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»Vermißt? Wie können Truppenteile vermißt werden? Ich will, daß man sie findet. Wir müssen die Armee zusammenhalten, um uns gegen die Imperiale Ordnung zu verteidigen. Ich werde nicht zulassen, daß das D'Haranische Reich an die Imperiale Ordnung fällt, weil meine Offiziere nicht in der Lage sind, die Disziplin aufrechtzuerhalten!«

»Jawohl, Lord Rahl. Ich habe bereits Späher ausgesandt, die die Truppen finden sollen, die … ihre Posten verlassen haben.«

»Das liegt an den Banden, Drefan«, warf Kahlan ein. »Die D'Haraner sind dir über die Bande verbunden. Die Armee fällt auseinander und wandert ziellos davon, weil sie die Bande und ihren Führer verloren haben. Sie haben keinen Lord Rahl –«

Er verpaßte ihr eine schallende Ohrfeige. Der scharfe Knall hallte durch den Saal. »Steh auf!« Er wartete, bis sie sich wieder erhoben hatte. »Ich dulde keine Unverschämtheiten von meinem Weib! Hast du verstanden?«

Kahlan hielt sich die Nase zu und versuchte, den Blutfluß zu unterdrücken. Die hellrote Flut lief ihr über Finger und Lippen und am Kinn herab. Fast hätte er aufgestöhnt. Der Anblick der blutenden Mutter Konfessor ließ ihm die Hände zittern. Er sehnte sich nach der Metzelei, dem Blut überall auf ihrem Körper, nach ihren Schreien, ihrem Entsetzen.

Aber er konnte warten, bis sie ihn darum anflehte. Wie Nadine es getan hatte. Nadines perverse Gier hatte ihm gefallen. Er hatte ihre Überraschung genossen, ihre tief empfundene Angst, als er sie – noch lebendig, damit sie auf dem langen Weg nach unten Gelegenheit hatte, über ihre Bosheit nachzudenken – über den Rand des Abgrunds schleuderte. Das hatte ihm Befriedigung verschafft – fürs erste.

Er konnte warten, bis die wahre Korruptheit der Mutter Konfessor erneut zutage trat, wie in jener ersten Nacht. Richard mußte entsetzt gewesen sein, als er herausfand, wie sehr sie in Wahrheit seinen Bruder wollte, daß die Frau, die er geliebt hatte, ebenso verdorben war wie jede gewöhnliche Hure. Armer, naiver, dämlicher Richard. Er hatte sich beim Abschied nicht einmal umgedreht.

Drefan konnte warten. Sie würde Zeit brauchen, um sich von dem Schock zu erholen, Richards Tod verschuldet zu haben. Er hatte Geduld. Lange würde sie nicht brauchen, so wie sie sich nach ihm verzehrte.

Er nahm sie in die Arme. »Verzeih mir, meine Gemahlin. Ich wollte dir nicht weh tun. Verzeih mir, bitte. Ich war nur um deine Sicherheit vor der Imperialen Ordnung besorgt – und beunruhigt, weil diese unnützen Soldaten ihre Befehle nicht befolgen und uns damit alle in Gefahr bringen.«

Kahlan befreite sich mit einer heftigen Drehung aus seinen Armen. »Verstehe.«

Sie log so schlecht. Aus den Augenwinkeln sah er die geduckte Gestalt in rotem Leder. Wenn sie sich rührte und angriff, würde er sie niederstrecken. Wenn nicht, hatte er eine andere Verwendung für sie.

Kahlan warnte Cara mit einem Zucken ihres Fingers. Die Mord-Sith beruhigte sich widerstrebend. Kahlan hielt sich für so gerissen, dachte, er würde nicht mitbekommen, wie sie den Menschen Befehle gab. Im Augenblick war das egal.

»General Kerson«, sagte Drefan. »Ich will, daß diese pflichtvergessenen Truppen gefunden werden. Wir müssen innerhalb der Armee Disziplin halten, sonst liefern wir uns der Imperialen Ordnung ans Messer. Wenn sie gefunden sind, sollen die Offiziere hingerichtet werden.«

»Was? Ihr wollt, daß ich meine eigenen Leute hinrichte, weil sie die Bande verloren haben –«

»Nein, sondern für ihren Verrat. Wenn die übrigen Männer sehen, daß wir derartige Pflichtvernachlässigung nicht dulden, werden sie es sich zweimal überlegen, ob sie sich unserem Feind anschließen.«

»Unserem Feind, Lord Rahl?«

»Natürlich. Wenn sie ihre Pflicht als D'Haraner, zu dienen und das D'Haranische Reich – ganz zu schweigen von ihrem Lord Rahl – zu schützen, nicht erfüllen, dann unterstützen sie damit den Feind. Das macht sie zu Verrätern! Sie gefährden damit das Leben meiner Gemahlin! Das Leben aller!«

Er strich mit den Fingern über die erhabenen Goldbuchstaben auf dem Heft des Schwertes der Wahrheit – seines Schwertes. Er trug es zu Recht. »Nun, habt Ihr noch mehr zu berichten?«

Der General und Kahlan wechselten heimlich einen Blick.

»Nein, Lord Rahl.«

»Gut. Das wäre dann alles. Wegtreten.« Er wandte sich zu Kahlan und bot ihr seinen Arm. »Komm, mein Liebling. Gehen wir frühstücken.«

61

Benommen stieg Richard vom Thron des Zauberers an der Stirnseite des Saales der Winde herunter. Seine Schritte hallten in der Ferne wider. Es war der Platz, der ihm von Rechts wegen zustand: der Thron des Zauberers. Er war der einzige Kriegszauberer, überhaupt der einzige, der sowohl Additive als auch Subtraktive Magie besaß.

Das Innere des Tempels der Winde war mehr als kolossal. Es überstieg fast jedes Begriffsvermögen. An diesem lautlosen Ort gab es keinerlei Geräusch, es sein denn, er erzeugte selber eines oder wünschte es kraft seines Willens herbei.

Unter der Gewölbedecke, die die himmelstrebenden Höhen weit oben abschloß, hätten Adler Platz gefunden, und dabei wäre ihnen vermutlich kaum aufgefallen, daß sie im Innern eines Gebäudes gefangen waren. Berghabichte, hätte es hier welche gegeben, hätten unterhalb dieses himmlischen Gewölbes dahingleiten, sich in die Tiefe stürzen und sich dabei ganz in ihrem Element fühlen können.

An den Seiten stützten gewaltige Säulen Mauern, die bis in den fernen Schwung des Kreuzrippengewölbes hinaufreichten. Gewaltige, in diese Seitenwände eingelassene Fenster ließen zusätzliches Streulicht herein.

Wenigstens konnte er die Seitenwände sehen. Das weit entfernte Ende des Saales hingegen verlor sich schlicht im Dunst und war nicht zu erkennen.

Fast alles hier hatte die Farbe eines fahlen Nachmittagsdunstes: die Fußböden, die Säulen, die Mauern und die Decke. Fast schien es, als bestünden sie aus diffusem Licht.

Richard war ein winziges Insekt in einer gewaltigen Gebirgsschlucht. Dennoch war der Ort nicht grenzenlos, denn es gab ein Jenseits außerhalb der Mauern.

Früher hätte ihn ein solcher Ort gelähmt und mit Ehrfurcht erfüllt. Heute empfand er weder das eine noch das andere. Er fühlte sich nur benommen.

Zeit hatte hier keinerlei Bedeutung außer der, die er hierherbrachte. Zeit fand keinen Punkt, an dem sie in der Ewigkeit hätte Anker werfen können. Er hätte statt weniger Wochen ein Jahrhundert hierbleiben können und doch nur selbst den Unterschied bemerkt – und lediglich deshalb, weil er es wollte. Das Leben zählte wenig hier: ein Begriff, so bedeutungslos wie das andere Ende der Ewigkeit; auch den hatte er an diesen Ort gebracht. Doch der Tempel der Winde war zu sinnlicher Wahrnehmung fähig und gewährte ihm in seiner von Zauberern geschaffenen steinernen Umarmung Schutz.

Er schlenderte weiter durch den Saal. Zu den Seiten hin, unter jedem Bogen, hinter jedem Säulenpaar, gab es einen überwölbten Nebenraum. Dort ruhten jene magischen Gegenstände, die man hier zur sicheren Verwahrung untergebracht hatte – die aus der Welt des Lebendigen und zu ihrem Schutz hierhergebracht worden waren.

Richard verstand sie und konnte sich ihrer bedienen. Ihm war bewußt, wie gefährlich diese Gegenstände waren und warum manche sie für alle Zeiten weggeschlossen wissen wollten. Das Wissen der Winde gehörte jetzt ihm.

Mit diesem Wissen hatte er der Pest Einhalt geboten. Er hielt das Buch, mit dem man die Seuche ausgelöst hatte, nicht in den Händen, aber das war auch nicht nötig, um es unschädlich zu machen. Das Buch war von hier entwendet worden und stand daher noch immer mit den Winden in Verbindung. Es ging einfach darum, die von den Winden ausgehenden Kraftströme umzuleiten, die es der Magie des Buches ermöglichten, in der Welt des Lebendigen Macht zu entfalten.

Tatsächlich war es so simpel, daß er sich schämte, nicht früher darauf gekommen zu sein. Tausende von Menschen waren gestorben, weil er so dumm und unwissend gewesen war. Hätte er damals geahnt, was er jetzt wußte, er hätte einfach ein aus beiden Seiten seiner Kraft gewobenes Netz ausgeworfen, und Jagang hätte mit dem Buch nichts anfangen können. So viele Menschen hatten den Tod gefunden – dabei wäre alles so einfach gewesen.