Unter dem Rand des Eisentopfes lief Blut hervor. Cara bebte und schlug um sich. Sie spannte ihren Körper und schrie abermals.
Drefan riß Kahlan an den Haaren hoch. »Wo steckt Richard?«
»Richard? Richard ist tot.«
Kahlan ächzte, als er sie in die Nieren schlug. Sie bekam keine Luft. Drefan richtete seine Aufmerksamkeit auf Cara.
»Seid Ihr endlich bereit zu sprechen? Wo habt Ihr Richard versteckt?«
Caras Antwort bestand aus einem einzigen, markerschütternden Schrei. Als er endete, japste sie vor Schmerzen.
»Warum habt Ihr ihm davon erzählt?« winselte Cara. »Warum habt Ihr ihm von den … Ratten erzählt? Gütige Seelen, warum habt Ihr ihm von den Ratten erzählt?«
Der Schreck ließ ihr den Atem stocken.
Blut, lebhaft leuchtend auf der weißen Haut, rann in kleinen Rinnsalen unter dem Topfrand hervor an Caras Seite herab. Rauch stieg kräuselnd von den heißen Kohlen darüber auf. Und dann sah Kahlan die blutverschmierte Kralle, die sich zuckend unter dem Rand des Topfes auf Caras Bauch hervorarbeitete. Plötzlich begriff Kahlan und mußte ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um sich nicht zu übergeben.
Cara kreischte hysterisch, zerrte an den blutigen Stricken, die sie hielten.
Völlig außer sich robbte Kahlan zur Kette vor und wollte versuchen, sie mit den Zähnen zu lösen und den Topf von Cara herunterzuzerren. Drefan riß sie an den Haaren hoch.
»Deine Zeit kommt noch, Weib.«
Er stieß sie zurück. Kahlan schlug an die Mauer, glitt herunter und fiel auf einen harten, spitzen Gegenstand. Der Schmerz trieb ihr brennende Tränen in die Augen. Es war Nadines Beutel mit den Horngefäßen. Sie ruckte und drehte sich, bis es ihr gelang, seitlich vom Beutel herunterzurutschen und wieder zu Atem zu kommen.
Drefan bedachte sie mit seinem Darken-Rahl-Blick. »Wenn du mir verrätst, wo Richard steckt, lasse ich Cara laufen.«
»Sagt es ihm nicht!« kreischte die Mord-Sith. »Verratet es ihm nicht!«
»Das könnte ich gar nicht, selbst wenn ich wollte«, rief Kahlan zu Cara hinüber. »Ich habe keine Ahnung, wo Ihr ihn versteckt haltet.«
Drefan hob das Buch auf, das Kahlan mitgebracht hatte. »Was ist das?«
Kahlans Blick heftete sich auf das finstere schwarze Buch. Sie brauchte es unbedingt, sonst würde Richard sterben.
»Nun, ganz egal, Ihr werdet es nicht mehr brauchen.«
»Nein!« schrie Kahlan, als sie sah, was Drefan mit dem Buch vorhatte. »Bitte!«
Er drehte sich zu ihr herum und hielt das Buch über den Rand des Brunnens der Sliph. »Sag mir, wo Richard ist.« Lächelnd zog er eine Braue hoch. »Nein?«
Er ließ das Buch in den Brunnen fallen. Kahlans Hoffnung versank zusammen mit dem Buch. Die Sliph, die sonst so gerne zusah, was die Menschen in ihrem Raum trieben, war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich hatten die Schreie sie vertrieben.
»Drefan, laß Cara gehen, bitte. Du hast mich. Mach mit mir, was du willst, aber bitte laß sie gehen.«
Drefan lächelte das boshafteste Lächeln, das Kahlan je gesehen hatte. Es war dasselbe wie bei Darken Rahl. »Oh, sei ganz unbesorgt, ich habe durchaus die Absicht, mit dir zu machen, was immer mir beliebt. Wenn es soweit ist.«
Er wandte sich wieder Cara zu. »Was machen die Ratten, Cara? Seid Ihr schon bereit zu reden?«
Die Angesprochene verfluchte ihn zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
Drefan griff in einen Sack und zog, sie an den Hautfalten ihres Genicks haltend, eine Ratte hervor. Er fuchtelte ihr damit vor dem Gesicht herum, während sie versuchte, den Kopf fortzudrehen. Er hielt sie ihr ganz nah vors Gesicht. Quiekend und zappelnd kratzte und scharrte sie mit ihren Krallen und wollte sich aus Drefans Griff befreien. Auf Caras Wange, Kinn und Lippen blieben rote Striemen zurück.
»Bitte«, jammerte Cara. »Bitte, nehmt sie fort!«
»Wo steckt Richard?«
Caras Körper wand sich in heftigen Zuckungen. »Mama!« kreischte sie. »Hilf mir! Mama! Nimm sie runter! Mamaaaa!«
Cara hockte alleine in einem Käfig voller Ratten, in den Klauen des Entsetzens und der Schmerzen. Sie war wieder das hilflose Kind, das um den Trost und den Schutz ihrer Mutter bettelte, das weinend nach ihrer Mama schrie.
Kahlan schluchzte unter Tränen. Das war ihre Schuld. Sie hatte Drefan erzählt, daß Cara sich vor Ratten fürchtete.
»Verzeiht mir! Das konnte ich doch nicht ahnen!«
Cara riß an ihren Stricken: ein kleines Mädchen, das ihre Mutter verzweifelt anfleht, die Ratten zu entfernen.
Kahlan mühte sich ab, eine Hand freizubekommen. Wenn es ihr doch nur gelänge, eine Hand aus den Fesseln zu befreien. Aber sie saßen so fest. Sie riß und zerrte. Ihre Finger kribbelten. Der derbe Strick schnitt in ihre Handgelenke.
Kahlan drückte die Handgelenke gegen Nadines Beutel und versuchte, irgendeinen scharfen Gegenstand zu erfühlen, um die Stricke durchzuschneiden. Der Beutel war aus Tuch, der Griff aus glattem Holz.
Der Beutel. Kahlan beugte sich zur Seite und tastete nach dem Knopf, mit dem der Beutel verschlossen wurde. Sie fand ihn. Sie mühte sich ab, den Knopf mit dem Daumennagel zu lösen, aber ihre Finger waren gefühllos, und so wie ihre Arme verdreht waren, fand sie mit den Fingern keinen rechten Ansatzpunkt. Also versuchte sie, den Daumennagel unter den Knopf zu bohren, ihn seitlich wegzukippen und abzureißen. Er war jedoch mit einem groben Faden angenäht. Endlich glitt der Knopf durchs Loch.
Kahlan durchwühlte die Gegenstände im Beutel und versuchte, sie so zu halten, daß sie sie sehen konnte. Bei jedem schrillen Schrei von Cara zuckte sie zusammen. Jedesmal, wenn Cara ihre Mutter schreiend anflehte, sie vor den Ratten zu retten, mußte Kahlan sich zusammenreißen, um nicht selbst loszuheulen.
Cara war ihre Schwester des Strafers. Kahlan mußte irgend etwas unternehmen. Sie war ihre einzige Hoffnung. Sie verrenkte sich den Hals, um die Markierungen auf den Hornbehältern zu erkennen. Den Gesuchten konnte sie einfach nicht ausfindig machen.
Sie befingerte die in das Horn geritzten Symbole. Sie ertastete einen Behälter, den sie für den richtigen hielt, und ihre Hoffnung bekam wieder Aufwind, nur um gleich darauf wieder enttäuscht zu werden, als sie fühlte, daß es sich um drei Kreise handelte. Sobald sie entschieden hatte, ein Horn sei nicht das gesuchte, schleuderte sie es zur Seite.
Sie wühlte im Beutel und entdeckte ein anderes. Blind ertastete sie die Kratzer mit den Fingern. Sie verliefen im Kreis. Sie ließ die Finger am Horn entlang gleiten und entdeckte einen zweiten Kreis. Zwischen beiden ertastete sie eine dicke, gerade Linie.
Kahlan hielt das Horn zwischen den Fingerspitzen und verbog den Kopf, um sich zu vergewissern, ob sie das richtige erwischt hatte. Cara schrie, und Kahlan ließ das Horn fallen. Sie rutschte ein Stück zur Seite, damit sie es auf dem Boden liegen sehen konnte.
In die Patina des Horns waren zwei Kreise geritzt. Durch beide Kreise hindurch lief eine waagerechte Linie. Es war das richtige: Hundspfeffer.
Nadine hatte sie gewarnt, den hölzernen Stöpsel herauszuziehen, hatte sie davor gewarnt, das Pulver ins Gesicht oder in die Augen zu bekommen. Es werde einen Menschen für eine Weile handlungsunfähig machen, hatte sie ihr erklärt. Hilflos.
Kahlan bekam das Horn wieder mit den Fingern zu fassen. Sie ruckelte an dem hölzernen Stöpsel, um ihn zu lockern. Er saß sehr fest, damit die gefährliche Substanz nicht verlorenging. Sie wollte ihn nicht ganz herausziehen, mußte aber sicher sein, ihn jederzeit öffnen zu können.
Solange ihr die Hände auf den Rücken gebunden waren, konnte sie mit ihnen nicht werfen. Verzweifelt überlegte sie, was sie tun sollte. Irgend etwas mußte sie tun. Unternahm sie nichts, wäre Cara in Kürze tot. Und dann würde Drefan über seine geliebte Gattin herfallen.
Cara winselte vor Schmerzen.
»Bitte, Mama, nimm doch die Ratten von Cara runter. Bitte, Mama, bitte. Hilf mir, so hilf mir doch bitte.«
Die flehenden, entsetzten Schreie zerrissen Kahlan das Herz. Sie durfte nicht länger warten. Sie mußte sich eben überlegen, was sie tun sollte. Sie mußte handeln.