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Nadines Entschlossenheit geriet nur für einen Moment ins Wanken, dann plusterte sie beleidigt die Wangen auf und stieg hinter Cara die Leiter hinab.

Kahlan drehte sich kurz zu den Wachen um. »Unterkommandant Collins, wenn der Gefangene vor uns durch diese Tür kommt, wäre es besser, wenn er diesen Gang nicht lebend verläßt. Er hat die Absicht, Richard umzubringen.«

»Auf mein Wort als d'Haranischer Soldat, Mutter Konfessor, kein Unheil wird auch nur einen flüchtigen Blick auf Lord Rahl werfen können.«

Ein Handzeichen von Unterkommandant Collins genügte, und die Soldaten zogen den Stahl blank. Bogenschützen legten Pfeile auf. Kräftige Hände hakten halbkreisförmige Streitäxte von Waffengürteln los.

Kahlan nickte dem Unterkommandanten anerkennend zu, nahm sich eine Fackel und machte sich daran, die Leiter hinabzuklettern.

9

Naßkalte, schwere Luft schlug Kahlan aus der Grube entgegen, als sie Nadine auf der Leiter nach unten folgte. Da sie die Hand mit der Fackel außerdem dazu benutzte, sich an der Leiterstange festzuhalten, blieb ihr nichts übrig, als die Hitze der Flamme neben ihrem Gesicht auszuhalten. Aber sie war fast dankbar für den Geruch des Pechs, denn er überdeckte den Gestank der Grubenluft. Weiter unter beleuchteten die Fackeln mit ihrem flackernden Licht die Steinmauern und die dunkle Gestalt in der Mitte des Raumes.

Kahlan stieg von der Leiter herunter. Cara rammte gerade ihre Fackel in eine Halterung an der feuchten Mauer. Kahlan stellte ihre Fackel in einen Halter an der Wand gegenüber. Nadine stand da wie gelähmt und betrachtete den gebeugten Mann, der über und über mit verkrustetem Blut bedeckt war.

Cara richtete den Blick auf Marlin und runzelte die Stirn.

Sein Kopf hing vornüber, und er hatte die Augen geschlossen. Sein Atem ging tief und langsam, gleichmäßig.

»Er schläft«, flüsterte Cara.

»Er schläft?« flüsterte Kahlan zurück. »Wie kann er schlafen, wenn er so dasteht?«

»Ich … weiß es nicht. Wir zwingen neue Gefangene immer zu stehen, manchmal tagelang. Wenn sie mit niemandem sprechen können und gezwungen sind, nur über ihr eigenes düsteres Schicksal nachzudenken, verlieren sie ihre Entschlossenheit – es nimmt ihnen geradezu jeden Kampfeswillen. Es ist eine heimtückische Form der Folter. Ich hatte Männer, die gebettelt haben, daß sie lieber geschlagen werden wollten, als Stunde um Stunde alleine stehen zu müssen.«

Marlin schnarchte leise. »Wie oft kommt es vor, daß sie – einfach einschlafen?«

Cara stemmte eine Hand in die Hüfte und wischte sich mit der anderen nachdenklich über den Mund. »Es ist mir schon passiert, daß sie einschlafen, aber das weckt sie sicher auf. Wenn sie sich von der Stelle entfernen, auf der wir ihnen befohlen haben stehenzubleiben, löst die Verbindung den Schmerz aus. Wir brauchen gar nicht dabeizusein. Die Verbindung funktioniert, ganz gleich, wo wir uns befinden. Aber von einem Mann, der im Stehen eingeschlafen wäre, habe ich noch nie gehört.«

Kahlan warf einen Blick über die Schulter, vorbei an Nadine und die lange Leiter hinauf zu dem Licht, das durch die Tür hereinfiel. Sie konnte die Köpfe der Soldaten erkennen, doch keiner von ihnen hatte den Mumm, hinunter in die Grube zu blicken. Schließlich gingen dort womöglich magische Dinge vor sich.

Nadine schob ihren Kopf zwischen die beiden. »Vielleicht ist es ein Bann. Irgendeine Art von Magie.«

Sie wich zurück, da sie zur Antwort nur zornige Blicke erntete.

Eher aus Neugier denn als Versuch, ihn aufzuwecken, versetzte Cara Marlin einen leichten Stoß an der Schulter. Sie bohrte ihm den Finger in die Brust, in seinen Bauch.

»Steinhart. Seine Muskeln sind vollkommen starr.«

»Das muß der Grund sein, daß er so aufrecht stehen kann. Vielleicht ist es irgendein Zaubertrick, den er gelernt hat.«

Cara schien das nicht recht zu überzeugen. Mit einer ruckartigen, knappen Bewegung ihrer Hand, die Kahlan kaum mitbekam, ließ sie den Strafer in ihre Hand schnellen. Kahlan wußte, wie schmerzhaft es für sie war, den Strafer festzuhalten, ihrem Gesicht war davon aber nichts anzumerken. Das war es nie.

Die Mutter Konfessor packte Cara am Handgelenk. »Das ist wirklich nicht nötig. Weckt ihn einfach. Und benutzt Eure Verbindung zu seinem Verstand nicht dazu, um ihm Schmerzen zuzufügen, es sei denn, es ist absolut erforderlich. Es sei denn, ich gebe Euch den Befehl dazu.«

Auf Caras Gesicht machte sich Unwillen breit. »Meiner Meinung nach ist es erforderlich. Ich darf das nicht zulassen. Ich darf nicht zögern, meine Kontrolle auszuüben.«

»Cara, zwischen kluger Vorsicht und Zögern liegen Welten. Die ganze Geschichte mit Marlin war von Anfang an mehr als eigenartig. Gehen wir einfach Schritt für Schritt vor. Ihr sagtet, Ihr hättet ihn unter Kontrolle. Wir sollten also nichts überstürzen. Ihr habt ihn doch unter Kontrolle, oder?«

Ganz langsam verzog ein Lächeln Caras Lippen. »Oh, daran besteht kein Zweifel. Wenn Ihr jedoch darauf besteht, werde ich ihn so wecken, wie wir es manchmal bei unseren lieben Spielgefährten tun.«

Cara beugte sich vor, legte ihm den linken Arm um den Hals, neigte den Kopf zur Seite und gab Marlin einen Kuß auf den Mund. Kahlan merkte, daß sie rot wurde. Sie wußte, Denna hatte manchmal Richard auf diese Weise geweckt, bevor sie ihn weiterfolterte.

Mit einem zufrieden-spöttischen Grinsen ließ Cara von ihm ab.

Wie bei einer Katze, die aus einem Schlummer erwacht, öffneten sich Marlins Lider.

In seinen Augen war wieder dieses Etwas – dieses Etwas, das in Kahlan den Wunsch erzeugte, sich bis auf den Grund ihrer Seele zu verkriechen.

Diesmal sah sie mehr als beim letzten Mal. Die Augen waren nicht einfach die eines sehr alten Menschen. Es waren Augen, denen Angst vollkommen fremd war.

Während er die drei mit kalter, ungerührter Berechnung musterte, knickte er seine Hände nach hinten ab, krümmte den Rücken und streckte sich wie eine Katze. Ein perverses Grinsen zog auf sein Gesicht, eine Verdorbenheit, die sich ausbreitete wie ein Blutfleck, der durch weißes Leinen sickert.

»Sieh an. Meine beiden Schätzchen sind zurück.« Seine beunruhigenden Augen schienen mehr wahrzunehmen, als sie sollten, mehr zu wissen, als sie durften. »Und sie haben noch so ein Weibsstück mitgebracht.«

Zuvor hatte Marlins Stimme fast wie die eines Jungen geklungen. Jetzt war sie tief und kehlig und schien dem Munde eines muskelbepackten Kerls von doppeltem Gewicht zu entstammen – eine Stimme, durchtränkt von unumstrittener Macht und Autorität. Sie strahlte Unbesiegbarkeit aus. Kahlan hatte noch nie eine so bedrohliche Stimme gehört.

Sie trat einen Schritt zurück, nahm Caras Arm und zog sie mit nach hinten.

Obwohl Marlin sich nicht bewegte, spürte sie, wie die Bedrohung wuchs.

»Cara« – Kahlan schob Nadine mit der Hand nach hinten, während sie einen weiteren Schritt zurückwich – »Cara, sagt mir, daß Ihr ihn im Griff habt. Daß Ihr die Kontrolle habt.«

Cara starrte Marlin offenen Mundes an. »Was …?«

Unvermittelt ließ sie einen mächtigen Schlag los. Ihre gepanzerte Faust stieß seinen Schädel nur wenige Zoll zur Seite. Der Schlag hätte ihn von den Füßen werfen müssen.

Marlin betrachtete sie mit einem blutverschmierten Lächeln. Er spuckte gebrochene Zähne aus.

»Gar nicht mal übel, Schätzchen«, sagte er rauh. »Aber jetzt habe ich die Gewalt über deine Verbindung mit Marlin.«

Cara rammte ihm den Strafer in den Unterleib. Sein Körper zuckte zusammen, seine Arme schlugen nutzlos um sich. Seine Augen verloren nicht einen Moment lang ihren tödlichen Ausdruck. Das Lächeln schwankte nicht, während er sie musterte.

Jetzt war es an Cara, zwei Schritte zurückzutreten.

»Was geht hier vor sich?« fragte Nadine tonlos. »Da stimmt doch etwas nicht! Hattet Ihr nicht gesagt, er sei hilflos?«

»Ihr müßt verschwinden«, raunte Cara Kahlan dringlich zu. »Sofort.« Sie sah die Leiter hinauf. »Ich werde ihn aufhalten. Verschließt die Tür.«

»Ihr wollt schon wieder fort?« fragte Marlin mit seiner nervenzerreißenden Stimme, als sie sich der Leiter näherten. »So schnell? Dabei haben wir uns überhaupt noch nicht unterhalten. Es hat mir Spaß gemacht, Euren Gesprächen zuzuhören. Dabei habe ich sehr viel gelernt. Ich wußte gar nichts von den Mord-Sith. Jetzt allerdings schon.«