Kahlan schaute aus dem Fenster und berührte sachte Caras Arm. »Geht und holt Richard. Sagt ihm, er möge mich im Ratssaal treffen.«
Cara war schon an der Tür, bevor Kahlan sich auf den Weg machen konnte.
Unter den Bildern von Magda Searus, der ersten Mutter Konfessor, und ihrem Zauberer Merritt, die man unter die weite Kuppel des Ratssaals gemalt hatte, thronte Kahlan Amnell, Mutter Konfessor, auf dem Obersten Sitz und erwartete ihren Zauberer.
Ihr ging das Herz auf, als sie ihn schwungvoll den Saal betreten sah, mit seinem wehenden goldenen Umhang, im goldbesetzten Anzug eines Kriegszauberers, mit dem rubinroten Amulett auf seiner Brust, das im Sonnenlicht, durch das er schritt, aufblinkte, und seinen polierten und glänzenden Armbändern aus Silber. Das Licht fing sich im Schwert der Wahrheit an seiner Hüfte und erstrahlte wie ein Sonnenaufgang, dessen Lichtstrahlen gleißend über den polierten Marmorboden fielen.
»Guten Morgen, meine Königin«, rief er munter. Seine Stimme hallte durch den riesigen Saal. »Wie geht es Euch an Eurem letzten Tag in Freiheit?«
Im Ratssaal lachte Kahlan nur selten. Es war ihr immer ungehörig erschienen. Jetzt lachte sie, und das fröhliche Geräusch hallte durch den höhlenähnlichen Saal und entlockte den Wachen ein Lächeln.
»Es geht mir gut, Lord Rahl«, antwortete sie, während er das Podium erklomm.
In seinem Schatten folgten Cara und Berdine, zusammen mit Ulic und Egan, die die Positionen jeweils an ihrer Seite einnahmen.
»Was ist denn los?« fragte er, jetzt ernster geworden. »Ich hörte, soeben sei ein König mit einhundert Schädeln auf Lanzen eingeritten?«
»Der König von Jara. Erinnerst du dich noch? Du hast ihm Tristans Kopf geschickt und seine Kapitulation verlangt.«
»Ach, dieser König.« Richard ließ sich in den Sessel neben ihr gleiten. »Um wessen Köpfe handelt es sich?«
»Ich denke, das werden wir in Kürze erfahren.«
Die Wachen zogen die Doppeltür auf. Ein Lichtstrahl fiel durch die Türöffnung und rahmte, einem Schattenriß gleich, die beiden näher kommenden Gestalten ein.
Vor dem Podium schlug der König sein violettes, mit weißem Fuchspelz abgesetztes Gewand auf und ließ sich zu einer tiefen Verbeugung auf ein Knie fallen. Der Sternendeuter hinter ihm ließ sich bei seiner Verbeugung auf beide Knie fallen.
»Erhebt Euch, meine Kinder«, erwiderte Kahlan die Verbeugung in aller Form.
»Mutter Konfessor«, sagte König Jorin, »es tut gut, Euch wiederzusehen.«
Kahlan war immer schon der Ansicht gewesen, daß ihm seine schlanke Erscheinung, sein ergrauendes, sauber gestutztes Haar, das so geschnitten war, daß es nach hinten zu wehen schien, als stünde er im Wind, seine elegante Scheide mitsamt Schwert, seine Ordensbänder, seine Schärpe, sein blauer, goldbestickter Mantel und seine juwelenbesetzten Anstecknadeln das Aussehen eines äußerst prächtigen Königs verliehen.
»Euch auch, König Jorin.« Kahlan hob eine Hand und stellte vor: »Dies ist Lord Rahl, Herrscher des d'Haranischen Reiches und mein zukünftiger Gatte.«
Der König zog eine Braue hoch. »Wie ich bereits erzählen hörte. Meinen Glückwunsch.«
Richard beugte sich vor. »Ich habe Euch eine Nachricht zukommen lassen. Wie lautet Eure Antwort?«
Kahlan fand, daß ihr noch einiges an Arbeit bevorstand, wenn sie Richard die angemessene diplomatische Etikette beibringen wollte.
Der König lachte schallend. »Es ist mir eine Freude, Teil eines Reiches zu werden, das von einem Mann geführt wird, der mich nicht mit seinen geschwollenen Reden zu Tode langweilt.« Er deutete mit dem Daumen auf den Sternendeuter hinter sich. »Wie so mancher andere.«
»Soll das heißen, Ihr kapituliert?« hakte Richard nach.
»Das soll es allerdings, Lord Rahl. Mutter Konfessor.«
»Eine große Delegation der Imperialen Ordnung kam nach Sandilar und forderte uns auf, uns ihnen anzuschließen. Wir hatten auf ein Zeichen gewartet, wie es uns Javas Kedar geraten hatte. Tristan wollte die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen und hat versucht, einen günstigen Handel mit der Imperialen Ordnung abzuschließen.
Als die Pest kam, glaubten wir, sie sei ein Beweis für die Macht der Imperialen Ordnung, und ich muß gestehen, wir bekamen es mit der Angst. Doch als Ihr dann die Pest aus dem Land vertrieben hattet, war das für mich Zeichen genug. Javas hier wird zweifellos in Kürze das entsprechende Himmelszeichen entdecken, das mich in meinem Entschluß bestärkt. Wenn nicht, gibt es auch noch andere Sterndeuter.«
Javas Kedar errötete und verneigte sich. »Wie ich bereits erwähnte, Eure Hoheit, ist es für mich als Sterndeuter ein leichtes, Eure Entscheidung zu bestätigen.«
Der König warf einen finsteren Blick über die Schulter. »Gut!«
»Und die Schädel?« wollte Richard wissen.
»Die Delegation der Imperialen Ordnung. Ich habe ihre Köpfe mitgebracht, um Euch davon zu überzeugen, daß ich es ehrlich meine. Ihr solltet sehen, daß ich diesen Entschluß aus tiefster Überzeugung fälle. Ich fand, es sei eine passende Antwort für einen Herrscher, der ein Land mit einer Pestepidemie überzieht, die unterschiedslos alle tötet. Dadurch gibt er sein wahres Wesen zu erkennen und straft alles Lügen, was er sonst noch über sich verbreiten läßt.«
Richard verneigte sich vor dem König. »Ich danke Euch, König Jorin.«
»Wer hat die Enthauptung meines Neffen Tristan angeordnet?«
»Das war ich«, sagte Richard. »Ich stand zusammen mit der Mutter Konfessor auf dem Balkon, als er vor meinen Augen auf ein mit Werg ausgestopftes Nachthemd einstach, das wir als Lockvogel dort hingelegt hatten. Er befand sich in dem Glauben, die Mutter Konfessor zu töten.«
Der König zuckte die Achseln. »Gerechtigkeit gilt für alle gleich, unabhängig von ihrem Stand. Ich bin Euch deswegen nicht gram. Tristan hat unserem Volk ohnehin keine guten Dienste erwiesen. Ich sehe dem Tag bereits mit Freuden entgegen, an dem wir uns von der Bedrohung durch die Imperiale Ordnung befreit haben.«
»Wie wir auch«, gab Richard zurück. »Dank Eurer Hilfe sind wir diesem Tag ein gutes Stück näher gekommen.«
Als der König ging, um die Unterzeichnung der Dokumente zu beaufsichtigen und logistische Dinge mit den d'Haranischen Befehlshabern abzusprechen, erhoben sich Richard und Kahlan und wollten gehen. Doch einer der Posten hielt sie zurück.
»Was gibt's?« fragte Kahlan.
»Drei Männer bitten darum, Lord Rahl sprechen zu dürfen.«
»Drei Männer? Wer sind sie?«
»Sie haben ihre Namen nicht genannt, Mutter Konfessor, aber sie sagen, sie seien Raug'Moss.«
Richard setzte sich wieder. »Schicke sie herein.«
Kahlan suchte unter dem Tisch seine Hand und drückte sie beruhigend, als die drei Gestalten in flachsenen Gewändern mit weiten, über die Köpfe gezogenen Kapuzen und vor dem Körper gefalteten Händen vor das Podest schritten und dort stehenblieben.
»Ich bin Lord Rahl«, erklärte Richard.
»Ja«, meinte der vorderste, »wir spüren die Bande.« Er deutete neben sich. »Dies ist Bruder Kerloff, und das Bruder Houck.« Er schob seine Kapuze zurück, und man sah ein von tiefen Falten zerfurchtes Gesicht sowie einen sich lichtenden grauen Haarschopf. »Ich bin Marsden Taboor.«
Richard musterte die drei Männer aufmerksam. »Willkommen in Aydindril. Wie ich höre, wollt Ihr mich sprechen. Was kann ich für Euch tun?«
»Wir sind auf der Suche nach Drefan Rahl«, erwiderte Marsden Taboor.
Richard fuhr mit dem Daumen an der Tischkante entlang, wobei er die drei Männer nicht aus den Augen ließ. »Tut mir leid, aber Euer Hohepriester ist tot.«
Die beiden Männer im Hintergrund wechselten einen Blick.
Marsden Taboors Miene verfinsterte sich. »Unser Hohepriester? Der Hohepriester der Raug'Moss bin ich, und das schon seit der Zeit vor Drefans Geburt.«
Richard runzelte die Stirn. »Drefan erzählte uns, er sei der Hohepriester.«