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Wenigstens hatte er seine Heilkräfte einsetzen können, um die Krankheit bei den meisten aufzuhalten, die erkrankt waren, bevor er den Magiefluß unterbrochen hatte. Wenigstens war die Pest vorbei.

Auch wenn er dadurch alles verloren hatte. Welch ein Preis für all diese Menschenleben. Welch ein Preis, fürwahr.

Nadine hatte es das Leben gekostet. Er empfand tiefe Trauer um sie.

Jagang und die Bedrohung aus der Alten Welt hätte er ebenfalls beseitigt, aber von hier aus war ihm das nicht möglich. In der Welt des Lebendigen hatte er nur Einfluß auf Dinge, die von hier aus in sie hineingebracht worden waren, und auf das Unheil, das sie dort anrichteten.

Aber er hatte das Zentrum der Kraft an diesem Ort berührt; es war nicht mehr möglich, durch den Saal der Verräter einzutreten. Zweimal würde Jagang dasselbe Kunststück nicht gelingen.

Richard hielt inne. Er zog sein Schwert blank, Drefans Schwert. Er hielt es auf seinen ausgestreckten Handflächen, starrte es an, beobachtete, wie das Licht darauf fiel. Dies war nicht sein Schwert – das Schwert der Wahrheit.

Er ließ seinen Willen, der das Geburtsrecht der Kraft enthielt, vom Grund seiner Seele aus in die Waffe strömen. Wo er sich zuvor abgemüht hatte, auch nur das unbedeutendste Bruchstück seiner Kraft hervorzubringen, kam seine Gabe jetzt mit der Leichtigkeit eines Seufzers. Die Kraft floß durch seine Arme nach außen in den Gegenstand, den er in den Händen hielt.

Kraft seines Willens bestimmte er seine Bestandteile, wog sie gegeneinander ab bis zum gewünschten Ergebnis, zur gewünschten Reihenfolge, bis sich das Schwert in seinen Händen in das Gegenstück dessen verwandelte, das er so gut kannte. Er hielt das Gegenstück des Schwertes der Wahrheit in der Hand, wenn auch ohne den mit ihm verbundenen Geist der längst dahingeschiedenen Seelen, die sein echtes Schwert benutzt hatten. In jeder anderen Hinsicht allerdings war es dasselbe. Es enthielt dieselbe Kraft, dieselbe Magie.

Der Versuch, das Schwert der Wahrheit herzustellen, hatte so manchen Zauberer das Leben gekostet, doch schließlich war einigen von ihnen Erfolg beschieden gewesen. Gleich anschließend hatte man das Wissen hierhergebracht, und jetzt stand es Richard zur freien Verfügung, wie alles Wissen hier.

Er packte das Heft und hielt die Klinge in die Höhe. Richard ließ die Kraft, die Magie, den Zorn in sich hineinfluten, ließ ihn durch seinen Körper tosen, nur um überhaupt etwas zu spüren. Selbst Zorn war besser als nichts.

Nur hatte er keine Verwendung für ein Schwert. Der Zorn erlosch, um wieder durch Leere ersetzt zu werden.

Er schleuderte das Schwert hoch in die Luft und hielt es dort fest, wo es auf einem Kraftkissen langsam rotierte. Mit einem Stoß zerschmetterte er die von ihm eigenhändig hergestellte Klinge zu einer Wolke aus metallischem Staub und verbannte diesen, einer weiteren Überlegung folgend, ganz aus dem Sein.

Wieder verspürte er die Leere. Leere und Einsamkeit.

Ein Gefühl, als sei dort jemand, ließ ihn sich umdrehen. Wieder eine Seele. Ab und zu kamen sie, um ihn zu besuchen, um mit ihm zu sprechen, ihn zu drängen, in seine Welt zurückzukehren, bevor es zu spät war, bevor er den Faden verlor, der in die Welt des Lebendigen führte.

Diese Gestalt, diese Seele, erschreckte ihn so sehr, daß er in starrem Schrecken wie angewurzelt stehenblieb.

Sie sah aus wie Kahlan.

Die sanfte, leuchtende Erscheinung schwebte vor ihm und verstrahlte ein Glühen von derselben Farbe wie alles andere an diesem Ort, nur intensiver, mit deutlicheren Umrissen.

Sie sah aus wie Kahlan. Zum ersten Mal seit Wochen klopfte sein Herz.

»Kahlan? Bist du gestorben? Bist du jetzt eine Seele?«

»Nein«, antwortete die Seele. »Ich bin Kahlans Mutter.«

Richards Anspannung löste sich. Er wandte sich ab und setzte seinen Weg durch den Saal fort. »Was willst du?«

Wie dies gelegentlich ihre Art war, folgte ihm die Seele interessiert, ihm, der in ihrer Welt vielleicht eine Merkwürdigkeit darstellte.

»Ich habe dir etwas mitgebracht«, meinte die Seele.

Richard drehte sich um. »Was?«

Sie hielt ihm eine Rose hin. Das Grün des Stiels und das Rot der Blütenblätter hatten in dieser farblosen Welt eine verblüffende Wirkung. Es war eine Augenweide. Ihr Wohlgeruch füllte seine Lungen mit ihrem angenehmen Duft. Er hatte fast vergessen, wie schön diese Dinge sein konnten.

»Was soll ich damit?«

Die Seele hielt sie ihm hin, drängte sie ihm geradezu auf. Er hatte keine Angst vor den Seelen, die ihn besuchten. Selbst jene, die ihn haßten, konnten ihm nichts anhaben. Er wußte sich zu schützen.

Richard nahm die Rose. »Danke.« Er steckte sie in seinen Gürtel.

Dann drehte er sich um und ging weiter. Die Seele von Kahlans Mutter folgte ihm. Er mochte ihr nicht ins Gesicht sehen. Sie war zwar eine Seele, und ihre Gesichtszüge waren durch das ihnen eigene Glühen undeutlich, trotzdem glich sie zu sehr ihrer Tochter.

»Kann ich mit dir sprechen, Richard?«

Seine Schritte hallten durch den Saal. »Wenn du willst.«

»Ich möchte dir von meiner Tochter Kahlan erzählen.«

Richard blieb stehen und drehte sich um. »Warum?«

»Weil sie ein Teil von mir ist. Sie war von meinem Fleisch und Blut, genau wie du vom Fleisch und Blut deiner Mutter bist. Kahlan ist meine Verbindung zur Welt des Lebendigen, zu der Welt, in der ich einst gelebt habe. Und in die du zurückkehren mußt.«

Richard setzte abermals seinen Weg fort. »Mein Zuhause ist hier. Ich habe nicht die geringste Absicht, in diese Welt der Bitterkeit zurückzukehren. Wenn ich eine Nachricht an deine Tochter überbringen soll, muß ich bedauern. Das kann ich nicht. Laß mich in Frieden.«

Er hob die Hand, um sie aus dem Saal zu verbannen, sie dagegen flehte ihn mit erhobenen Händen an, seine Kraft zurückzuhalten.

»Ich will überhaupt nicht, daß du eine Nachricht überbringst. Kahlan weiß, daß ich sie liebe. Ich will mit dir sprechen.«

»Weshalb?«

»Wegen dem, was du Kahlan angetan hast.«

»Ihr angetan? Was habe ich ihr denn angetan?«

»Ich habe ihr einen Sinn für Pflicht anerzogen. ›Konfessoren kennen keine Liebe, Kahlan. Sie kennen nur Pflicht.‹ Das habe ich damals zu ihr gesagt. Zu meiner Schande habe ich ihr nie erklärt, was ich damit meinte. Ich fürchte, ich habe ihr keinen Raum für ihr eigenes Leben gelassen.

Mehr als jeder andere Konfessor, den ich kannte, wollte Kahlan das Leben in vollen Zügen genießen. Die Pflicht hat ihr das größtenteils verwehrt. So wurde sie zu einer so guten Beschützerin ihres Volkes. Sie wollte den Menschen eine Chance geben, glücklich zu werden, weil sie selbst so deutlich erkennt, was ihr verwehrt geblieben ist. Daher bleibt ihr nichts anderes übrig, als die kleinen Freuden zu genießen, wo sie nur kann.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Genießt du das Leben nicht, Richard?«

Richard ging weiter. »Das mit der Pflicht verstehe ich. Ich wurde für die Pflicht geboren. Damit habe ich jetzt abgeschlossen. Ich habe mit allem abgeschlossen.«

»Du begreifst genausowenig wie sie, was ich mit Pflicht meine. Für die richtige Person, die Person, die wahrhaft für die Pflicht geboren ist, bedeutet sie eine Form der Liebe, durch die alles möglich wird. Pflicht heißt nicht immer, daß einem Dinge verwehrt bleiben, sondern nur, daß diese auf andere übertragen werden. Pflicht sollte man nicht als lästige Aufgabe auffassen, sondern als etwas, das man am besten in Liebe tut.

Willst du nicht zu ihr zurückkehren, Richard? Sie braucht dich.«

»Kahlan hat jetzt einen Ehemann. In ihrem Leben ist für mich kein Platz.«

»Aber in ihrem Herzen.«

»Kahlan hat gesagt, sie wird mir niemals verzeihen.«

»Hast du noch nie aus Verzweiflung etwas von dir gegeben, das du später bereut hast, Richard? Hast du dir nie gewünscht, du könntest deine Worte ungesagt machen?«

»Ich kann nicht zu ihr zurück. Sie ist mit einem anderen verheiratet. Sie hat einen Eid geschworen, und sie hat … ich werde nicht zurückgehen.«