Janet krallte ihre Hände abermals in Vernas Kleid. »Wie? Wie geht es?«
Verna lächelte. »Es ist so einfach, daß man es kaum glauben mag. Manchmal ist das so mit der mächtigsten Magie. Man braucht nichts weiter zu tun, als im Herzen ein feierliches Gelöbnis auf ihn abzulegen, dann beschützt einen seine Magie vor dem Traumwandler. Solange Richard lebt und in dieser Welt weilt, wird Jagang nie wieder in deinen Geist eindringen können.«
»Ich schwöre Richard die Treue und bin von Jagang befreit?«
Verna sah nickend in das verblüffte Gesicht der Frau. »So ist es.«
»Was muß ich tun?«
Verna hob einen Finger, um Warrens Einwänden zuvorzukommen. Sie ging auf die Knie und zog Janet mit sich nach unten.
»Sprich mit mir zusammen die Worte von ganzem Herzen. Richard ist ein Kriegszauberer und führt uns in unserem Kampf gegen Jagang. Wir glauben von ganzem Herzen an ihn und an seinen Mut. Sprich die Worte mit mir zusammen, und glaube daran, dann wirst du frei sein.«
Janet nickte und faltete ihre Hände zum Gebet. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Verna sprach leise das Gebet und hielt gelegentlich inne, damit Janet ihr die Worte nachsprechen konnte.
»Herrscher Rahl, führe uns. Herrscher Rahl, beschütze uns. In deinem Licht gedeihen wir. In deiner Gnade finden wir Schutz. Deine Weisheit erfüllt uns mit Demut. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«
Im Flüsterton wiederholte Janet Vernas Worte.
Sie gab Janet einen Kuß auf die Wange. »Du bist frei, meine Freundin. Jetzt beeil dich. Besser, wir verschwinden hier.«
Janet schnappte nach Vernas Ärmel. »Was ist mit den anderen?«
Verna zögerte. »Ich täte nichts lieber, als auch die übrigen unserer Schwestern zu retten, aber das kann ich nicht, jedenfalls nicht jetzt. Wir werden später versuchen, sie zu holen. Wagen wir es jetzt, bekommt Jagang uns zu fassen.
Ich bin gekommen, um dich zu holen, weil du meine Freundin bist und ich dich liebe. Wir haben alle fünf geschworen, uns immer gegenseitig zu beschützen. Phoebe ist bereits bei uns. Nur du hast noch gefehlt.
So gerne ich die anderen Schwestern auch retten würde, das muß bis später warten. Ich werde sie nicht vergessen, das verspreche ich dir, aber wir können nicht alles auf einmal schaffen.«
Janet ließ den Kopf hängen und starrte auf den Boden. »Jagang hat Christabel getötet. Ich war dabei. Ihre Schreie verfolgen mich bis in meine Alpträume. Ihre Schreie und Jagang.«
Verna fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag in den Unterleib versetzt. Christabel war ihre beste Freundin gewesen. Sie wollte die Einzelheiten gar nicht hören. Christabel hatte sich dem Hüter zugewandt.
»Deswegen muß ich dich hier rausholen, Janet. Meine Angst um dich und vor dem, was Jagang dir angetan hat, verfolgt mich bis in meine Alpträume.«
Janet hob den Kopf. »Was ist mit Amelia? Sie war eine von uns fünf. Wir können sie unmöglich zurücklassen.«
Verna sah ihr gerade in die Augen. »Amelia ist eine Schwester der Finsternis.«
»War«, meinte Janet. »Jetzt nicht mehr.«
»Was?« fragte Verna entgeistert.
Warren beugte sich zu ihr hinüber. »Wenn man sich dem Hüter einmal verschworen hat, kann man diesen Entschluß nicht rückgängig machen. Ihr dürft ihren Worten nicht trauen, Schwester Janet. Wir sollten machen, daß wir verschwinden. Sie hat sich dem Hüter verschworen.«
Janet schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Jagang hat sie auf irgendeine Mission geschickt, die mit Magie zu tun hatte, und um ihre Aufgabe durchführen zu können, war sie gezwungen, den Hüter zu verraten.«
»Das ist ausgeschlossen«, meinte Verna.
»Es stimmt«, beharrte Janet. »Sie ist wieder zurück. Sie hat ihr Gelübde gegenüber dem Schöpfer erneuert. Ich habe selbst mit ihr gesprochen. Sie sitzt da und weint, küßt die halbe Nacht ihren Ringfinger und betet zum Schöpfer.«
Verna beugte sich weiter vor und sah Janet in die Augen. »Hör zu, Janet. Hast du gesehen, wie sie ihren Ringfinger küßt? Hast du es mit eigenen Augen gesehen? Bist du absolut sicher, daß sie nicht einen anderen Finger geküßt hat?«
»Ich habe an ihrem Krankenbett gewacht und versucht, sie zu trösten. Da habe ich sie beobachtet.« Janet küßte ihren eigenen Ringfinger und sprach dabei mit leiser Stimme ein Bittgebet, sie wolle auf der Stelle tot umfallen, wenn sie nicht die Wahrheit sagte.
»Einfach so? Sie küßt ihren Finger einfach so?«
»Ja. Sie küßt ihren Finger und weint und betet, der Schöpfer möge sie für das Grauen töten, das sie angerichtet hat.«
»Was hat sie denn angerichtet?«
»Das weiß ich nicht. Sobald ich sie danach frage, schreit und weint sie sich fast in den Wahnsinn. Jagang erlaubt nicht, daß sie sich selbst tötet. Er hat die Kontrolle über ihren Verstand, genau wie bei uns anderen. Er erlaubt keinem von uns, sich umzubringen; wir müssen ihm weiter dienen.
Amelia dürfen wir nicht zurücklassen, Verna. Wir müssen sie mitnehmen. Ich bin der einzige Trost, den sie auf der Welt hat. Was Jagang ihr antut…«
Verna wandte sich ab. Die Vorstellung, Amelia zurückzulassen, wenn sie dem Hüter tatsächlich abgeschworen hatte, drehte ihr den Magen um. Die fünf waren nahezu fünfhundert Jahre lang, seit sie junge Novizinnen waren, die allerbesten Freundinnen gewesen.
Eine Schwester des Lichts führte ein hartes Leben. Sie hatten einen Eid geschworen, einander stets beizustehen.
»Sie ist wieder eine von uns, Verna, eine Schwester des Lichts. Sie ist eine von uns fünf. Bitte, Verna, ich möchte lieber bei ihr bleiben, als sie im Stich zu lassen.«
Verna drehte sich um und sah Janets angsterfüllten Blick.
»Wir müssen ihn mit Exzellenz anreden, Verna«, sagte Janet leise schaudernd. »Wenn wir sein Mißfallen erregen, aus welchem Grund auch immer, läßt er uns eine Woche lang in den Zelten Dienst tun.«
Warren rief warnend Vernas Namen. Verna gab ihm einen Wink, er solle still sein. »In den Zelten? Wovon redest du?«
Janets Augen quollen abermals vor Tränen über. »Er überläßt uns eine Woche lang seinen Soldaten. Wir haben Ringe aus Gold, deshalb töten sie uns nicht, weil die mit dem goldenen Ring Jagang gehören, aber davon abgesehen können sie mit uns anstellen, was immer ihnen beliebt. Sie reichen uns eine Woche lang von einem Zelt zum nächsten weiter. Selbst die älteren Schwestern werden in die Zelte geschickt. Jagang bezeichnet es als Lektion in Sachen Disziplin, die wir alle lernen müßten.«
Janet fiel auf die Knie, brach schluchzend zusammen und schlug beide Hände vor den Mund. Verna sank neben ihr nieder und nahm sie in den Arm.
»Du hast keine Vorstellung, was Jagangs Männer uns antun«, weinte Janet. »Keine, Verna!«
»Ich verstehe«, erwiderte Verna leise. »Still jetzt. Es ist alles in Ordnung. Wir bringen dich von hier fort.«
Janet schüttelte den Kopf an Vernas Schulter. »Ich werde Amelia nicht zurücklassen. Sie hat nur noch mich. Ich bin eine Schwester des Lichts. Der Schöpfer würde es mir niemals verzeihen. Wenn ich sie alleine lasse, würde ich meine Pflicht dem Schöpfer gegenüber verletzen.
Jagang hat sie wieder einmal in die Zelte geschickt. Sie dreht durch, wenn sie zurückkommt und ich nicht da bin. Niemand sonst wird sich um sie kümmern. Die Schwestern der Finsternis werden einen großen Bogen um sie machen, und die Schwestern des Lichts werden ihr nicht verzeihen. Ich bin ihre einzige Freundin. Ich bin die einzige, die ihr vergeben und akzeptiert hat, daß sie zum Licht zurückgekehrt ist.
Sie wird übel zugerichtet sein, wenn sie zurückkommt. Ihr wißt nicht, wie Jagangs Männer sind. Außer bei gebrochenen Knochen erlaubt uns Jagang nicht, unsere Gabe einzusetzen, um uns gegenseitig zu heilen, wenn wir von den Zelten zurückkehren. Er meint, das sei Teil der Lektion. Nach dem Tod gehören unsere Seelen vielleicht dem Schöpfer, in diesem Leben jedoch ist unser Körper Jagangs Eigentum.
Wenn wir zurück sind, dürfen wir uns die gebrochenen Knochen mit Hilfe der Gabe richten lassen, aber bis dahin müssen wir diese entsetzlichen Schmerzen ebenso ertragen wie alles andere. Sollte ich nicht hier sein, wird niemand sie heilen oder auch nur trösten.«