Richards Raubvogelblick wurde versöhnlicher, und er atmete nachdenklich durch. Schließlich nickte er. »Du hast richtig gehandelt. Du hast recht, diese Fragen sind nicht so wichtig. Tut mir leid, mir hätte klar sein müssen, daß du das Beste tun wirst.« Er hob warnend den Zeigefinger. »Aber diesen Marlin überläßt du mir.«
Nun richtete Richard seinen Raubvogelblick auf Cara. »Ich möchte nicht, daß Ihr oder Kahlan zu ihm hinuntergeht. Verstanden? Es könnte etwas passieren.«
Cara hätte, ohne zu fragen, ihr Leben hergegeben, um seines zu schützen, ihrem wütenden Blick nach zu urteilen war sie es allerdings allmählich leid, daß man ihre Fähigkeiten anzweifelte. »Und wie gefährlich war der große, starke Mann am Ende von Dennas Leine, als sie ihn ungestraft in aller Öffentlichkeit durch den Palast des Volkes in D'Hara führte? Brauchte sie nicht einfach nur ein wenig am Ende der Kette ihres kleinen Spielgefährten unter ihrem Gürtel zu ziehen, um zu beweisen, daß sie ihn völlig in ihrer Gewalt hatte? Hat er auch nur ein einziges Mal gewagt, diese Hundeleine ein wenig unter Spannung zu setzen?«
Der Mann am Ende dieser Leine war Richard gewesen.
In Caras blauen Augen blitzte Empörung auf – ein Blitz aus heiterem Himmel. Kahlan erwartete fast, daß Richard vor Zorn sein Schwert zöge. Statt dessen sah er sie an, als höre er unbeteiligt zu, wie sie ihre Meinung äußerte, und als warte er lediglich darauf, ob sie noch etwas hinzuzufügen hätte. Hatten Mord-Sith Angst davor, erschlagen zu werden, oder gefiel ihnen so etwas, fragte sich Kahlan.
»Lord Rahl, ich bin im Besitz seiner Kraft. Es kann nichts passieren.«
»Davon bin ich überzeugt. Ich zweifele nicht an Euren Fähigkeiten, Cara, trotzdem darf sich Kahlan nicht unnötig einer Gefahr aussetzen, wie unwahrscheinlich diese Gefahr auch sein mag. Ihr und ich, wir werden diesen Marlin verhören, sobald wir zurück sind. Ich vertraue Euch mein Leben an, doch Kahlans Leben möchte ich nicht einfach einer häßlichen Laune des Schicksals anvertrauen.
Jagang hat die Möglichkeit übersehen, daß es hier Mord-Sith gibt. Wahrscheinlich weiß er nicht genug über die Neue Welt und schon gar nicht, was eine Mord-Sith überhaupt ist. Er hat einen Fehler gemacht. Ich will einfach sichergehen, daß wir nicht auch einen machen. Einverstanden? Wenn ich zurückkomme, werden wir Marlin verhören und herausfinden, was wirklich gespielt wird.«
So schnell es entstanden war, so schnell verschwand das Gewitter in Caras Augen auch wieder. Richard hatte es mit seiner ruhigen Art im Keim erstickt, und Sekunden später schien es, als wäre nichts geschehen. Kahlan war nicht einmal mehr sicher, ob Cara die wüsten Dinge tatsächlich gesagt hatte, die sie gehört hatte. Fast jedenfalls.
Sie wünschte sich, die Angelegenheit mit Marlin besser überdacht zu haben, als sie noch Gelegenheit dazu hatte. Bei Richard sah das alles so einfach aus. Wahrscheinlich war sie deswegen so besorgt um ihn, weil sie einfach nicht klar dachte. Das war verkehrt. Sie durfte nicht zulassen, daß die Sorge ihren Verstand beeinträchtigte, denn damit beschwor sie eben jenes Unheil herauf, das sie so fürchtete.
Richard legte Kahlan die Hand in den Nacken und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. »Glücklicherweise ist dir nichts zugestoßen. Du machst mir angst, wenn du dir in den Kopf setzt, mein Leben mit deinem zu beschützen. Tu das nie wieder.«
Kahlan lächelte. Sie versprach es nicht, sondern wechselte statt dessen das Thema. »Ich mache mir Sorgen, weil du den sicheren Palast verlassen willst. Es gefällt mir nicht, daß du da draußen bist, während sich eine Schwester der Finsternis hier herumtreibt.«
»Ich komme schon zurecht.«
»Aber der jarianische Botschafter ist hier, zusammen mit den Abgesandten aus Grennidon. Sie verfügen über riesige Armeen. Es sind auch noch ein paar andere hier, aus kleineren Ländern – Mardovia, Pendisan und Togressa. Sie alle erwarten, dich heute abend zu sehen.«
Richard hakte einen Daumen hinter seinen breiten Ledergürtel. »Hör zu, sie können sich dir ergeben. Entweder sind sie für uns oder gegen uns. Es ist nicht erforderlich, daß sie mich sprechen, sie müssen nur den Bedingungen der Kapitulation zustimmen.«
Kahlan legte ihm die Hand auf den Arm. »Aber du bist Lord Rahl, der Herrscher D'Haras. Du hast die Bedingungen gestellt. Sie erwarten dich zu sehen.«
»Dann werden sie bis morgen abend warten müssen. Unsere Männer gehen vor. General Kerson hat recht: Wenn die Männer nicht in der Lage sind zu kämpfen, haben wir ein Problem. Die d'Haranische Armee ist der Hauptgrund dafür, daß die Länder zur Kapitulation bereit sind. Wir dürfen keine Führungsschwäche zeigen.«
»Aber ich will nicht schon wieder von dir getrennt werden«, wandte sie leise ein.
Richard lächelte. »Ich weiß. Mir geht es genauso, aber diese Angelegenheit ist wichtig.«
»Versprich mir, vorsichtig zu sein.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Ich verspreche es. Du weißt, daß Zauberer ihr Versprechen stets halten.«
»Also gut, von mir aus. Nur sei schnell wieder zurück.«
»Bestimmt. Und du halte dich von diesem Marlin fern.«
Er wandte sich an die anderen. »Cara, Ihr und Raina bleibt hier, zusammen mit Egan. Ulic, tut mir leid, daß ich dich angeschrien habe. Ich werde es wiedergutmachen, indem ich dir erlaube, mich zu begleiten, damit du mich mit deinen großen blauen Augen bewachen und mir Schuldgefühle bereiten kannst.« Er wandte sich an die letzte aus der Gruppe. »Berdine, ich weiß, daß Ihr mir das Leben zur Hölle machen werdet, wenn ich nicht wenigstens eine von Euch mitnehme. Also dürft Ihr mich begleiten.«
Berdine sah Nadine grinsend an. »Ich bin Lord Rahls Liebling.«
Nadine schien eher sprachlos als beeindruckt zu sein, wie schon während des gesamten vorangegangenen Gesprächs. Schließlich richtete sie einen stolzen, überheblichen Blick auf Richard und verschränkte die Arme über ihren Brüsten.
»Und – willst du mich jetzt auch herumkommandieren? Wirst du mir jetzt auch sagen, was ich tun soll, wie es dir bei den anderen soviel Spaß zu machen scheint?«
Richard wurde nicht etwa wütend, wie Kahlan nach der Beleidigung vermutet hätte, sondern wirkte gelangweilter als je zuvor.
»Viele Menschen kämpfen für unsere Freiheit. Sie kämpfen, um zu verhindern, daß die Imperiale Ordnung die Midlands, D'Hara und schließlich auch Westland unterjocht. Ich führe die an, die bereit sind, für ihre Freiheit und im Namen jener unschuldigen Menschen zu streiten, die andernfalls versklavt werden würden. Ich führe sie an, weil die Umstände mir den Befehl übertragen haben, nicht um der Macht willen oder weil ich Freude daran habe. Ich tue es, weil ich es tun muß.
Meinen Feinden oder möglichen Gegnern stelle ich Forderungen. Denen, die mir treu ergeben sind, erteile ich Befehle.
Du bist weder das eine noch das andere, Nadine. Tu, was du willst.«
Ihre Sommersprossen waren nicht mehr zu erkennen, so rot leuchteten ihre Wangen.
Richard zog sein Schwert einige Zoll weit heraus und ließ es wieder zurückgleiten. Ohne es zu merken, vergewisserte er sich, daß die Klinge locker in der Scheide saß. »Berdine, Ulic, holt eure Sachen. Wir treffen uns draußen bei den Stallungen.«
Richard nahm Kahlan bei der Hand und zog sie zur Tür. »Ich muß mit der Mutter Konfessor sprechen. Allein.«
Richard führte Kahlan durch den Gang, in dem es von muskulösen, schwerbewaffneten d'Haranischen Wachen in dunkler Lederkleidung und Kettenhemden nur so wimmelte, in einen leeren Seitengang. Er zog sie um die Ecke unter eine silberne Lampe und drückte sie mit dem Rücken gegen eine Wand, die mit vom Alter nachgedunkeltem Kirschbaumholz getäfelt war.
Mit der Fingerspitze tippte er ihr sachte auf die Nase. »Ich konnte nicht einfach aufbrechen, ohne mich mit einem Kuß von dir zu verabschieden.«
Kahlan mußte schmunzeln. »Wolltest du mich vor den Augen einer alten Freundin nicht küssen?«