Genaugenommen mußte ein Konfessor nicht viel über Verhöre wissen. Sobald er jemanden mit seiner Kraft berührt hatte, forderte er den Verbrecher auf, zu gestehen, ob er die ihm zur Last gelegten Untaten wirklich begangen hatte, und, falls die Antwort ja lautete – was bis auf ein paar seltene Ausnahmen der Fall war –, anschließend die Einzelheiten zu berichten.
Das war keine Kunst, und dergleichen war auch nicht nötig. Es war eine unfehlbare Methode, wenn man verhindern wollte, daß politisch Andersdenkenden zu Unrecht Verbrechen angelastet oder sie solcher Verbrechen für schuldig befunden wurden, die sie nicht begangen hatten, nur damit jemand sich ihrer durch eine bequeme Hinrichtung entledigen konnte.
Kahlan war entschlossen, bei Nadines Verhör geschickter vorzugehen. »Wann hat Shota Euch aufgesucht? Das habt Ihr mir noch immer nicht verraten.«
»Oh. Na ja, genaugenommen kam sie gar nicht zu mir. Ich traf sie zufällig oben in den Bergen. Sie hatte einen wundervollen Palast, ich hatte jedoch keine Gelegenheit, ihn mir von innen anzusehen. Ich habe mich nicht lange bei ihr aufgehalten. Schließlich wollte ich zu Richard.«
»Und was hat Shota zu Euch gesagt? Wie lauteten ihre Worte? Ihre exakten Worte?«
»Mal sehen…« Nadine legte den Finger an den Mund und versuchte, sich zu erinnern. »Sie begrüßte mich. Sie bot mir Tee an – sie sagte, man habe mich erwartet – und ließ mich neben ihr Platz nehmen. Ständig zwang sie Samuel, meinen Beutel in Ruhe zu lassen, denn er wollte ihn fortschleppen, und sie sagte, ich brauchte keine Angst vor ihm haben. Sie fragte, wohin ich reise, und ich erzählte ihr, ich sei unterwegs zu meinem Richard – der mich brauche. Dann erzählte sie mir Geschichten über Richard, Geschichten aus seiner Vergangenheit, die ich besser wissen sollte. Ich war überrascht, wie gut sie ihn kannte.
Und dann erzählte sie mir Dinge über mich, die sie unmöglich hatte wissen können. Zum Beispiel meine Sehnsüchte und Pläne – daß ich Heilerin werden und meine Kräuter benutzen wollte, und dergleichen mehr. Da wurde mir klar, sie war eine Mystikerin. An ihre genauen Worte in diesem Teil der Unterhaltung kann ich mich nicht erinnern.
Sie behauptete, daß Richard mich tatsächlich brauche. Sie sagte, wir würden heiraten. Angeblich hatte ihr das der Himmel berichtet.« Nadine wich Kahlans Blick aus. »Ich war so glücklich. Ich glaube, so glücklich war ich noch nie.«
»Der Himmel? Und weiter?«
»Dann sagte sie, sie wolle mich auf meinem Weg zu Richard nicht länger aufhalten. Der Wind mache Jagd auf ihn – was immer das bedeutet –, und ich hätte recht damit, daß er mich brauche. Daher solle ich mich beeilen und sofort aufbrechen. Dann wünschte sie mir alles Gute.«
»Das ist alles? Sie muß doch noch etwas gesagt haben?«
»Nein, das ist alles.« Nadine knöpfte ihren Beutel zu. »Na ja, sie hat noch einen Segen für Richard gesprochen, glaube ich.«
»Was heißt das? Was hat sie gesagt? Ihre genauen Worte.«
»Na ja, als sie sich umdrehte, um wieder in den Palast zu gehen, stand ich auf, weil ich aufbrechen wollte, und hörte sie leise, fast wie im Traum, sagen: ›Mögen die Seelen ihm gnädig sein.‹«
Kahlan spürte, wie sie unter den weißen Seidenärmeln auf den Armen eine Gänsehaut bekam. Sie dachte erst wieder daran, Luft zu holen, als ihre Lungen vor Luftmangel zu brennen anfingen.
Nadine hob ihren Beutel auf. »So, ich habe Euch genug Kummer bereitet. Ich mache mich jetzt besser auf den Heimweg.«
Kahlan breitete die Hände aus. »Hört zu, Nadine, warum bleibt Ihr nicht noch eine Weile hier?«
Die junge Frau blieb stehen und zog ein verblüfftes Gesicht. »Warum?«
Verzweifelt suchte Kahlan nach einem Grund. »Nun, ich würde gerne Geschichten über Richards Kindheit hören. Ihr könntet mir all seine Streiche erzählen.« Sie zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. »Das würde mir wirklich gefallen.«
Nadine schüttelte den Kopf. »Richard wird nicht wollen, daß ich hierbleibe. Er wird wütend sein, wenn ich bei seiner Rückkehr noch immer hier bin. Ihr habt den Blick in seinen Augen nicht gesehen.«
»Nadine, Richard wird Euch nicht einfach rauswerfen, ohne Euch Gelegenheit zu geben, Euch vor dem Heimweg noch ein paar Tage auszuruhen. Das ist nicht Richards Art. Er sagte: ›Was immer sie braucht.‹ Ich glaube, ein paar Tage Ruhe könntet Ihr sehr wohl gebrauchen.«
Nadine schüttelte erneut den Kopf. »Nein. Ihr wart bereits freundlicher zu mir, als ich mir erhoffen durfte. Ihr und Richard gehört zusammen. Ihr braucht mich hier nicht. Trotzdem danke für das Angebot. Ich kann kaum glauben, wie freundlich Ihr seid – es ist nicht verwunderlich, daß Richard Euch liebt. Andere Frauen an Eurer Stelle hätten mich kahl scheren und hinten auf einem Mistkarren aus der Stadt schaffen lassen.«
»Nadine, ich möchte wirklich, daß Ihr bleibt.« Kahlan feuchtete sich die Lippen an. »Bitte«, hörte sie sich hinzufügen.
»Das könnte zu Verstimmungen zwischen Euch und Richard führen. Ich möchte nicht der Grund dafür sein. Das ist nicht meine Art.«
»Wenn dem so wäre, hätte ich Euch nicht gefragt. Bleibt. Wenigstens noch ein paar Tage. Einverstanden? Ihr könntet in diesem Zimmer wohnen, das Euch so gefällt. Ich … möchte wirklich, daß Ihr bleibt.«
Nadine musterte Kahlans Augen eine ganze Weile. »Wollt Ihr tatsächlich, daß ich bleibe?«
»Ja.« Kahlan spürte, wie ihre Fingernägel sich in ihre Handflächen gruben. »Ja.«
»Also, um die Wahrheit zu gestehen, ich habe es nicht eilig, nach Hause zu kommen und meinen Eltern meine Torheit zu gestehen. Also gut, abgemacht, wenn Ihr wollt, dann bleibe ich noch eine Weile. Danke.«
Kahlan hatte zwar wichtige Gründe, Nadine zum Bleiben aufzufordern, dennoch konnte sie nicht anders – sie fühlte sich wie eine Motte, die soeben im Begriff stand, in eine offene Flamme hineinzufliegen.
8
Kahlan zwang sich zu lächeln. »Also abgemacht, Ihr bleibt hier. Es wird bestimmt … nett, Euch zu Besuch zu haben. Wir beide werden miteinander plaudern, Ihr und ich. Über Richard. Ich meine, ich würde mir gerne anhören, was Ihr über seine Kindheit zu erzählen habt.« Sie merkte, daß sie zu stammeln anfing, und zwang sich, den Mund zu halten.
Nadine strahlte. »Und ich darf im Bett schlafen?«
»Redet keinen Unsinn. Natürlich im Bett. Wo denn sonst?«
»Ich habe eine Decke dabei und könnte auf dem Teppich schlafen, um nicht –«
»Nein. Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich habe Euch eingeladen. Ihr sollt Euch wie zu Hause fühlen, genau wie die anderen Gäste, die dieses Zimmer benutzen.«
Nadine kicherte. »Dann müßte ich auf dem Teppich schlafen. Zu Hause schlafe ich in einem Hinterzimmer über unserem Laden auf Stroh.«
»Nun«, erwiderte Kahlan, »hier werdet Ihr jedenfalls im Bett schlafen.« Sie sah kurz zu Cara hinüber, bevor sie fortfuhr. »Wenn Ihr wollt, werde ich Euch nachher den Palast zeigen, doch zunächst könnt Ihr erst einmal Eure Sachen auspacken und Euch ein wenig erholen, während Cara und ich uns um einige wichtige Angelegenheiten kümmern.«
»Was für Angelegenheiten?« fragte Cara.
Die ganze Zeit über ist die Frau stumm wie ein Stein, dachte Kahlan, und jetzt fängt sie an, neugierig zu werden.
»Angelegenheiten, die einen gewissen Marlin betreffen.«
»Lord Rahl hat uns befohlen, Marlin fernzubleiben.«
»Er ist ein gedungener Mörder, den man geschickt hat, um Richard zu töten. Es gibt Dinge, die ich herausfinden muß.«
»Dann will ich auch mitkommen«, verlangte Nadine. Ihr Blick ging zwischen Kahlan und Cara hin und her. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand einen Menschen töten will, und schon gar nicht Richard. Ich möchte sehen, wie so ein Mensch aussieht. Ich will ihm in die Augen blicken.«