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Kahlan erhob sich, ergriff Nadines Hand und drückte sie zum Trost. »Kahlan. Ich heiße Kahlan.«

»Kahlan.« Nadine konnte ihr noch immer nicht in die Augen sehen. »Küßt er gut? Das habe ich mich stets gefragt, wenn ich des Nachts wach lag.«

»Wenn man jemanden von ganzem Herzen liebt, sind seine Küsse immer gut.«

»Wahrscheinlich. Mich hat nie jemand liebevoll geküßt. Jedenfalls nicht so, wie ich es mir erträumte.« Sie strich ihr Kleid glatt und bemühte sich, die Fassung wiederzufinden. »Das habe ich angezogen, weil Blau Richards Lieblingsfarbe ist. Ihr müßtet das eigentlich wissen – Blau ist seine Lieblingskleiderfarbe.«

»Ich weiß«, erwiderte Kahlan leise.

Nadine zog ihren Beutel näher heran. »Ich weiß gar nicht, was ich mir einbilde. Ich rede stundenlang über Dinge, die längst der Vergangenheit angehören.«

Nadine kramte in ihrem Beutel und holte ein kleines Stück Schafshorn mit einem Korken im viereckig geschnitzten Ende hervor. Sie zog den Korken heraus, tauchte einen Finger hinein und hielt ihn Cara hin.

Cara wich zurück. »Was glaubt Ihr eigentlich, was Ihr da tut?«

»Das ist eine Salbe aus Aumwurz, die das Brennen lindern soll, sowie Beinwell und Schafgarbe, damit die Blutung gestillt wird und die Wunde glatt verheilen kann. Die Platzwunde auf Eurer Wange blutet noch immer. Wenn das nicht reicht, dann habe ich noch etwas Fingerhut. Nicht nur die Bestandteile, sondern auch ihre Zusammensetzung, meint mein Vater, sind das Geheimnis der Wirkung einer Medizin.«

»Ich brauche das nicht«, sagte Cara.

»Ihr seid sehr hübsch. Ihr wollt doch keine Narbe zurückbehalten, oder?«

»Ich habe viele Narben. Man kann sie nur nicht sehen.«

»Wo sind sie?«

Caras Miene verfinsterte sich, aber Nadine ließ nicht locker.

»Also schön«, meinte Cara schließlich. »Setzt Eure Kräuter ein, wenn ich Euch dadurch loswerde. Aber ich werde mich nicht ausziehen, damit Ihr meine Wunden anschauen könnt.«

Nadine lächelte beteuernd, dann tupfte sie die bräunliche Paste auf Caras Wange. »Das zieht den Schmerz aus der Wunde. Es wird knapp eine Minute brennen, dann läßt es nach.«

Cara zuckte mit keiner Wimper. Das überraschte Nadine offenbar, denn sie zögerte kurz und sah ihr in die Augen, bevor sie fortfuhr. Als sie fertig war, verstopfte Nadine das Horn wieder mit dem Korken und legte es zurück in ihren Beutel.

Sie sah sich um. »Ich habe noch nie ein so wunderschönes Zimmer gesehen. Danke, daß ich es benutzen durfte.«

»Keine Ursache. Braucht Ihr etwas? Proviant … irgend etwas anderes?«

Nadine schüttelte den Kopf, putzte sich ein letztes Mal die Nase und stopfte ihr Taschentuch zurück in den Beutel. Dann fiel ihr die Tasse ein. Sie stürzte den Rest Wasser hinunter und steckte auch sie in ihren Beutel.

»Die Reise ist ziemlich lang, ich habe jedoch noch etwas Silber übrig. Ich komme schon zurecht.«

Sie legte ihre Hand auf die Tasche und starrte auf ihre zitternden Finger. »Ich hätte nie gedacht, daß meine Reise auf diese Weise enden würde. Ich habe mich zum Gespött Kernlands gemacht, so wie ich Richard nachgelaufen bin.« Sie schluckte. »Was wird nur mein Vater sagen?«

»Hat Shota ihm auch erzählt, Ihr würdet Richard heiraten?«

»Nein, da hatte ich Shota noch nicht getroffen.«

»Was meint Ihr damit? Ich dachte, sie sei es gewesen, die Euch gesagt hat, Ihr sollt hierherkommen, um Richard zu heiraten.«

»Na ja« – Nadine lächelte verlegen – »ganz so war es nicht.«

»Verstehe.« Kahlan faltete die Hände. »Und wie war es dann?«

»Es klingt bestimmt albern – so als sei ich ein mondsüchtiges Mädchen von zwölf Jahren.«

»Erzählt es mir einfach, Nadine.«

Nadine dachte einen Augenblick lang nach, schließlich seufzte sie. »Wahrscheinlich spielt es keine Rolle. Ich bekam diese … also ich weiß gar nicht, wie ich sie nennen soll. Ich sah Richard, oder besser, ich dachte, ich sähe Richard. Ich sah ihn aus den Augenwinkeln, drehte mich um, aber er war nicht da. So wie eines Tages, als ich im Wald unterwegs war und nach neuen Trieben suchte und ihn neben einem Baum stehen sah. Ich blieb also stehen, aber er war verschwunden.

Ich war jedesmal ganz sicher, daß er mich brauchte. Ich wußte nicht woher, trotzdem wußte ich es. Bestimmt steckte er in Schwierigkeiten. Daran hatte ich nie den geringsten Zweifel.

Ich erklärte meinen Eltern, daß Richard mich brauche und ich losziehen und ihm helfen müsse.«

»Und sie glaubten Euch. Sie glaubten an Eure Visionen? Sie haben Euch einfach aufbrechen lassen?«

»Na ja, ich habe es ihnen nie genau erklärt. Ich erzählte ihnen nur, Richard hätte eine Nachricht geschickt und brauche meine Hilfe und ich würde zu ihm gehen. Vermutlich habe ich, na ja, damit bei ihnen den Eindruck erweckt, ich wüßte, wohin ich ging.«

Allmählich dämmerte es Kahlan: Nadine schien niemandem je etwas ausführlich zu erklären. »Und dann erschien Shota?«

»Nein. Dann brach ich auf. Ich wußte, Richard brauchte mich, also machte ich mich auf den Weg.«

»Alleine? Ihr wolltet einfach losmarschieren und die gesamten Midlands nach ihm absuchen?«

Nadine zuckte verlegen die Achseln. »Auf die Idee, mich zu fragen, wie ich ihn finden wollte, bin ich gar nicht gekommen. Ich wußte, daß er mich brauchte, und ich hatte das Gefühl, es sei wichtig, daher zog ich los, um zu ihm zu gehen.« Sie lächelte, als wollte sie Kahlan beruhigen. »Ich ging geradewegs zu ihm – schnurgerade wie ein Pfeil. Es funktionierte alles wunderbar.« Ihre Wangen röteten sich. »Wenn man davon absieht, daß er mich nicht will, meine ich.«

»Nadine, hattet Ihr irgendwelche … seltsamen Träume? Damals oder jetzt?«

Nadine strich eine dicke Haarsträhne nach hinten. »Seltsame Träume? Nein, seltsame Träume nicht. Jedenfalls nicht seltsamer als andere Träume auch. Eben ganz normale Träume.«

»Was für ›normale Träume‹ habt Ihr?«

»Na ja, wenn man zum Beispiel träumt, man sei wieder klein und habe sich im Wald verlaufen und keiner der Wege führt dahin, wohin er sollte. Oder wenn man träumt, daß man die richtigen Zutaten für einen Kuchen nicht finden kann, also geht man in eine Höhle und borgt sie sich von einem Bär, der sprechen kann. Solche Sachen. Träume eben. Träume, in denen man fliegen oder unter Wasser atmen kann. Verrücktes Zeug. Aber eben nur Träume. Wie ich sie immer schon hatte. Nichts anderes.«

»Haben sie sich in der letzten Zeit verändert?«

»Nein. Wenn ich mich überhaupt an sie erinnere, dann sind es die gleichen.«

»Verstehe. Das klingt wirklich alles ziemlich normal.«

Nadine zog einen Umhang aus ihrem Beutel. »Ich denke, ich sollte jetzt besser aufbrechen. Mit etwas Glück bin ich zum Frühlingsfest wieder zu Hause.«

Kahlan runzelte die Stirn. »Ihr könnt von Glück reden, wenn Ihr es bis zum Mittsommernachtsfest schafft.«

Nadine lachte. »Das glaube ich kaum. Der Rückweg kann nicht länger dauern als der Weg hierher. Etwa knapp zwei Wochen. Ich brach auf, kurz nachdem der Mond im zweiten Viertel stand, und er ist noch immer nicht voll.«

Die Mutter Konfessor starrte sie verwirrt an. »Zwei Wochen.« Nadine hätte Monate brauchen müssen, um den weiten Weg von Westland hierher zureisen, insbesondere, da er über das Rang'Shada-Gebirge führte. »Euer Pferd muß Flügel gehabt haben.«

Nadine lachte amüsiert, dann erstarb ihr Lachen, und ihre glatte Stirn kräuselte sich. »Komisch, daß Ihr es erwähnt. Ich habe gar kein Pferd. Ich bin zu Fuß gegangen.«

»Zu Fuß«, wiederholte Kahlan fassungslos.

»Ja. Aber seit meinem Aufbruch hatte ich Träume, auf einem Pferd mit Flügeln zu fliegen.«

Angesichts der immer wieder neuen Einzelheiten von Nadines Geschichte hatte Kahlan Mühe, nicht den Faden zu verlieren. Sie überlegte, welche Fragen Richard stellen würde. Als Richard ihr all das vor Augen gehalten hatte, was sie Marlin hätte fragen müssen, ihr aber nicht eingefallen war, hatte sie sich äußerst dumm gefühlt. Zwar hatte er dem Ganzen die Schärfe genommen und ihr erklärt, sie habe das Richtige getan, trotzdem berührte sie es nach wie vor peinlich, daß sie aus Marlin, als sie die Gelegenheit dazu hatte, so gut wie nichts von Bedeutung herausbekommen hatte.