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Der Posten grunzte und schien nur zu gut zu verstehen, wieviel Verdruß eine Nachtschicht bedeuten konnte.

»Und, ach«, fügte Walsh hinzu, als sei es ihm eben erst eingefallen, »Lord Rahl wollte außerdem wissen, ob diese Abgesandte Seiner Exzellenz im Namen von Lord Rahl ihre Aufwartung machen kann.«

Der Posten zuckte die Achseln. »Tut mir leid. Jagang ist heute morgen aufgebrochen. Er hat fast alle mitgenommen. Hat nur ein paar Leute hiergelassen, die sich um alles kümmern sollen.«

Clarissa verließ vor Enttäuschung der Mut. Nathan hatte gehofft, Jagang sei hier, hatte aber gleich dazugesagt, vermutlich sei Jagang nicht so unklug. Es war nicht Jagangs Art, sein Leben den unbekannten Fähigkeiten eines so mächtigen Zauberers wie Nathan auszusetzen.

Walsh nahm Clarissas Arm und schob sie weiter, während er dem Posten gutgelaunt einen Klaps auf die Schulter gab. »Danke.«

»Klar. Geht einfach rein, den Gang entlang. Dort erwartet dich eine dieser Frauen. Vorhin lief sie noch bei der zweiten Fackelgruppe hin und her.«

Walsh und Bollesdun waren Soldaten der Imperialen Ordnung, und auch mit anderen Soldaten hatten sie keinerlei Schwierigkeiten. Clarissa wagte nicht, sich vorzustellen, was sonst die beiden Male mit ihr passiert wäre, als Truppen die Kutsche angehalten hatten, um sie über ihre Mission auszufragen. Walsh und Bollesdun hatte es keine große Mühe gekostet, sie durch die Kontrollpunkte zu bringen.

Clarissa erinnerte sich allzugut, was mit den Frauen in Renwold geschehen war. Die Greuel, die man Manda Perlin bei der Eroberung Renwolds durch die Imperiale Ordnung zugefügt hatte, bereiteten ihr noch immer Alpträume. Und das alles war auf dem Fußboden, gleich neben ihrem ermordeten Gatten Rupert, geschehen.

Ihre Schritte hallten durch den steinernen Gang, den sie entlang eilten. Es war ein dunkler, feuchtkalter, deprimierender Ort. Bis auf ein paar Holzbänke hatte er keinerlei Annehmlichkeiten zu bieten. Es war ein Gebäude für Soldaten.

Wie der Posten gesagt hatte, wartete die Frau bei der zweiten Fackelgruppe.

»Ja«, fragte die Frau. »Was gibt's?«

Als Clarissa vor der Frau stehenblieb, erkannte sie im Schein der Fackeln, daß ihr Gesicht übel zugerichtet war. Es wies gräßliche Platzwunden und blaue Flecken auf. Ihre Unterlippe war auf einer Seite zur doppelten Dicke angeschwollen. Selbst Walsh wich ein Stück zurück.

»Ich bin mit Schwester Amelia verabredet. Der Generalbevollmächtigte Seiner Exzellenz schickt mich.«

Die Frau sackte erleichtert in sich zusammen. »Gut. Ich bin Schwester Amelia. Ich habe das Buch. Hoffentlich sehe ich es nie wieder.«

»Der Generalbevollmächtigte Seiner Exzellenz hat mir darüber hinaus aufgetragen, in seinem Namen einer alten Freundin von ihm meine Aufwartung zu machen, Schwester Verna. Befindet sie sich hier?«

»Also, ich weiß nicht, ob ich –«

»Seine Exzellenz wird sehr ungehalten sein, wenn man mir nicht erlaubt, sie zu sehen, und sein Generalbevollmächtigter ihn davon in Kenntnis setzt, daß sein Anliegen auf so rüde Weise von einer Sklavin abgewiesen wurde. Ich bin selbst Sklavin im Dienste Seiner Exzellenz und muß Euch sagen, die Verantwortung dafür werde ich nicht übernehmen.«

Clarissa kam sich töricht vor bei diesen Worten, aber wie Nathan ihr versichert hatte, schienen sie Wunder zu wirken.

Schwester Amelias Blick heftete sich auf den goldenen Ring in Clarissas Unterlippe. Ihre Unschlüssigkeit schwand. »Natürlich. Bitte folgt mir. Das Buch wird jedenfalls hier aufbewahrt.«

Walsh, dessen Hand nahe am Heft seines Schwertes lag, neben sich, folgte Clarissa Schwester Amelia weiter ins Innere der bedrückenden Festung. Sie gingen einen langen Gang entlang, bogen dann ab. Clarissa paßte unterwegs genau auf, damit sie, für den Fall, daß sie schnell verschwinden mußten, nicht den falschen Weg einschlug und sich hier verirrte.

Vor einer Tür blieb Schwester Amelia stehen und sah Clarissa einen winzigen Augenblick lang an, bevor sie den Riegel anhob und sie hineinbat. Drinnen hielten sich ein Mann und eine Frau auf: Er saß an einem einfachen Brettertisch und las in einem Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag, sie sah ihm dabei über die Schulter.

Die Frau blickte kurz auf. Sie war ein wenig älter als Clarissa und mit ihrem braunen lockigen Haar recht anziehend. Auf Clarissa machte sie den Eindruck, einst Autorität besessen zu haben, bevor man sie durch Erniedrigungen gebrochen hatte. Sie wirkte gequält. Ob es gefühlsmäßige oder körperliche Qualen waren, vermochte Clarissa nicht zu sagen.

Schwester Amelia streckte die Hand aus. »Das ist Verna.«

Verna richtete sich auf. Sie hatte einen Goldring in der Lippe, den gleichen wie Schwester Amelia, den gleichen wie Clarissa. Der Mann mit dem blonden, zerzausten Haar wandte sich nicht von seinem Buch ab. Er schien angestrengt in die Lektüre vertieft zu sein.

»Freut mich, Euch kennenzulernen«, sagte Clarissa.

Verna wandte sich wieder dem Mann und dem Buch zu.

Clarissa schob ihre Kapuze zurück und wandte sich an Schwester Amelia. »Das Buch.«

Diese verbeugte sich. »Natürlich. Gleich hier drüben.«

Sie eilte zu einem Regal. Der Raum war nicht groß. Vor einer der Steinquaderwände stand ein grob gezimmertes Regal mit Büchern. Es waren kaum einhundert. Nathan hatte gehofft, es wären sehr viel mehr. Nathan hatte allerdings erwartet, daß Jagang nicht viele seiner Beutestücke zusammen an ein und demselben Ort aufbewahrte.

Schwester Amelia zog einen Band aus dem Regal und legte ihn auf den Tisch. Allein die Berührung schien ihr unangenehm zu sein.

»Das ist es.«

Der Einband war, wie Nathan ihn ihr beschrieben hatte: in einem eigenartigen Schwarz gehalten, das das Licht im Raum aufzusaugen schien. Clarissa klappte den Deckel auf.

»Was tut Ihr da?« rief Schwester Amelia und trat näher heran.

Clarissa sah auf. »Man hat mir erklärt, wie ich mich davon überzeugen soll, daß es sich um das richtige Buch handelt. Bitte überlaßt das mir.«

Schwester Amelia trat händeringend zurück. »Natürlich. Aber ich kann Euch nur zu gut bestätigen, daß es sich um das richtige Buch handelt. Es ist das, mit dem Seine Exzellenz sich einverstanden erklärt hat.«

Vorsichtig blätterte Clarissa die erste Seite um, während Schwester Amelia sich nervös mit der Zunge über die Lippen fuhr. Verna verfolgte das Ganze aus den Augenwinkeln.

Clarissa griff in ihr Gewand und zog den kleinen Lederbeutel mit Pulver hervor, den Nathan ihr mitgegeben hatte. Sie streute es über die aufgeschlagene Seite. Worte wurden sichtbar:

Den Winden übergeben von Zauberer Ricker.

Es war das Buch, dessentwegen sie hergekommen war. Den Namen des Zauberers hatte Nathan nicht gewußt, er hatte ihr jedoch erklärt, dort werde ›Den Winden übergeben von‹ stehen, gefolgt von einem Namen. Sie klappte es zu.

»Schwester Amelia, würdet Ihr uns bitte einen Augenblick alleine lassen?«

Die Frau verbeugte sich und verließ eilig den Raum.

Verna runzelte die Stirn, während sie sich abermals aufrichtete. »Was hat das zu bedeuten?«

»Dürfte ich mir bitte Euren Ring ansehen?«

»Meinen Ring?«

Schließlich hielt Verna ihr seufzend die Hand hin und zeigte Clarissa den Ring an ihrem Ringfinger. Er trug das Sonnenaufgangssymbol, wie Nathan es ihr beschrieben hatte.

»Warum wollt Ihr –« Verna bemerkte zum ersten Mal Clarissas Bewacher. Sie riß die Augen auf. »Walsh?« Warren hob den Kopf.

Walsh lächelte. »Wie geht es Euch, Prälatin?«

»Nicht besonders gut.«

Clarissa trat näher. Der Mann, Warren, wirkte verstört.

»Lord Rahl hat mich geschickt, um dieses Buch zu holen.« Clarissa bedachte Verna und Warren mit einem bedeutungsvollen Blick. »Ich bin Lord Rahl über die Bande verbunden.«

»Richard ist tot«, erwiderte Verna mit flacher, tonloser Stimme.

»Ich weiß. Ich wurde dennoch von Lord Rahl geschickt. Von Nathan Rahl, dem Herrscher D'Haras. Er bat mich, seine Empfehlungen zu überbringen.«