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Seufzend ließ Verna Clarissas Arm los. »Ja, natürlich.«

»Freundin?« jammerte Manda, während ihr Gesicht sich in unsäglichem Kummer verzog.

»Ganz recht«, antwortete Clarissa. »Ich könnte euch ebenfalls hier rausschaffen.«

»Das würdet Ihr für mich tun? Nachdem ich Euch so oft…« Schluchzend schlang Manda die Arme um Clarissa. »Ach ja. Bitte, Clarissa. Bitte, Clarissa, laßt mich mit Euch gehen!«

Clarissa packte die Frau bei den Handgelenken und schob sie von sich. »Dann hört aufmerksam zu. Ich gebe Euch nur eine einzige Chance. Mein Herr und Meister verfügt über Magie, die Euren Geist vor dem Traumwandler beschützen kann. Ihr müßt einen Eid auf ihn schwören. Ihr müßt ihm treu ergeben sein.«

Manda ließ sich auf die Knie fallen und krallte sich in Clarissas Kleid. »Ja, ich schwöre.«

»Dann sprecht diese Worte. Ihr müßt sie von ganzem Herzen ehrlich meinen.«

Clarissa sagte das Gebet auf und hielt immer wieder inne, damit Manda die Worte nachsprechen konnte. Nachdem sie geendet hatte, halfen Verna und Clarissa der schluchzenden Frau auf die Beine.

Sie hatte sich stets von Manda einschüchtern lassen, hatte sich immer vor ihrem Spott gefürchtet. Wie oft hatte Clarissa gesenkten Hauptes die Straßenseite gewechselt, um Mandas Aufmerksamkeit zu entgehen?

»So beeilt Euch doch«, drängte Walsh. »Nathan hat gesagt, wir sollen so schnell wie möglich von hier verschwinden.«

Am Eingang mußte Walsh eine Geschichte über den Generalbevollmächtigten Seiner Exzellenz erfinden, den es nach ein paar Frauen verlangte. Der Posten faßte die nahezu nackten Frauen scharf ins Auge, grinste wissend und klopfte Walsh kameradschaftlich auf die Schulter.

Sie zwängten sich alle in die Kutsche, während Walsh nach oben zu Bollesdun auf den Fahrerbock kletterte. Als die Kutsche anruckte und sich in Bewegung setzte, drückte Clarissa Janet und Manda in der Mitte auf den Fußboden, damit sie die lederbezogene Sitzbank hochklappen konnte. Sie zog einen langen Umhang heraus. Sie hatte nur einen zusätzlichen dabei, da sie davon ausgegangen waren, daß sie nur Warren und Verna retten würden. Weil Verna einen eigenen Umhang hatte, gab Clarissa Manda den überzähligen Umhang und holte für Janet und Amelia Decken heraus. Die drei Frauen waren überglücklich, endlich ihre Blöße bedecken zu können.

Clarissa saß am Ende der Sitzbank und hielt das seltsame schwarze Buch umklammert, dessentwegen Nathan sie hergeschickt hatte. Amelia saß am anderen Ende, und Manda in der Mitte schmiegte sich trostsuchend an Clarissa.

Manda weinte sich unablässig an ihrer Schulter aus und bedankte sich überschwenglich. Clarissa legte einen Arm um sie und erklärte ihr, sie habe ihrer Dankbarkeit jetzt genug Ausdruck verliehen. Trotzdem war es ein schönes Gefühl, zu sehen, wie die ach so schöne Manda Perlin zur Abwechslung einmal zu Clarissa aufsah, statt auf sie herabzublicken. Und das alles wegen Nathan. Er hatte ihr Leben völlig verändert – und alles andere auch.

Dreimal mußten sie haltmachen, während Soldaten die Kutsche durchsuchten. Einmal zwangen die Soldaten sie, auszusteigen und sich zu ihrem Vergnügen in einer Reihe aufzustellen. Decken und Umhänge mußten in der Kutsche bleiben, während Janet, Amelia und Manda gezwungen wurden, zur Begutachtung hinauszuklettern.

Walsh erklärte in äußerst derben Worten, was er mit den Sklavinnen zu tun gedachte – daß er sie für den Generalbevollmächtigten Seiner Exzellenz befördere, der sich mit ihnen zu vergnügen beabsichtige. Die Soldaten gaben sich mit Walshs Erklärung zufrieden und ließen sie passieren.

Am Hafen bogen sie nach Norden ab und fuhren die Küstenstraße hinauf. Clarissa seufzte erleichtert, als die letzten Lagerfeuer und Zelte hinter ihnen in der Ferne verschwanden. Erst als sie die Kuppe eines Hügels erreichten, fast eine Stunde, nachdem sie auf den letzten Soldaten gestoßen waren, erhellte der Blitz den Himmel hinter ihnen.

Clarissa vernahm einen Jubelschrei vom Fahrerbock. Walsh, sich mit einer Hand an einem Geländer festhaltend, beugte sich herunter und schob sich ein Stück zum Fenster herein.

»Gute Arbeit, Clarissa! Ihr habt es geschafft!«

Sie strahlte. Er schwang sich wieder nach oben und brüllte zusammen mit Bollesdun seinen Jubel in die Nachtluft. Just in diesem Augenblick erreichte sie das dumpfe Donnergrollen und ließ Manda vor Schreck hochfahren.

Verna, die gegenüber in der Mitte saß, erzeugte eine Flamme in ihrer offenen Hand und beugte sich zu Clarissa vor. »Arbeit? Was habt Ihr denn getan?«

Clarissa tätschelte das tintenschwarze Buch auf ihrem Schoß. »Nathan bat mich, dieses Buch zu holen. Alle zurückbleibenden sollten vernichtet werden. Er meinte, sie seien durchweg gefährlich, seitdem Ihr, aber vor allem Warren, Jagang die Bedeutung der Prophezeiungen in ihnen verraten habt. Nathan wollte verhindern, daß der Traumwandler das Wissen für sich nutzen kann.«

»Verstehe«, sagte Verna. »Dann war es wohl ein Glück für uns, daß wir uns bereit erklärt haben … Lord Rahl den Treueschwur zu leisten und Euch zu begleiten.«

Clarissa nickte. »Nathan meinte, ich sollte Euch die Chance bieten, in jedem Fall aber sollte ich das Medaillon öffnen und es dort verstecken. Die Tatsache, daß Jagang sowohl Warren als auch die Prophezeiungen in seiner Gewalt hatte, hätte alles ruinieren können, falls Ihr Jagang etwas Wichtiges enthüllt.«

Verna blies resigniert die Wangen auf. Sie und Warren sahen sich an.

»Ich kann kaum glauben, daß ich nach all der Zeit den Propheten endlich kennenlernen soll«, meinte Warren. »Es ist noch nicht lange her, da hatte ich die Hoffnung bereits aufgegeben, und jetzt…«

Verna schnalzte spöttisch. »Vom Regen in die Traufe. Ich kann nicht glauben, daß ich diesem verrückten alten Kerl die Treue geschworen habe.«

Clarissa beugte sich vor. »Nathan ist wundervoll. Er ist nicht alt.«

Verna lachte schallend. »Ihr habt ja keine Ahnung, Kind.«

»Und verrückt ist er ebenfalls nicht. Nathan ist der gütigste, wunderbarste, großzügigste Mann, der mir je begegnet ist.«

Verna blickte hinunter auf Clarissas Busen, dann wieder hoch in ihre Augen. Sie hatte diesen Blick im Gesicht, an den Clarissa sich inzwischen gewöhnt hatte.

»Ja, mein Kind, so wird es sein.«

»Ihr hättet keinem besseren Mann Treue und Ergebenheit schwören können«, setzte Clarissa hinzu. »Nathan ist nicht nur rücksichtsvoll und freundlich, er ist auch ein mächtiger Zauberer. Ich habe mit eigenen Augen mit angeschaut, wie er einen anderen Zauberer in ein Häuflein Asche verwandelt hat.«

Verna runzelte die Stirn. »Einen anderen Zauberer?«

Clarissa nickte. »Er hieß Vincent. Vincent, ein weiterer Zauberer und zwei Schwestern, Jodelle und Willamina, statteten Nathan einen Besuch ab. Sie haben versucht, ihn zu verletzen. Daraufhin hat Nathan Vincent in ein Häuflein Asche verwandelt.«

Verna zog erstaunt die Braue hoch.

»Anschließend«, fuhr Clarissa fort, »waren sie alle sehr höflich zu Nathan, und Jagang erklärte sich einverstanden, das Buch« – dabei tippte sie auf den Band in ihrem Schoß – »Nathan zu überlassen. Jagang meinte, Nathan könne entweder das Buch oder Schwester Amelia bekommen. Und jetzt hat er beides. Nathan hat große Pläne. Eines Tages wird er die Welt beherrschen.«

Verna und Warren wechselten einen vielsagenden Blick. Clarissa sah Amelia an.

»Was ist das für ein Buch, Amelia?«

»Ich habe es aus dem Tempel der Winde gestohlen«, erklärte Amelia mit heiserer, belegter Stimme. »Daher bin ich die einzige, die es benutzen kann. Ich habe die Pest ausgelöst. Tausende haben wegen meiner Untat bereits den Tod gefunden. Auf diese Weise hat Jagang Richard vernichtet.

Dem Schöpfer sei Dank, daß wir Nathan haben, der uns über die Bande beschützt.«

»Gütiger Schöpfer«, meinte Verna leise, »auf was haben wir uns bloß mit unserem Eid auf einen Kerl wie Nathan eingelassen?«

63

Richard erhob sich vom Stuhl des Zauberers, als er die Seele bemerkte, die auf ihn zuschwebte. Er konnte keine bestimmte Seele herbeirufen, und nicht immer kannte er die, die ihn aufsuchten, bei dieser jedoch war es der Fall. Mit dieser verband ihn eine tiefe, persönliche Beziehung.