»Soll das heißen, du weißt jetzt nicht mehr, wie es geht? Soll das etwa heißen, daß die Pest erneut ausbrechen wird?«
Er hob eine Hand, um sie zu beruhigen. »Nein, die Pest nicht. Doch als Preis für meine Rückkehr in diese Welt durfte ich das Wissen der Winde nicht behalten. Ich mußte so zurückkehren, wie ich vorher war.«
»Aber … heißt das, daß du einfach wieder sterblich bist wie vorher auch?«
»Nein. Der Preis war wesentlich höher. Sie haben verlangt, wenn ich zurückkehren wollte, müßte ich die Magie des entwendeten Buches in mich aufnehmen, um sie von der übrigen Welt des Lebendigen fernzuhalten.«
»Was?« hauchte Kahlan mit aufgerissenen Augen. »Willst du etwa sagen –?«
»Ich habe die Pest.«
Sie faßte ihn mit einer Hand an der Schulter und legte ihm die andere auf die Stirn. Er glühte vor Fieber.
»Warum hast du mir das nicht früher gesagt, Richard?«
Er lächelte trotz seiner Schmerzen. »Vergebung war alles, was ich brauchte, alles, was ich wollte, aber ich mußte wissen, ob sie aufrichtig war und nicht bloß aus Mitleid gewährt wurde.«
»Du darfst nicht sterben, Richard. Nicht jetzt. Gütige Seelen, du darfst nicht sterben!«
»Die Guten Seelen haben nichts damit zu tun. Darken Rahl war es, der Drefan für dich ausgesucht hast, als Preis für den Pfad in die Winde, und er war es auch, der dies als Preis für meine Rückkehr verlangt hat.«
»Deine Rückkehr! Du willst mir doch nicht erzählen, daß du nur zum Sterben zurückgekehrt bist? Oh, Richard, wie konntest du nur so etwas Törichtes tun?«
»Wäre ich im Tempel der Winde geblieben, wäre ich allmählich auch gestorben, allerdings ohne daß du mir verziehen hättest. Statt dessen beschloß ich, dich aufzusuchen, in der Hoffnung, daß ein Teil von dir mich noch genügend liebt, um mir zu verzeihen, und daß ich wenigstens in der Gewißheit sterben könnte, deine Liebe zurückgewonnen zu haben. Als mir klar wurde, was ich dir angetan und welches Leid ich deinem Herzen zugefügt hatte, konnte ich nicht einfach weitermachen.«
»Glaubst du vielleicht, das zerreißt mir nicht das Herz? Irgend etwas müssen wir doch tun können, Richard? Aber was nur? Das mußt du doch gewußt haben – bitte!«
Richard kippte, sich den Bauch haltend, zur Seite um. »Tut mir leid, Kahlan. Es gibt keine Möglichkeit. Ich nehme die Magie des entwendeten Buches in mich auf. Wenn ich sterbe, stirbt diese Magie mit mir.«
Kahlan klammerte sich an ihn, als die Tränen sie überwältigten. »Bitte, Richard, tu das nicht! Bitte stirb nicht.«
»Tut mir leid, Kahlan, dagegen gibt es keine Hilfe. Ich war bereit, den Preis zu zahlen. Jetzt hat mein Herz seinen Frieden gefunden.« Er hob die Hand und berührte den Strafer an der Kette um ihren Hals. »Ich habe keinen Augenblick gezögert, nachdem ich begriffen hatte. Denna hat mir geholfen zu verstehen.«
Kahlan umarmte ihn, während er sich auf den Rücken wälzte. »Es muß einen Weg geben, Richard. Bevor sie dir das Wissen wieder genommen haben, hättest du bestimmt eine Lösung gewußt. Versuche dich zu erinnern. Bitte, Richard, versuch dich zu erinnern.«
Seine Lider senkten sich matt herab. »Ich brauche dringend … Ruhe. Tut mir leid. Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Ich muß mich ein wenig ausruhen.«
Weinend ergriff Kahlan mit beiden Händen seine Hand. Das alles war zu niederschmetternd, um es zu ertragen – ihn wiederzuhaben, nur um ihn daraufhin abermals zu verlieren.
Sie öffnete seine schlaffe Hand, drückte sie an ihre Wange. Dabei fiel ihr etwas in seiner Handfläche auf. Sie bog seine Finger zurück und sah durch ihre Tränen hindurch die Schrift auf seiner Handfläche.
Dort stand: Finde das Buch, und zerstöre es für das Leben.
Kahlan beugte sich weit über seinen bewußtlosen Körper und griff nach seiner anderen Hand. Eine Prise weißen Zauberersand auf die dritte Seite. Dazu ein Korn schwarzen Zauberersand.
Dort standen noch drei weitere Worte, doch in ihrem Zustand völliger gedanklicher Verwirrung kam sie nicht darauf, wie sie ausgesprochen wurden.
Er hatte gewußt, daß er vergessen würde, und hatte, bevor es soweit war, sich selbst eine Nachricht hinterlassen. Er hatte sogar vergessen, daß er sie aufgeschrieben hatte.
Das Buch. Sie mußte das Buch finden.
Und dann rannte sie los und schrie aus Leibeskräften:
»Cara! Berdine! Helft mir! Cara! Berdine!«
Als sie Kahlan auf ihrem Weg ins Turmzimmer ihre Namen rufen hörten, kamen die beiden Frauen aus dem Raum der Sliph hervorgeschossen und traten hinaus auf den Rundgang neben dem tiefschwarzen Becken.
Kahlan packte sie an ihren roten Lederanzügen und versuchte, es ihnen zu erklären. Die beiden packten Kahlan rechts und links bei den Armen und drückten sie an die Wand.
»So beruhigt Euch doch«, sagte Berdine.
»Wir verstehen Euch nicht«, meinte Cara. »Tief durchatmen. Heult nicht herum, sondern atmet tief durch.«
»Richard –« Sie versuchte, irgendwohin zu zeigen, doch die beiden hielten ihre Arme fest. »Richard hat die Pest …. Ich brauche das Buch.«
Berdine beugte sich näher zu ihr vor. »Lord Rahl … hat die Pest?«
Kahlan nickte heftig. »Ich muß das Buch beschaffen. Das Buch, das aus dem Tempel der Winde entwendet wurde. Ich muß es beschaffen, sonst stirbt er.« Kahlan riß ihre Arme los. »Bitte, so helft mir doch. Richard hat die Pest.«
»Was müssen wir tun?« fragte Cara.
»Ich gehe in die Alte Welt. Beschützt ihn.«
»In die Alte Welt!« entfuhr es Berdine. »Wißt Ihr überhaupt, wo sich das Buch befindet? Hat er Euch gesagt, wo Ihr danach suchen müßt? Hat er Euch irgendeinen Hinweis gegeben?«
»Ich habe keine Ahnung, wo es sich befindet! Aber es ist seine einzige Chance! Er hat die Magie der Pest auf sich genommen, um in diese Welt zurückkehren zu können. Um mich um Vergebung zu bitten. Er wollte mir sagen, es tue ihm leid, daß er mich so verletzt hat. Wenn wir das Buch nicht vernichten, stirbt er – und das nur, weil er sich entschuldigen wollte. Er stirbt! Ich muß sofort los!«
»Aber Mutter Konfessor«, meinte Berdine, »die Alte Welt ist groß. Wenn Richard tatsächlich die Pest hat … wie könnt Ihr dann hoffen, das Buch zu finden?«
Rechtzeitig. Das war es, was sie meinte. Wie konnte sie hoffen, das Buch rechtzeitig zu finden? Bevor Richard starb.
Kahlan krallte ihre Hand in rotes Leder. »Ich muß es versuchen! Beschützt Richard. Drefan darf nicht erfahren, daß Richard wieder da ist. Ich weiß nicht, was er dann unternehmen würde. Verratet es ihm nicht!«
Cara schüttelte den Kopf. »Macht Euch deswegen keine Sorgen. Wir werden Drefan nichts verraten. Wir werden uns um Richard kümmern, solange Ihr fort seid. Wir werden ihn hier in der Burg der Zauberer verstecken. Aber beeilt Euch. Solltet Ihr es nicht finden, kommt bitte zurück, bevor –«
Kahlan stürzte in den Raum der Sliph und rannte zum Brunnen. Die Sliph lächelte, als sie die Mutter Konfessor erblickte.
»Möchtest du –«
»Reisen! Ich muß reisen! Sofort!«
»Wohin möchtest du reisen?«
»In die Alte Welt!«
»Wohin in der Alten Welt? Ich kenne dort eine Reihe von Orten. Wir können reisen, wohin du willst. Ich bringe dich hin. Du wirst zufrieden sein.«
Kahlan preßte sich die Hand auf den Kopf und stöhnte verzweifelt, als die Sliph sich anschickte, Orte aufzuzählen, von denen Kahlan noch nie gehört hatte.
»Ich will dorthin, wo du mit Richard warst, mit deinem Herrn und Meister, als er mich holen wollte! Als ich das erste Mal mit dir gereist bin!«
»Ich weiß, welchen Ort du meinst.«
Kahlan raffte ihr weißes Kleid und kletterte umständlich auf die Ummauerung des Brunnens. »Dahin will ich! Bring mich dahin! Beeil dich! Das Leben deines Herrn und Meisters steht auf dem Spiel!«
»Beschützt Richard!« rief sie Cara und Berdine zu.
»Was sollen wir Drefan sagen, wenn er fragt, wo Ihr seid?« rief Berdine ihr hinterher.