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Clarissa schlang Nathan die Arme um den Leib. Er ächzte, als sie ihn mit all ihrer Kraft und Leidenschaft drückte. Sie reichte ihm das Buch. Er bedachte sie mit einem vielsagenden Lächeln, das nur ihr alleine galt. Clarissas Augen strahlten. Verna verdrehte ungeduldig die Augen.

»Verna!« rief Nathan, als er sie erblickte. »Freut mich, daß Ihr es einrichten konntet.«

»Wie schön, Euch zu sehen, Lord Rahl

»Ihr solltet Eure Stirn nicht so runzeln, Verna. Davon bekommt man Falten.« Sein Blick wanderte über die anderen hinweg. »Janet, wie ich sehe, habt Ihr Euch uns ebenfalls angeschlossen.« Er kniff die Augen leicht zusammen. »Und Amelia auch.« Damit sah er zu den anderen beiden hinüber, die etwas abseits standen. »Und wen haben wir hier?«

Clarissa winkte Manda herbei. Die Frau hielt ihr Gewand unterm Hals von innen fest zusammengerafft. Schüchtern trat sie vor.

»Nathan, das ist Manda, eine Freundin von mir. Aus Renwold.«

Manda setzte ein Knie auf den Boden und verbeugte sich tief. »Lord Rahl. Mein Leben gehört Euch.«

»Renwold.« Nathan runzelte ein weiteres Mal kurz die Stirn, als er kurz zu Clarissa hinüberschaute. »Ja, schön. Freut mich, daß Ihr Jagang entkommen konntet, Manda.«

»Das habe ich alles Clarissa zu verdanken«, erklärte Manda, während sie wieder aufstand. »Sie ist die tapferste Frau, die mir je begegnet ist.«

Clarissa schmiegte sich kichernd an Nathan. »Unsinn. Ich bin froh, daß die Guten Seelen Euch diesen Weg entlang geführt haben, sonst hätte ich nie erfahren, daß Ihr dort wart.«

Nathan richtete seine Aufmerksamkeit wieder in Vernas Richtung. »Wen haben wir denn hier? Den jungen Warren, nehme ich an?«

Verna gab sich alle Mühe, die Fassung zu wahren. »Nathan –«

»Lord Rahl.« Unter seiner finsteren Miene blitzte kurz ein Schmunzeln auf. »Aber wir sind schließlich alte Freunde, Verna. Für Euch und alle meine alten Freunde bin ich nach wie vor Nathan.«

Verna biß sich in die Wange und neigte kurz den Kopf.

»Nathan«, setzte sie erneut an, »Ihr habt ganz recht, das hier ist Warren. Könnt Ihr ihm helfen? Er empfängt soeben seine ersten Prophezeiungen, er steht gerade erst am Anfang. Vor einer Weile habe ich ihm den Halsring abgenommen, und es gibt keine Möglichkeit mehr, ihn vor der Gabe zu schützen. Die Kopfschmerzen haben bei ihm eingesetzt. Es geht ihm sehr schlecht, Nathan. Ich begleite Euch, wohin Ihr wollt, wenn Ihr ihm helft.«

»Ihm helfen?«

»Bitte, Nathan. Ich flehe euch an.«

»Da ist doch nichts dabei, Verna. Ich wäre entzückt, dem Jungen helfen zu können.« Nathan machte eine Handbewegung. »Bringt ihn hierher, ans Feuer.«

Warren murmelte etwas und versuchte sich vorzustellen, er war jedoch fast bewußtlos. Verna und Janet halfen ihm, sich auf die Stelle zu setzen, auf die Nathan gedeutet hatte, und brachten ihn in eine aufrechte Stellung.

Nathan schob seine Hosenbeine bis zu den Knien hoch und ließ sich im Schneidersitz auf dem Steinfußboden des nicht mehr vorhandenen Gebäudes nieder. Das Buch legte er neben sich. Er runzelte die Stirn mit den für einen Rahl typischen Falten und musterte Warrens Gesicht. Verna und Janet scheuchte er mit einer Handbewegung fort. Mit einem Netz hielt er Warren aufrecht. Zoll für Zoll rückte er weiter vor, bis ihre Knie sich berührten.

»Warren«, rief Nathan ihn mit der ihm eigenen tiefen, befehlsgewohnten Stimme. Warren schlug die Augen auf. »Nimm deine Hände hoch.«

Die Finger ausgestreckt, reckten Warren und Nathan ihre Hände in die Höhe. Dann preßten sie die Fingerspitzen aneinander. Sie fixierten sich mit den Augen.

»Laß dein Han zu mir herüberfließen«, drängte Nathan ihn sanft. »Offne das siebente Tor. Schließe die anderen. Weißt du, wovon ich spreche?«

»Ja.«

»Guter Junge. Dann also los. Es wird einfacher sein, wenn du mich dabei unterstützt.«

Ein warmes, gelbliches Leuchten hüllte die beiden ein. Die Nachtluft summte von der Kraft dieses Lichts. Es war weder Flamme noch Wärme. Verna hatte keine Ahnung, was Nathan da tat. Sie war bloß ein wenig überrascht, daß er es überhaupt machte.

Im Palast der Propheten hatte Nathan stets so etwas wie ein Rätsel dargestellt. Schon als junges Mädchen war er ihr immer wie ein alter Mann vorgekommen. Alle, selbst die wohlwollendsten Schwestern, hatten ihn stets zumindest für ein bißchen gestört gehalten.

Da gab es zum einen jene im Palast, die nicht daran glaubten, daß Nathan, von seiner Begabung für die Prophezeiungen abgesehen, auch nur die geringste Spur der Gabe besaß. Andere mutmaßten, waren sich aber nie ganz sicher, er sei zu wesentlich mehr fähig, als er zu erkennen gab. Wieder andere fürchteten sich vor ihm und hatten Angst, die Räumlichkeiten zu betreten, auf die seine Bewegungsfreiheit beschränkt war, und das, obwohl er einen Halsring trug. Verna hatte Nathan stets für ein wandelndes Problem gehalten.

Jetzt sah sie dabei zu, wie dieser unangenehme alte Lüstling von einem Zauberer sich alle Mühe gab, das Leben jenes Mannes zu retten, den Verna liebte. Manchmal erstrahlte das Leuchten im einen Mann stärker als im anderen, bevor es wieder erlosch, um kurz darauf abermals aufzuglühen, als hätte es etwas vergessen und wollte dies nun holen.

Walsh und Bollesdun lungerten in der Nähe der Mauer hinter Nathan herum, der Rest der Gruppe jedoch verfolgte wie gebannt das Geschehen. Verna wußte ebensowenig wie Manda, was Nathan in Wirklichkeit dort tat.

Was ihr am meisten zusetzte, war der Umstand, daß die beiden Männer, deren Knie sich berührten und die ihre Finger aneinander preßten, ein paar Zoll über dem Erdboden schwebten. Sie war froh, als sie endlich wieder landeten.

Nathan klatschte einmal in die Hände. »Na bitte!« verkündete er. »Das sollte genügen.«

Für Verna war nicht ersichtlich, wieso das genügt haben sollte, um die Gabe bei Warren zurechtzurücken.

Warren allerdings strahlte über das ganze Gesicht. »Nathan, das war – wundervoll. Die Kopfschmerzen sind vollständig verschwunden. Ich fühle mich so klar im Kopf – so lebendig.«

Nathan nahm das tiefschwarze Buch vom Boden und stand auf. »Ich hatte auch meinen Spaß dabei, mein Junge. Fast dreihundert Jahre hat diese Gänseschar von Schwestern gebraucht, um mich so weit zu bringen wie ich dich gerade. Sie waren allerdings alle auch ein wenig auf der falschen Fährte.« Er sah kurz zu Verna. »Verzeiht, Prälatin. Das sollte keine Kränkung sein.«

»Das habe ich auch nicht so aufgefaßt.« Verna eilte an Warrens Seite. »Danke, Nathan. Ich habe mir solche Sorgen um ihn gemacht. Ihr habt ja keine Ahnung, welch ein Stein mir vom Herzen fällt.«

Der freudige Ausdruck auf Warrens Gesicht löste sich auf. »Jetzt, nachdem Ihr das für mich getan habt, Nathan, erkenne ich immer deutlicher, daß … wir Jagang Einblick in eine Prophezeiung gewährt haben, die –«

Nathan stieß einen Schrei aus. Clarissa stieß einen Schrei aus. Verna erstarrte. Sie spürte, wie ihr ein scharfer Gegenstand in den Rücken gebohrt wurde.

Amelia hatte Nathan einen Dacra in den Oberschenkel gestochen. Warren erstarrte, als Janet erst ihm, dann den beiden Soldaten mit erhobenem Finger drohte.

»Keinen Mucks, Nathan«, sagte Amelia, »oder ich lasse mein Han fließen, und Ihr seid auf der Stelle tot.«

»Warren hat recht«, meinte Janet. »Er hat Seiner Exzellenz in der Tat sehr nützliches Wissen geliefert.«

»Amelia! Janet!« schrie Verna. »Was tut ihr da?«

Amelia lächelte Verna boshaft an. »Was immer Seine Exzellenz befiehlt, natürlich.«

»Aber ihr habt den Eid geschworen.«

»Nur dem Wortlaut nach, nicht in unserem Herzen.«

»Ihr könnt Euch doch von ihm befreien! Ihr seid nicht gezwungen, Jagang zu dienen!«