»Irgendeine Idee, wie dieser Meuchelmörder ausgesehen hat?«
Richard schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich habe ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.« Er strich sich durchs Haar und holte tief Luft. »Teilt euch auf. Die Hälfte von euch geht zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Befragt jeden, den ihr findet, und stellt fest, ob jemand ihn gesehen hat – einen Mann, der flieht. Möglicherweise geht er jetzt langsam, aber vorhin ist er gerannt.«
Raina, den Strafer in der Hand, nahm ihre Position an seiner Seite ein.
»Der Rest von euch bleibt bei mir«, sagte Richard. »Wir werden noch mehr Männer zusammentrommeln. Ich werde weitersuchen. Vielleicht läuft uns jemand über den Weg, der langsam geht, in Panik gerät und versucht zu fliehen. Wenn das jemand tut, will ich ihn haben. Lebend.«
Es war spät in der Nacht, als sie in den Palast der Konfessoren zurückkehrten. Die Soldaten dort waren bereits in erhöhter Alarmbereitschaft. Die Männer hatten ihre Schwerter und Streitäxte griffbereit, die Pfeile eingelegt, die Speere ausgerichtet. Andere patrouillierten auf dem weiten Palastgelände. Ihren stechenden, prüfenden Blicken wäre nicht einmal eine Maus entgangen.
Als Kahlan, Berdine, Raina, Drefan und Nadine Richard in den Versammlungssaal begleiteten, erblickte er dort Tristan Bashkar, der, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, wartend auf und ab ging. Er hörte sie kommen, blieb stehen und hob den Kopf.
Richard blieb gemächlich stehen, während der Botschafter, der sich reumütig gab, auf sie zukam. Richards Begleitung sammelte sich, bis auf Kahlan, die gleich neben ihm stand, zu einer kleinen Gruppe hinter ihm. Tristan begrüßte sie lautstark mit erhobener Hand.
»Lord Rahl, könnte ich bitte ein paar Worte mit Euch sprechen?«
Richard musterte den Mann von Kopf bis Fuß und bemerkte, daß er seine Hand nicht auf eine Hüfte stützte, um die Aufmerksamkeit auf sein prunkvoll verziertes Messer zu lenken.
Richard hob einen Finger. »Augenblick bitte.«
Er drehte sich ein Stück weit zu den anderen um. »Es ist spät. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns, ich möchte also, daß Ihr Euch ein wenig ausruht. Berdine, reitet bitte zur Burg hinauf, und haltet heute nacht zusammen mit Cara Wache.«
Berdine runzelte die Stirn. »Wir beide?«
Richard runzelte verärgert die Stirn. »Habe ich das nicht gerade gesagt? Ja, ihr beide. Angesichts des ganzen Ärgers möchte ich kein Risiko eingehen.«
»Dann werde ich die Gemächer der Mutter Konfessor bewachen«, sagte Raina.
»Nein.« Richard deutete mit dem Daumen auf Nadine. »Ihr werdet Nadines Zimmer bewachen. Schließlich war sie es, die überfallen wurde.«
»Ja, Lord Rahl«, stammelte Raina. »Dann werde ich dafür sorgen, daß vor den Gemächern der Mutter Konfessor ein Trupp Soldaten postiert wird.«
»Wenn ich rings um Kahlans Gemächer Soldaten haben wollte, dann hätte ich Euch das doch gesagt, oder etwa nicht?« Raina errötete. »Alle Soldaten sollen ihre üblichen Aufgaben übernehmen und vor den Eingängen, auf dem Palastgelände und in einer Sicherheitszone um das Gelände patrouillieren. Jeder einzelne von ihnen! Die Gefahr droht von außen, nicht von innen. Innerhalb des Palastes ist Kahlan vollkommen sicher. Auf keinen Fall dürfen Soldaten, die eigentlich draußen Wache schieben sollten, statt dessen untätig vor Kahlans Gemächern herumlungern. Das lasse ich nicht zu, habt Ihr mich verstanden!«
»Aber Lord Rahl –«
»Keine Widerworte. Dafür bin ich nicht in der Stimmung.«
Kahlan berührte ihn am Arm. »Richard«, meinte sie leise, »bist du sicher, daß –«
»Jemand hat versucht, Nadine umzubringen. Beinahe wäre es ihm gelungen. Oder hat hier irgend jemand nicht begriffen, was das bedeutet? Ich werde kein Risiko mehr eingehen. Ich will, daß sie beschützt wird, und vor allem will ich keine Diskussionen. Drefan, ab sofort trägst du ein Schwert. Heiler sind gefährdet.«
Alles starrte schweigend zu Boden.
»Gut.« Richard richtete seinen wütenden Blick auf Tristan. »Was gibt's?«
Der Angesprochene breitete die Hände aus. »Lord Rahl, ich wollte mich lediglich entschuldigen. Mir ist bewußt, wie gefühllos ich gewirkt haben muß, aber ich war um die Menschen hier besorgt, die krank sind und im Sterben liegen. Deswegen war ich so gereizt. Ich hatte nicht die Absicht, Unmut zwischen uns aufkommen zu lassen. Ich hoffe, Ihr nehmt meine Entschuldigung an.«
Richard musterte Tristans Augen. »Ja, natürlich. Die Entschuldigung ist akzeptiert, und es tut mir leid, wenn ich in Wut geraten bin. Wie Ihr war auch ich ein wenig reizbar.« Richard legte Nadine eine Hand auf die Schulter. »Jemand hat versucht, eine meiner Heilerinnen umzubringen – einen Menschen, der sich der Hilfe für andere verschrieben hat. Inzwischen machen die Menschen die Heiler für die Ausbreitung der Pest verantwortlich. Ich kann nicht zulassen, daß jemand zu Schaden kommt, der nur sein Bestes gibt, um anderen zu helfen.«
»Ja, natürlich. Äußerst freundlich von Euch, meine Entschuldigung anzunehmen. Ich danke Euch, Lord Rahl.«
»Trotz allem, Botschafter, Vergeßt nicht, morgen läuft Eure Zeit ab.«
Tristan verbeugte sich. »Dessen bin ich mir bewußt. Spätestens morgen werdet Ihr erfahren, wo ich stehe, Lord Rahl. Dann also gute Nacht.«
Richard fuhr die anderen an. »Morgen wartet eine Menge Arbeit auf uns. Es ist spät. Wie Drefan mich ständig erinnert, brauchen wir alle ein wenig Schlaf. Ihr kennt Eure Befehle. Noch Fragen?«
Alle antworteten mit einem wortlosen Schütteln des Kopfes.
Zwei Stunden, nachdem sie in den Palast zurückgekehrt waren und Richard sie alle ins Bett geschickt hatte, glaubte Kahlan, in ihrem Zimmer eine Bewegung zu erkennen.
Die Lampe an der gegenüberliegenden Wand war ganz heruntergedreht. Die Wolken verdeckten den Mond, daher fiel durch die Glastüren vom Balkon kein Licht herein. Die dicken Teppiche dämpften das Geräusch etwaiger Schritte. Der schwache Schein der Lampe war alles, was ihr die Gestalt verriet, die sie zu sehen glaubte.
Erneut regte sich auf der gegenüberliegenden Zimmerseite etwas – die Andeutung einer schattenhaften Bewegung. Sie hatte niemanden ihre Gemächer betreten sehen. Es konnte sich nur um Einbildung handeln. Der Tag hatte sie in einen überreizten Zustand versetzt.
Nach dem nächsten leisen Schritt bestand kein Zweifel mehr. Jemand befand sich in ihrem Zimmer und schlich immer näher an ihr Bett heran. So verstohlen seine Bewegungen auch waren, er hatte die Entfernung in bemerkenswert kurzer Zeit zurückgelegt.
Kahlan rührte keinen Muskel, als das Messer im trüben Licht der Lampe aufblitzte. Sie hielt den Atem an.
Ein kräftiger Arm stach haßerfüllt auf ihr Bett ein. Der Arm hob und senkte sich, stach in rascher Folge zu.
Richard stieß die Balkontür mit dem Finger an. Sie schwenkte an den Angeln geräuschlos nach innen. Auf Richards Handzeichen schlüpfte Berdine augenblicklich quer durchs Zimmer. Als sie an der richtigen Stelle war, tippte er einmal gegen das Glas. Berdine drehte den Docht der Lampe hoch.
Tristan Bashkar richtete sich neben Kahlans Bett auf, das Messer in der Hand, keuchend von der Anstrengung seiner soeben begangenen Tat.
»Laßt das Messer fallen, Botschafter«, forderte Richard ihn mit ruhiger Stimme auf.
Tristan ließ das Messer durch die Finger wirbeln und faßte es an der Klinge, um es werfen zu können.
Berdines Strafer traf ihn hinten am Hals und ließ ihn auf der Stelle zusammenbrechen. Sie bohrte ihm den Strafer in die Schulter, um sich abzustützen, während sie sich bückte, um das Messer aufzuheben. Tristan heulte vor Schmerz auf.
Berdine erhob sich und brachte drei Messer ans Licht.
»Du hattest recht, Richard«, sagte Drefan von hinten.
»Das glaube ich einfach nicht«, staunte Nadine und trat in den Schein der Lampe.
»Das solltet Ihr aber«, meinte General Kerson, der ebenfalls vom Balkon aus ins Zimmer kam. »Ich würde sagen, Tristan Bashkar hat seine Immunität als Diplomat eigenhändig aufgehoben.«