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Einen quälenden Augenblick lang war sie frei gewesen. Es gab keine Pest, keine sterbenden Menschen, keine Verantwortung, keine Pflicht, keine Heirat mit Drefan, keine Nadine. Diesen einen Augenblick lang war sie von alledem befreit gewesen und hatte sich der Genugtuung hingegeben. Diesen einen Augenblick lang waren ihr Herz und ihre Lust wieder bei Richard gewesen.

Kahlan brach seitlich neben Drefan zusammen, keuchte, rang um Atem und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Ihr fiel auf, daß er dieses zweite Mal keine Befriedigung gefunden hatte. Es war ihr egal. Sie hatte. In diesem Augenblick zählte nur eins: das süße Gefühl der Erlösung.

Einen wundervollen Moment lang hatten sie keine Sorgen gequält, und sie war bei ihrem Geliebten gewesen, wenn auch nur in ihrer Phantasie. Jetzt weinte sie vor Freude darüber.

Sie lag auf der Seite, von Drefan abgewandt, und erholte sich. Sie wischte sich die Freudentränen aus dem Gesicht. Nun, wo das Verlangen erloschen war, keimte unerwarteterweise Scham in ihr auf.

Gütige Seelen, was hatte sie gerade nur getan? Sie hatte ihren Spaß gehabt, das war alles. Sie hatte die Erlösung dringend gebraucht. Warum kam sie sich dann auf einmal so schmutzig vor?

Fernes Donnergrollen rollte auf sie zu. Die Andeutung eines Blitzes flackerte über den Himmel. Kahlan sah aus dem Fenster. Ein weiteres Aufblitzen, näher, zerriß das Innere der brodelnden Wolken und erhellte kurz den Berggipfel.

Aus dem anderen Gebäude vernahm Kahlan den langgezogenen Schrei von Nadine. Sie sperrte ihn aus ihren Gedanken aus. Sosehr Nadines Schrei sie auch schmerzte, wenigstens ließ er sie nicht so niedergeschlagen zurück wie zuvor.

Es folgten drei weitere Schreie von Nadine. Kurz, durchdringend, fordernd. Kahlan schlug sich die Hände vor die Ohren. Nadine hatte ihren Standpunkt klargemacht, konnte sie es nicht einfach dabei bewenden lassen?

Wind kam auf, plötzlich, als hätte jemand eine riesige, gewaltige Tür aufgestoßen. Die Böe schlug ein wie eine Lawine. Das Gebäude erzitterte. Der gesamte Berg erbebte.

Kahlan stützte sich auf die Ellenbogen und schaute durch die Fenster nach draußen. Ferne Blitze zuckten durch die ungestümen Wolken. Donner grollte, hallte im Gebirge wider. Und näherte sich mit jedem Schlag ein Stückchen.

Der Tempel der Winde kam – sie hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Das brachte ihre Gedanken wieder auf Richard, denn er kam seinetwegen. Plötzlich schämte sie sich. Wie hatte sie ihr Herz so einfach aus den Augen verlieren können? Wie konnte sie solche Wonne bei einem anderen Mann empfinden? Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht?

Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie sich so schmutzig gefühlt wie jetzt, urplötzlich. Mit Richard hatte sie sich hinterher wunderbar gefühlt. Jetzt fühlte sie sich mit jedem Augenblick schlimmer. Würde Richard je davon erfahren, er würde es niemals verstehen.

Richard würde nie davon erfahren. Er konnte unmöglich dahinterkommen. Es sei denn, Drefan erzählte ihm davon. Ihr Herz klopfte. Sie mußte an die Tücke denken, die sie in Drefans Augen gesehen zu haben glaubte. Nein, er würde Richard nichts erzählen.

Und wenn doch?

Ein plötzlicher Blitz in der Nähe ließ Kahlan senkrecht in die Höhe fahren. Sie hatte draußen etwas gesehen – ein Gebäude. Wie die Winde versprochen hatten, würde nicht der geringste Zweifel bestehen. Jetzt durfte sie sprechen.

Sie wälzte sich herum zu Drefan. Sie mußte sich seines Schweigens versichern, bevor sie diesen Ort verließen. Wenn Richard jemals dahinterkäme…

Der Wind umpeitschte den Berggipfel. Der Donner krachte.

»Hör zu, Drefan. Eins mußt du mir versprechen. Du darfst niemals erzählen, was hier gerade vorgefallen ist, was ich gerade mit dir gemacht habe.« Ihr Griff wurde fester. Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Arm. »Ich werde für den Rest meines Lebens tun, was immer du von mir verlangst, aber du mußt mir versprechen, daß du« – Lichtfetzen erhellten den Raum – »Richard nie etwas davon erzählen wirst…«

Ein krachender Donnerschlag ließ die Erde erzittern. Blitze zuckten schlangengleich am Unterrand der Wolken und tauchten den Raum in ein grelles, gleißendes Licht. Im zuckenden Licht waren graue Augen auf sie gerichtet. »Ich glaube, ›Richard‹ weiß bereits davon.« Kahlan schrie.

59

Kahlan erstarrte. Gedanken schossen ihr in einem Durcheinander äußersten Entsetzens durch den Kopf.

Ihr Schrei erschallte erneut, zerriß die Nacht – laut genug, um über den Donner hinweg gehört zu werden. Sie konnte sich nicht einmal zwingen zu blinzeln. Sie konnte ihre Augen nicht von Richards Gesicht losreißen.

Sie begriff es nicht, konnte sich keinen Reim darauf machen. Die Welt schien Kopf zu stehen. In ihren Gedanken wirbelte alles umher und machte es unmöglich, die Situation klar zu erfassen.

Als das nächste Mal ein Blitz den Raum erhellte, wußte sie nur eins: Es war Richard, nicht Drefan.

Kein Ausdruck, den sie je auf Richards Gesicht gesehen hatte, war so angsteinflößend wie der, den Kahlan jetzt erblickte. Seine Augen waren vollkommen leer. Weder Zorn noch tödliche Entschlossenheit, weder Zielstrebigkeit noch tödliche Ruhe, keine Eifersucht, nicht einmal Desinteresse.

Diese grauen Augen waren … ohne Seele, ohne Herz.

Kahlan bedeckte ihren Mund mit beiden zitternden Händen. Sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken hart an die steinerne Wand prallte.

Er hatte von Anfang an gewußt, daß sie es war, die hereingekommen war. Richard spürte es, wenn sie einen Raum betrat. Er hatte die ganze Zeit gewußt, daß sie es war. Daher war er so zärtlich wie möglich gewesen. Er hatte ihr die Tränen abwischen wollen. Sie hatte seine Hand weggestoßen. Sie hatte ihm keine Gelegenheit gegeben, ihr zu zeigen, daß er es war.

Kahlan brach mit einem grauenvollen Klagelaut auf dem Boden zusammen.

»Nein! Gütige Seelen, nein!«

Richard kam nicht zu ihr geeilt, sprach keine Worte des Trostes, brüllte nicht. Statt dessen ging er dorthin, wo seine Kleider lagen, nahe der Tür, und fing an, sich anzuziehen.

Kahlan trippelte schnell zu ihren Sachen ganz in der Nähe. Hastig streifte sie ihre Unterkleider über, da sie ihre Nacktheit plötzlich als demütigend empfand, als Erinnerung an das, was sie soeben getan hatte.

Sie hob ihr Kleid auf. Sie hielt inne, die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie griff um die Außenseite der Tür herum und hielt sich das Schwert und die Scheide vors Gesicht. Es hatte einen ledernen Griff, genau, wie sie sich erinnerte, es gesehen zu haben, kein mit Draht umwickeltes Heft. Es war nicht das Schwert der Wahrheit, Richards Schwert. Es war Drefans Schwert.

Kahlan ergriff Richards Handgelenk, als er seine Hosen vom Boden aufhob. »Wie … das ist Drefans Schwert, nicht deines. Es ist Drefans Schwert!«

Richard riß es ihr aus der Hand und lehnte es an die Wand. »Sie haben dir deine Kraft genommen. Du hast keine Möglichkeit, dich zu verteidigen. Drefan wird von jetzt an bei dir sein, nicht ich. Ich habe ihm das Schwert der Wahrheit gegeben, damit er dich beschützen kann.« Endlich begegneten sich ihre Blicke. »Ich denke, dieses hier wird die Wahrheit ebensogut finden wie das andere.«

Richard schob sein Bein in die Hosen. Kahlan griff abermals nach seinem Arm.

»Verstehst du denn nicht, Richard? Du warst es. Du warst hier drinnen bei mir, nicht Drefan. Die Seelen sehen einen Unterschied – zwischen Absicht und Tat. Nicht er war es, sondern du, von Anfang an.«

Er riß seinen Arm los. Für die Seelen mochte es einen Unterschied geben, für ihn nicht. Für Richard war die Absicht dasselbe wie die Tat.

»Du verstehst nicht, Richard. Es ist nicht so, wie du denkst.«

Richard warf ihr einen Blick zu, daß sie wankend einen Schritt zurückwich. Er wartete, während sie wie erstarrt dastand, unfähig, irgendwelche erklärenden Worte vorzubringen. Schließlich zog er sich weiter an.