Das Licht des jungen Mannes zersplitterte. Man hörte einen dumpfen Schlag, den Clarissa durch den Fußboden spürte, und im Nachbarzimmer flammte ein Licht auf.

Heulen und Licht ließen nach – und Vincent war verschwunden. Auf dem Fußboden sah Clarissa dort, wo er gestanden hatte, ein kleines Häufchen weißer Asche.

Nathan ging zur Wand und holte einen Besen, der dort gleich hinter einem Vorhang lehnte. Er öffnete die Tür und fegte die Asche hinaus auf den Flur.

»Danke für deinen Besuch, Vincent. Schade, daß du schon gehen mußt. Erlaube, daß ich dich hinausbegleite.«

Mit elegantem Schwung fegte Nathan, eine kleine Wolke aufwirbelnd, den letzten Ascherest auf den Flur. Er schloß die Tür und wandte sich wieder den dreien zu, die ihn mit offenem Mund anstarrten.

»Also, wie ich gerade sagte, begeht Ihr den letzten Fehler Eures Lebens, wenn Ihr mich oder meine Fähigkeiten unterschätzt. Mit Eurem armseligen Verstand könnte ich Euch mit der Nase darauf stoßen, und Ihr würdet es trotzdem nicht begreifen.« Nathan runzelte seine Stirn auf eine Art, die selbst Clarissa Angst einjagte. »Und jetzt erweist mir den gebührenden Respekt und verbeugt Euch vor Lord Rahl.«

Die drei verneigten sich widerstrebend und beugten ein Knie auf den Boden.

»Was wollt Ihr also?« fragte Schwester Jodelle, nachdem sie sich wieder erhoben hatte. Ihre Stimme hatte einiges an Schärfe verloren.

»Ihr könnt Jagang ausrichten, ich sei daran interessiert, Frieden zu schließen.«

»Frieden?« Schwester Jodelle strich sich umständlich ein paar dunkle Strähnen aus dem Gesicht. »In welcher Position seid Ihr, ein solches Angebot zu machen?«

Nathan reckte sein Kinn. »Ich bin Lord Rahl. Bald werde ich Herrscher D'Haras sein und damit die Befehlsgewalt über die Neue Welt in Händen halten. Soweit ich weiß, ist Jagang in einen Krieg mit der Neuen Welt verstrickt.«

Schwester Jodelle kniff die Augen zusammen. »Was wollt Ihr damit sagen, Ihr würdet bald der Herrscher D'Haras sein?«

»Berichtet Jagang einfach, sein gewagter Plan steht kurz vor der Vollendung. Er wird den derzeitigen Lord Rahl in Kürze ausgeschaltet haben. Allerdings hat Jagang einen Fehler begangen. Er hat nicht mit mir gerechnet.«

»Aber … aber…« stammelte Schwester Jodelle, »Ihr seid nicht Lord Rahl.«

Nathan beugte sich verstohlen grinsend zu ihnen. »Wenn Jagang den Erfolg hat, den ich als Prophet vorhersehe, werde ich bald Lord Rahl sein. Ich bin ein Rahl, ich wurde mit der Gabe geboren. Alle D'Haraner werden mir über die Bande verpflichtet sein. Wie Ihr wißt, werden diese Bande den Traumwandler daran hindern, seine Fähigkeiten im Kampf gegen die Neue Welt einzusetzen.

Ihm ist ein Fehler unterlaufen.« Nathan verpaßte Pierce einen Klaps auf den Kopf. »Er bedient sich Möchtegernpropheten wie dieser hirnlosen Kaulquappe hier.«

Pierce lief rot an. »Ich bin kein Möchtegernprophet!«

Nathan sah ihn verächtlich an. »Ach, nein? Wieso hast du Jagang dann nicht davor gewarnt, daß er sich, so er sich einer Prophezeiung bedient, um Richard auszuschalten, nur in eine noch mißlichere Lage bringt? Denn nun bleibt mir gar keine andere Wahl, als Lord Rahl, der Herrscher D'Haras sowie aller Mächte von Rang in der Neuen Welt zu werden. Hast du ihn vor diesem Ausgang gewarnt? Richard mag vielleicht entschlossen sein, aber er hat so gut wie keine Ahnung von Magie, ich dagegen weiß eine Menge darüber. Eine gewaltige Menge.«

Nathan baute sich vor Pierce auf. »Frag Vincent. Ein wahrer Prophet hätte die Gefahr erkannt, die hinter meinen einfachen Schilden lauert und nur darauf wartet, von einem Angreifer ausgelöst zu werden. Hast du sie erkannt?«

Schwester Willamina streckte einen Arm vor und hielt Pierce zurück. Gerade rechtzeitig, wie Clarissa fand, denn Nathan machte ganz den Eindruck, als wollte er jeden Augenblick ein weiteres Häuflein weißer Asche produzieren.

»Was verlangt Ihr also, Lord Rahl?« fragte sie.

»Jagang hat die Wahl. Entweder er hört sich meine Bedingungen an, oder er gerät in große Schwierigkeiten. In sehr viel größere Schwierigkeiten als durch Richard Rahl.«

»Bedingungen?« Schwester Jodelle zog das Wort argwöhnisch in die Länge.

»Der derzeitige Lord Rahl ist jung und voller Idealismus und würde sich Jagang niemals ergeben. Ich dagegen bin älter und weiser. Ich weiß, wie töricht ein Krieg wäre, der unzählige Menschen das Leben kosten würde. Und wozu? Nur für das Recht, dem Herrscher einen neuen Namen zu geben?

Richard ist ein junger Narr, der nicht ahnt, wie er seine Kraft benutzen soll. Ich bin kein junger Narr, und wie Ihr gesehen habt, weiß ich sehr wohl, wie ich meine Kraft einsetzen kann. Ich bin bereit, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, Jagang nach Belieben über die Neue Welt herrschen zu lassen.«

»Und im Gegenzug?«

Nathan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich will nichts weiter als einen Teil der Beute für mich – als Gegenleistung für meine Hilfe. Ich werde die Herrschaft D'Haras übernehmen. Unter seiner Oberherrschaft natürlich. Ich werde sein Stellvertreter sein und die Geschäfte D'Haras führen. Außer Jagang steht niemand im Rang über mir. Das erscheint mir ganz gerecht.«

Der junge Pierce war immer noch weiß wie ein Laken und versuchte, sich hinter den beiden Frauen unsichtbar zu machen. Die beiden Schwestern dagegen wirkten plötzlich sehr viel weniger unglücklich. Sie hatten ein schmales, interessiertes Lächeln aufgesetzt.

»Woher weiß Jagang, daß er Euch trauen kann?«

»Trauen? Hält er mich für genauso dumm wie den jungen Lord Rahl, der zur Zeit die Neue Welt regiert? Ich habe gesehen, was mit Renwold geschehen ist. Wenn ich D'Hara nicht so regiere, wie Jagang es wünscht, und ihm einen gewaltigen Tribut bewillige, könnte er am Ende einmarschieren und uns vernichten. Kriege sind teuer. Diesen Reichtum hätte ich lieber für mich selbst.«

Schwester Jodelle lächelte höflich. »Und bis dahin? Woher wissen wir, daß es Euch wirklich ernst damit ist?«

»Ihr wollt eine Sicherheit?« Nathan rieb sich das Kinn und starrte an die Decke. »Nördlich von hier steht eine d'Haranische Armee von nahezu einhunderttausend Mann. Ohne meine Hilfe würdet Ihr sie niemals finden, bevor sie Jagangs Expeditionsstreitkräfte überfällt. Sobald Jagang den derzeitigen Lord Rahl beseitigt hat, werden die Bande dieser Armee auf mich übergehen. Sie wird mir treu ergeben sein. Gleich anschließend werde ich diese Armee seinen Truppen überstellen und ihm dadurch zusätzliche Männer unter Waffen in die Hände spielen. D'Haraner haben eine lange Tradition des Beutekrieges. Sie werden sofort an Jagangs Seite kämpfen.«

»Eine ganze Armee ausliefern«, meinte Schwester Jodelle nachdenklich.

»Seht Ihr, meine lieben Schwestern, Jagang bedient sich einer Prophezeiung, um diesen Krieg zu gewinnen. Genau das war sein Fehler. Er vertraut Zauberern, die keine richtigen Propheten sind. Ich könnte ihm die fachkundigen Dienste eines wahren Propheten anbieten. Seine Alternative wäre, einen wahren Propheten zum Feind zu haben. Die Hilfe von Möchtegernpropheten hat ihn doch erst in diese … mißliche Lage gebracht, seht Ihr das nicht ein?

Für einen kleinen, unbedeutenden Teil der Beute kann ich ihn daraus befreien. Ihr werdet sicherlich verstehen, daß ich nach all den Jahren unter der Obhut von Euch edlen Schwestern meine wenigen mir verbleibenden Jahre damit verbringen möchte, die Freuden des Lebens zu genießen.

Mit meiner Hilfe wird es seitens der Neuen Welt nicht mehr Widerstand geben als in Renwold. Sollte Jagang beschließen, unvernünftig zu sein, nun, wer weiß, mit einem echten Propheten auf seiten der Neuen Welt könnte sie am Ende gar gewinnen.«

Schwester Jodelle musterte Nathans Augen. »Hm, jetzt verstehe ich, worauf Ihr hinauswollt.«

Nathan reichte ihr seinen Brief. »Hier. Gebt dies Jagang. Darin werden mein Vorschlag und meine Bedingungen erklärt, als Gegenleistung für die Übergabe der Neuen Welt an mich. Wie gesagt, ich bin sicher, er wird mich viel vernünftiger finden als den derzeitigen Lord Rahl. Ich weiß, daß man mit Krieg nichts gewinnen kann. Ein Herrscher oder ein anderer, der Unterschied ist gering. Warum sollten Hunderttausende von Menschen ihr Leben für den Namen lassen, den man diesem Herrscher gibt?«