Richard strich sich im Aufstehen das Haar nach hinten. Kahlan wollte ihre Beine nicht auf die Probe stellen, noch nicht. Alles war ihr zwischen den Fingern zerronnen. Ihre Pflicht hatte sie gezwungen, alles aufzugeben.
Nadine faßte die Anwesenden im Saal ins Auge: den Legaten, seine sechs Gattinnen, Cara, Kahlan und schließlich Richard, der sich ihr zögernd näherte.
Richard hielt den Blick starr auf den Boden gerichtet. »Ihr beide wißt, daß die Pest durch Magie ausgelöst wurde. Ich habe Euch beiden erklärt, wie diese aus dem Tempel der Winde entwendet wurde. Der Tempel hat seine Bedingungen gestellt, für den Fall, daß ich die Erlaubnis erhalte, ihn zu betreten und die Pest zu beenden.
Der Tempel verlangt, daß sowohl Kahlan als auch ich heiraten. Er hat zwei Personen benannt, die wir den Bedingungen entsprechend heiraten müssen. Es tut mir leid, daß man Euch beide da … hineingezogen hat. Den Grund dafür kenne ich nicht. Der Tempel weigert sich, dies näher zu begründen, und behauptet lediglich, es sei unsere einzige Chance, die Pest aufzuhalten. Ich kann keinen von Euch beiden zwingen, sein Einverständnis zu geben. Ich kann Euch nur bitten.«
Richard räusperte sich und versuchte, seine Stimme zu festigen. Er ergriff Nadines Hand. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.
»Nadine, willst du mich heiraten?«
Nadines Blick ging augenblicklich hinüber zu Kahlan. Die hatte ihre Konfessorenmiene aufgesetzt, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Pflichterfüllung, das hatte sie ihre Mutter ebenfalls gelehrt.
Nadine blickte zu den anderen hinüber, dann sah sie wieder hinunter auf Richards Kopf.
»Liebst du mich, Richard?«
Endlich hob Richard den Kopf und sah ihr in die Augen. »Nein. Tut mir leid, Nadine, aber ich liebe dich nicht.«
Die Antwort brachte sie nicht aus der Fassung. Kahlan war sicher, daß sie keine andere erwartet hatte.
»Ich werde dich heiraten, Richard. Ich werde dich glücklich machen. Du wirst schon sehen. Mit der Zeit wirst du mich schließlich doch noch lieben.«
»Nein, Nadine«, erwiderte Richard leise, »das werde ich nicht. Wir werden Mann und Frau sein, wenn du dich dazu bereit erklärst, und ich werde dir treu sein, aber mein Herz wird immer Kahlan gehören. Es tut mir sehr leid, dir das so deutlich sagen zu müssen, wo ich dich doch gerade bitte, mich zu heiraten, aber ich möchte dir nichts vorspielen.«
Nadine dachte einen Augenblick nach. »Nun, viele Ehen werden arrangiert und erweisen sich am Ende als gut.« Sie lächelte ihn an. Kahlan fand, es war ein verständnisvolles Lächeln. »Diese Ehe haben die Seelen arrangiert. Das muß etwas bedeuten. Ich werde dich heiraten, Richard.«
Richard sah sich nach Kahlan um. Jetzt war sie an der Reihe. In seinen toten grauen Augen blitzte es: Zorn.
Kahlan wußte, daß ihn dies innerlich ebenso zerriß wie sie.
Sie fand sich vor Drefan wieder, noch bevor sie richtig etwas davon mitbekam. Beim ersten Versuch versagte ihr die Stimme. Sie brachte einfach kein Wort heraus. Sie versuchte es noch einmal.
»Drefan, willst du … mich heiraten?«
Seine blauen Darken-Rahl-Augen taxierten sie ohne jede Regung. Aus irgendeinem Grund mußte sie an seine Hand zwischen Caras Beinen denken und hätte sich fast übergeben.
»Wie Nadine sagte, ich könnte es schlechter treffen als mit einer von den Seelen arrangierten Heirat. Vermutlich besteht wohl keine Chance, daß du mich jemals lieben wirst?«
Kahlans Kinn zitterte, als sie auf den Boden starrte. Die Stimme versagte ihr den Dienst. Sie schüttelte den Kopf.
»Nun, wie auch immer. Vielleicht erleben wir trotzdem ein paar schöne Zeiten. Ich werde es tun. Ich werde dich heiraten, Kahlan.«
Glücklicherweise hatte sie Richard nie erzählt, was Drefan mit Cara gemacht hatte. Richard hätte sonst womöglich die Beherrschung verloren und sein Schwert gezogen, als Drefan sagte, er werde Kahlan heiraten.
Cara und der Legat traten vor. »Dann ist es also besiegelt«, sagten sie wie aus einem Mund. »Die Winde sind erfreut, daß sie die Einwilligung aller Beteiligten haben.«
»Wann?« krächzte Richard mit heiserer Stimme. »Wann werden wir … wann sollen wir …? Und wann kann ich in den Tempel der Winde? Die Menschen sterben. Ich muß den Winden helfen, dem ein Ende zu bereiten.«
»Noch heute abend«, sagten Cara und der Legat wie aus einem Mund. »Wir werden unverzüglich zum Berg Kymermosst aufbrechen. Ihr werdet heute abend gleich nach unserem Eintreffen dort getraut.«
Kahlan fragte nicht, wie sie zu einem Ort gelangen sollten, der nicht mehr existierte. Es war ihr gleichgültig. Ihr kam es nur noch darauf an, daß sie an diesem Abend getraut werden würden.
»Das mit Raina tut mir leid«, sprach Nadine Richard ihr Beileid aus. »Wie geht es Berdine?«
»Nicht gut. Sie befindet sich oben in der Burg.«
Richard wandte sich an Cara. »Können wir auf unserem Weg dort haltmachen? Ich sollte ihr erklären, was geschehen ist. Sie wird bis zu meiner Rückkehr bei der Sliph Wache halten müssen. Ich muß es ihr sagen.«
»Und ich würde ihr gerne etwas geben, damit sie sich besser fühlt«, fügte Nadine hinzu.
»Erlaubnis erteilt«, sagte Cara mit dieser eiskalten Stimme.
Berdine wirkte entsetzt, als Richard ihr alles erzählte. Sie schlang die Arme um ihn und weinte aus doppeltem Kummer. Die Sliph sah von ihrem Brunnen aus zu und runzelte neugierig die Stirn.
Nadine mischte etwas aus ihren Säckchen in ihrem großen Beutel zusammen, gab Berdine Anweisungen, wann sie es nehmen sollte, und versprach, es werde ihr helfen, ihren Kummer zu überstehen. Richard versuchte, Berdine die Sachen zu erklären, die sie möglicherweise noch wissen mußte.
Kahlan konnte es fast als Kribbeln auf der Haut spüren, wie die Zeit vorbeiflog, während sie immer tiefer und tiefer hinab in den finsteren Abgrund stürzte.
»Wir müssen aufbrechen«, sagte Cara und unterband damit alle Hinhaltetaktik. »Wir werden scharf reiten müssen, wenn wir vor Mondaufgang ankommen wollen.«
»Wie finden wir den Tempel der Winde?« wollte Richard wissen.
»Man findet den Tempel der Winde nicht«, erwiderte Cara. »Der Tempel der Winde findet dich, vorausgesetzt, die Anforderungen sind erfüllt.«
Nadine zeigte Richard ihren Beutel. »Kann ich das dann hierlassen? Er ist schwer, außerdem kommen wir doch ohnehin hierher zurück.«
»Natürlich«, antwortete Richard, dessen Stimme eine monotone Folge von Lauten bar jeden Lebens war.
Man zwang Kahlan, auf dem Weg zurück zu den Pferden hinter Richard und neben Drefan zu gehen. Nadine legte Richard die Hand auf den Rücken. Anständigerweise war sie bemüht, sich mit der Freude über ihren Triumph zurückzuhalten, trotzdem war die Berührung als unmißverständliche Erklärung gedacht: Er gehört jetzt mir.
Am Fuß der Straße hinauf zur Burg hörte Kahlan, während sie die Stadt verließen, wie die Soldaten an den Leichenkarren riefen, die Leute sollten ihre Toten auf die Straße schaffen. Bald würde das ein Ende haben, genau wie das Leiden und das Sterben durch die Pest. Das allein spendete ihr ein wenig Trost. Die Kinder und ihre Eltern würden leben.
Wenn dies nur für Raina rechtzeitig gekommen wäre. Berdine hatte es nicht offen ausgesprochen, aber Kahlan wußte, der Gedanke tobte in ihrem Kopf.
Richard hatte allen ihren Bewachern befohlen zurückzubleiben. Ulic und Egan hatten den Ausdruck in seinem Gesicht gesehen und nicht widersprochen. Nur Richard und Nadine, Kahlan und Drefan, Cara, der Legat und seine sechs Frauen brachen auf und ritten hinauf zum Berg Kymermosst.
Kahlan hatte keine Ahnung, wie das alles funktionieren sollte, wie man in den Tempel der Winde gelangen sollte, und Richard erging es ebenso. Sie war auch nicht im geringsten neugierig. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, daß Richard Nadine heiraten würde. Bestimmt dachte Richard an nichts anderes als an ihre Hochzeit mit Drefan.
Während des Ritts gab Drefan Geschichten zum besten und versuchte, alle zu unterhalten und aufzumuntern. Kahlan bekam von alledem nicht viel mit. Sie beobachtete Richards Rücken. Sie hatte nur einen einzigen Wunsch: Sie wollte hinschauen, wenn er sich nach ihr umdrehte, wie er es von Zeit zu Zeit tat.