»Aber ich habe bereits früher einmal versucht, dich wieder schlafen zu legen, und es hat nicht geklappt.«
Das Lächeln der Sliph kehrte zurück. »Du hattest damals nicht das Silber, das man braucht.«
»Das Silber?«
Die Sliph reckte sich und berührte seine Armbänder. »Dieses Silber.«
»Soll das heißen, als ich damals meine Handgelenke übereinander gelegt habe, um dich schlafen zu legen, ging es deshalb nicht, weil ich diese Armbänder nicht trug? Und wenn ich dich jetzt schlafen lege, wird es funktionieren?«
»So ist es, mein Herr und Meister.«
Richard überlegte einen Augenblick. »Tut es dir – weh, wenn jemand dich schlafen legt?«
»Nein. Wenn ich schlafe, ist das für mich die reine Wonne, denn dann vereine ich mich mit dem Rest meiner Seele.«
Richard zog ein erstauntes Gesicht. »Du begibst dich zum Schlafen in die Welt der Seelen?«
»Ja, mein Herr und Meister. Ich darf niemandem erzählen, wie es kommt, daß er mich schlafen legen kann, aber du bist mein Herr und Meister, und da du es selbst wissen willst, wirst du nicht böse sein, wenn ich es dir verrate.«
Richard seufzte erleichtert. »Danke, Sliph. Du hast uns erklärt, wie wir verhindern können, daß die falschen Leute dich benutzen. Es freut mich zu wissen, daß es dir gefällt, schlafen zu gehen.«
Richard drückte Berdine an sich. »Kümmert Euch um alles, bis wir wieder zurück sind.«
»Dann trage ich also die alleinige Verantwortung?« fragte Berdine.
Richard runzelte argwöhnisch die Stirn. »Ihr alle drei tragt die Verantwortung.«
»Habt Ihr das auch ganz bestimmt gehört, Herrin Berdine?« fragte Ulic. »Ihr sollt später nicht behaupten, Ihr hättet von einem solchen Befehl nichts gehört.«
Berdine schnitt ihm eine Grimasse, während Richard Kahlan auf den Brunnenrand hinaufhalf. »Ich habe es gehört. Wir alle drei sollen uns um alles kümmern.«
Kahlan zog das Knochenmesser an ihrem Arm und den Rucksack auf ihrem Rücken zurecht. Sie reichte Cara die Hand.
»Und jetzt, Sliph«, meinte Richard mit einem breiten Grinsen, »möchten wir reisen.«
69
Atme.
Kahlan ließ das seidige Gefühl der Wonne los und sog die Luft ein und damit die Welt.
Als sie alle zusammen auf dem Mauerrand der Sliph saßen, gab Kahlan Cara einen Klaps auf den Rücken.
»Ihr müßt atmen, Cara. Kommt schon, laßt es heraus. Laßt die Sliph heraus und atmet.«
Schließlich beugte sich Cara vor, stieß die Sliph aus ihren Lungen und atmete widerstrebend ein. Kahlan erinnerte sich, wie schwer es ihr beim ersten Mal gefallen war, nicht nur die Sliph einzuatmen, sondern später auch wieder Luft zu holen. Cara hatte sich während der gesamten Reise an Richards und Kahlans Händen festgehalten.
Cara sah auf und grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Das war – wundervoll.«
Richard half den beiden hinunter. Kahlan zog das Knochenmesser an ihrem Arm und den kleinen Rucksack auf ihrem Rücken zurecht. Es war ein gutes Gefühl, endlich wieder Reisekleidung zu tragen. Cara fand allerdings, daß Kahlan in Hosen seltsam aussah.
»Dies ist der Ort, an den ihr reisen wolltet«, erklärte die Sliph. »Der Jocopo-Schatz.«
Richard sah sich in der Höhle um und mußte sich ducken, weil die Decke so niedrig war. »Ich sehe keinen Schatz.«
»Er befindet sich im Raum nebenan«, erklärte ihm Kahlan. »Wir werden offenbar erwartet. Man hat eine Fackel brennen lassen.«
»Bist du bereit zu schlafen?« fragte Richard die Sliph.
»Ja, mein Herr und Meister. Ich freue mich darauf, mich mit meiner Seele zu vereinen.«
Die Vorstellung, was die Sliph in Wirklichkeit war und wozu die Zauberer sie gemacht hatten, ließ Kahlan schaudern.
»Wird es dich – unglücklich machen, wenn ich dich wieder aufwecken muß?«
»Nein, mein Herr und Meister. Ich bin stets bereit, Freude zu spenden.«
Richard nickte. »Danke für deine Hilfe. Wir stehen alle in deiner Schuld. Schlaf … gut.«
Die Sliph lächelte Richard an, während dieser die Handgelenke aneinander legte, die Augen schloß und die Magie herbeirief.
Das glänzende silberne Gesicht, in dem sich das flackernde Licht der Fackel widerspiegelte, zerfloß und verschmolz wieder mit dem Becken voller Quecksilber. Richards Hände begannen zu leuchten. Seine silbernen Armbänder erstrahlten mit einer solchen Helligkeit, daß Kahlan deren Rückseite durch Haut und Knochen hindurch sehen konnte. Durch ihre Berührung wurden sie zu einer endlosen Doppelschlaufe: dem Unendlichkeitssymbol.
Das Leuchten übertrug sich auf das Becken glitzernden Silbers, während die Sliph in ihrem Brunnen versank, erst langsam und schließlich mit wachsender Geschwindigkeit, bis sie in der fernen Tiefe unten verschwunden war.
Richard nahm die Grasfackel, dann verließen die drei den Raum durch einen breiten, niedrigen Gang und folgten dem verschlungenen, immer wieder die Richtung wechselnden Weg durch das bräunliche Gestein, bis sie schließlich einen ausgedehnten Raum erreichten.
Kahlan erfaßte den Raum mit einer ausholenden Geste. »Der Jocopo-Schatz.«
Richard hielt die Fackel in die Höhe. Der Schein der Fackel wurde in Gestalt tausender goldener Lichtpunkte aus dem mit Gold in jeder Form angefüllten Raum zurückgeworfen, angefangen bei Nuggets und groben Barren bis hin zu goldenen Statuen.
»Unschwer zu erkennen, warum das hier der Jocopo-Schatz genannt wird«, meinte Richard. Er deutete auf die Regale. »Scheint etwas zu fehlen.«
Kahlan sah, was er meinte. »Als ich das erste Mal hier war, waren die Regale zum Bersten voll mit Pergamentrollen.« Sie schnupperte. »Es fehlt auch noch etwas anderes. Hier hat es vorher fürchterlich gestunken. Der Gestank ist verschwunden.«
Sie erinnerte sich, wie ihr wegen des üblen Gestanks die Luft weggeblieben war, sie gehustet hatte und ihr schwindelig geworden war. Auf dem Höhlenboden schwelte ein Aschehaufen.
Kahlan wischte mit der Stiefelspitze durch die Asche. »Was hier wohl passiert sein mag?«
Die Flamme der Fackel zuckte und flatterte, während sie dem verschlungenen Tunnel hinauf in eine goldene Morgendämmerung folgten. Dünne Schichten violetter Wolken lagen vor dem Sonnenaufgang. Ein leuchtender Goldrand, noch überwältigender als der Jocopo-Schatz, rahmte die Wolken ein.
Vor ihnen erstreckte sich üppiges grünes Grasland, das frisch und sauber duftete.
»Sieht aus wie die Ebenen von Azrith im Frühling«, sagte Cara, »bevor die große Hitze des Sommers sie in eine verbrannte Ödnis verwandelt.«
Breite Streifen mit Wildblumen zu ihren Füßen führten in die ungefähre Richtung der Schlammenschen. Kahlan ergriff Richards Hand. Es war ein wundervoller Tag, um zu heiraten.
Lange bevor sie das Dorf der Schlammenschen erreichten, hörten sie den Klang der Trommeln, der hinaus auf die Ebene wehte. Die Morgenluft war erfüllt von Gelächter und Gesang.
»Klingt, als hielten die Schlammenschen ein Festessen ab«, meinte Richard. »Was meinst du, hat das zu bedeuten?«
Seine Stimme klang bedrückt. Sie spürte es ebenfalls. Festessen wurden gewöhnlich nur abgehalten, wenn man in Vorbereitung auf eine Versammlung die Ahnenseelen herbeirief.
Chandalen kam ihnen unweit des Dorfes entgegen. Er trug das Kojotenfell eines Ältesten. Das Haar hatte er mit klebrigem Schlamm geglättet. Seine Brust war nackt, und er hatte seine formelle Kleidung aus Wildlederhosen und sein bestes Messer angelegt. In der Hand hielt er seinen besten Speer.
Mit grimmiger Miene trat Chandalen entschlossen vor und verpaßte Kahlan eine Ohrfeige.
»Kraft dem Konfessor Kahlan.«
Richard hielt Cara am Handgelenk zurück. »Immer mit der Ruhe«, flüsterte er. »Wir haben Euch doch davon erzählt. Auf diese Weise begrüßt man sich hier.«