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Er hat Angst um mich, und deshalb denkt er nicht klar. Marlin ist im Besitz von Informationen über das, was hier vor sich geht, und es wäre töricht, die Zeit verstreichen zu lassen, während die Gefahr wächst.

Was sagtet Ihr doch gleich zu mir, vorhin? Daß Zögern Euer Ende wäre? Oder das Ende derer, die Ihr liebt?«

Caras Gesicht erschlaffte, dennoch antwortete sie nicht.

»Ich liebe Richard, und ich werde sein Leben nicht dadurch aufs Spiel setzen, daß ich zögere. Ich werde mir die Antworten auf diese Fragen holen.«

Endlich lächelte Cara. »Mir gefällt Eure Art zu denken, Mutter Konfessor. Aber schließlich seid auch Ihr eine Schwester des Strafers. Die Anweisungen waren unüberlegt, wenn nicht gar dumm.

Die Mord-Sith befolgen Lord Rahls törichte Anweisungen nur dann, wenn sein männlicher Stolz auf dem Spiel steht und nicht sein Leben.

Wir werden uns ein wenig mit Marlin unterhalten und auf alle unsere Fragen eine Antwort bekommen – und mehr noch. Wenn Lord Rahl zurückkehrt, werden wir in der Lage sein, ihm die Informationen zu geben, die er braucht – wenn wir der Bedrohung nicht bereits ein Ende gemacht haben.«

Kahlan schlug mit der flachen Hand gegen den runden Endpfosten des Geländers. »Das ist die Cara, die ich kenne.«

Während sie immer weiter nach unten gelangten, unter die Stockwerke mit Teppichen und Wandtäfelungen und in die engen, niedrigen Flure hinein, wo nur noch Lampen Licht spendeten, und noch tiefer, wo nur noch Fackeln den Weg beleuchteten, wurde die frische und frühlingshafte Luft zunächst abgestanden und dann faulig und roch schließlich nach feuchtem, schimmeligem Mauerwerk.

Kahlan hatte diese engen Flure schon häufiger betreten, als ihr eigentlich lieb war. Die Grube war der Ort, wo sie die Geständnisse der Verurteilten entgegennahm. Hier hatte sie auch ihr erstes Geständnis entgegengenommen, von einem Mann, der die Töchter seines Nachbarn umgebracht hatte, nachdem er sich auf unsägliche Weise an ihnen vergangen hatte. Selbstverständlich hatte sie jedesmal ein Zauberer begleitet. Jetzt war sie unterwegs, einen Zauberer aufzusuchen, den man dort unten gefangenhielt.

Als sie außer Hörweite einer Gruppe von Soldaten waren, die eine Kreuzung zweier Treppenaufgänge bewachte, und bevor sie die Abzweigung erreichten, die sie zum Gang mit der Grube führen würde, wo es von den von ihr dort postierten Soldaten nur so wimmelte, warf Kahlan Cara einen Seitenblick zu. Die Mord-Sith war eine attraktive Frau. Wie sie allerdings wachsam den Flur absuchte, hatte sie eine äußerst bedrohliche Ausstrahlung.

»Cara, darf ich Euch eine persönliche Frage stellen?«

Cara verschränkte die Arme hinter dem Rücken und ging forsch weiter. »Ihr seid eine Schwester des Strafers. Nur zu.«

»Vorhin meintet Ihr zu mir, ein Zögern könnte Euer Ende bedeuten oder das Ende derer, die Ihr liebt. Damit meintet Ihr Euch selbst, nicht wahr?«

Cara verlangsamte den Schritt und blieb stehen. Sogar im flackernden Licht der Fackeln konnte Kahlan sehen, daß sie blaß geworden war.

»Also, das ist schon eine sehr persönliche Frage.«

»Ihr müßt sie nicht beantworten. Es sollte nicht wie ein Befehl oder dergleichen klingen. Ich dachte nur … von Frau zu Frau. Ihr wißt soviel über mich, ich dagegen weiß kaum etwas über Euch, außer daß Ihr eine Mord-Sith seid.«

»Ich war nicht immer eine Mord-Sith«, erklärte Cara leise. Alles Bedrohliche war aus ihren Augen gewichen, und sie wirkte eher wie ein verängstigtes kleines Mädchen.

»Vermutlich gibt es keinen Grund, Euch nicht davon zu erzählen. Wie Ihr schon sagtet, ist es nicht meine Schuld, was man mir angetan hat. Dafür waren andere verantwortlich.

In D'Hara wurden jedes Jahr einige Mädchen ausgewählt, die dann zu Mord-Sith ausgebildet wurden. Es hieß, die größte Grausamkeit könne man bei denen erzielen, die die gütigsten Herzen haben. Man zahlte Belohnungen für die Namen von Mädchen, die diese Bedingungen erfüllten. Ich war ein Einzelkind, eine der Bedingungen, und im richtigen Alter. Das Mädchen wurde mitsamt seinen Eltern verschleppt. Die Eltern, damit sie im Verlauf der Ausbildung ermordet werden konnten. Meine Eltern wußten nicht, daß man unsere Namen an die Kopfjäger verschachert hatte.«

Aus Caras Gesicht und Tonfall war jede innere Beteiligung gewichen. Beides war so ausdruckslos, als berichte sie von der Rübenernte im vergangenen Jahr. In ihren Worten aber, wenn schon nicht in ihrem Tonfall, schwangen mehr als genug Gefühle mit.

»Mein Vater und ich waren draußen hinter dem Haus und schlachteten Hühner. Als sie kamen, hatte ich keine Ahnung, was das bedeutete. Mein Vater schon. Da er sie den Hang herunterkommen sah, zwischen den Bäumen, überraschte er sie. Doch waren es mehr, als er entdeckt hatte, mehr, als er überwältigen konnte, und er behielt nur wenige Augenblicke lang die Oberhand.

Er schrie mich an: ›Das Messer, Cari! Cari, hol das Messer!‹ Ich griff danach, weil er es so wollte. Er hielt drei der Männer fest. Mein Vater war kräftig.

Dann schrie er erneut: ›Cari, erstich sie. Stich sie ab! Beeil dich!‹«

Cara sah Kahlan in die Augen. »Ich stand einfach nur reglos da. Ich zögerte. Ich wollte niemanden erstechen. Niemandem weh tun. Ich stand einfach da. Ich konnte nicht mal die Hühner töten. Das hatte er getan.«

Kahlan wußte nicht, ob Cara ihre Erzählung fortsetzen würde. In der Totenstille entschied sie, wenn nicht, dann würde sie auch nicht weiterfragen. Cara wich Kahlans Blick aus und starrte ins Leere, in die Bilder ihrer Gedanken. Dann fuhr sie fort.

»Plötzlich war jemand neben mir. Ich werde das mein Lebtag nicht vergessen. Ich sah hoch, und da stand diese Frau, diese wunderschöne Frau, die schönste Frau, die ich je zu Gesicht bekommen hatte, mit blauen Augen und blonden, zu einem langen Zopf gebundenen Haaren. Das Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel, tanzte in kleinen Punkten auf ihrer roten Lederkleidung.

Sie blickte lächelnd auf mich herab und nahm mir das Messer aus der Hand. Dabei lächelte sie nicht liebenswert, sondern wie eine Schlange. So nannte ich sie im stillen danach immer – Schlange. Als sie sich aufrichtete, sagte sie: ›Ist das nicht süß? Die kleine Cari will niemandem mit ihrem Messer weh tun. Dieses Zögern hat dich gerade zur Mord-Sith gemacht, Cara. Damit fängt es an.‹«

Cara stand wie zu Stein erstarrt da. »Sie hielten mich in einem kleinen Zimmer gefangen, mit einem kleinen Gitter unten in der Tür. Ich konnte nicht raus. Aber die Ratten konnten herein. Nachts, wenn ich mich nicht mehr länger wach halten konnte und einschlief, kamen die Ratten in meine kleine leere Zelle geschlichen und bissen mich in die Fingerspitzen und Zehen.

Die Schlange schlug mich halbtot, weil ich versuchte das Gitter zu verstopfen. Ratten mögen Blut. Das macht sie ganz aufgeregt.

Ich lernte, zusammengerollt zu schlafen, wobei ich meine Hände zu Fäusten ballte und an meinen Bauch preßte, damit sie nicht an meine Finger herankamen. Dafür waren meine Zehen ungeschützt. Ich zog mein Hemd aus und wickelte es um meine nackten Füße, doch wenn ich dann nicht auf dem Bauch schlief, bissen sie mich in die Brustwarzen. Mit nackter Brust auf dem kalten Steinfußboden zu liegen, die Hände unter den Bauch gesteckt, war an sich schon eine Qual, wenigstens blieb ich für gewöhnlich dadurch länger wach. Wenn die Ratten nicht an meine Zehen herankamen, bissen sie mich irgendwo anders – in die Ohren, die Nase oder die Beine –, bis ich erschrocken aus dem Schlaf hochfuhr und sie verscheuchte.

Nachts konnte ich zudem die anderen Mädchen schreien hören, wenn sie von Ratten wachgebissen wurden. Immerzu weinte eines von ihnen oder rief nach seiner Mutter. Manchmal merkte ich, daß es meine eigene Stimme war, die ich da rufen hörte.

Oft wachte ich auf, weil die Ratten mit ihren kleinen Krallen über mein Gesicht kratzten, ihre kleinen Barthärchen meine Wangen streiften, während sie die kalte Nase an meine Lippen preßten, um dort schnuppernd nach Krumen zu suchen. Ich beschloß, die Mahlzeiten, die sie mir brachten, nicht mehr zu essen, und ließ die Schale mit dem Haferschleim und dem Kanten Brot auf dem Fußboden stehen, in der Hoffnung, die Ratten würden mein Abendessen fressen und mich in Ruhe lassen.