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Der Zauberer hob eine Hand und richtete sie mit gespreizten Fingern auf den steinernen Rost. Kahlan war unter Zauberern großgeworden: Marlin beschwor einen Luftzauber herauf. Ein Teil des Gittergeflechts explodierte in einer Wolke aus Staub und Steinsplittern nach außen. Durch die herausgesprengte Öffnung fiel weiteres Licht herein.

Durch den plötzlich breiteren Abflußkanal konnte das Wasser mit vermehrtem Druck herausströmen. Kahlan hatte in ihrem verletzten Arm keine Kraft, und der wachsende Sog des abfließenden Wassers riß sie von der Stufe fort. Nadine entglitt ihr ebenfalls.

Im mächtigen Griff des Wassers suchte Kahlan verzweifelt nach einem Halt, fand aber keinen. Sie drehte und wand sich, versuchte mit Händen und Füßen irgend etwas zu fassen zu bekommen. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, richtig Luft zu holen, außerdem hatte sie gegen das Entsetzen über ihren Atemmangel ankämpfen müssen.

Mit den Fingern erwischte sie die scharfe Steinkante am Rand des herausgesprengten Lochs. Sie wurde weiter hinuntergezogen und hart gegen den unteren Teil des Rostes gedrückt. Es gelang ihr lediglich, mit letzter Kraft den Kopf bis zum Hals hochzuhieven. Ihr erschien es, als atmete sie mehr Wasser als Luft.

Kahlan schaute hoch. Jagangs fieses Grinsen hieß sie willkommen. Er stand nur wenige Fuß entfernt.

Die Wucht des drückenden Wassers preßte sie fest gegen den zersprengten Rost. Sie hatte nicht die Muskelkraft, um sich gegen den reißenden Strom zu wehren. So sehr sie sich auch abmühte, sie kam nicht an den Zauberer heran. Sie schaffte es gerade eben, Luft zu holen.

Sie sah über die Schulter. Was sie sah, raubte ihr den Atem, um den sie gerade noch so heftig gekämpft hatte. Sie befanden sich auf der Ostseite des Palastes – der hohen Seite des Fundaments. Das Wasser schoß unter Getöse aus der Öffnung des Abflußkanals, um gut fünfzig Fuß in die Tiefe zu stürzen, bevor es donnernd auf die darunterliegenden Felsen klatschte.

Jagang lacht stillvergnügt in sich hinein. »Sieh an, sieh an, Schätzchen, wie nett von Euch vorbeizuschauen, um Zeuge meiner Flucht zu werden.«

»Wo wollt Ihr hin, Jagang?« brachte sie hervor.

»Ich dachte, ich gehe hinauf in die Burg.«

Kahlan schnappte nach Luft und bekam statt dessen einen Mundvoll Wasser. Sie hustete und würgte es heraus. »Warum wollt Ihr zur Burg? Was wollt Ihr dort?«

»Ihr täuscht Euch, Kleines, wenn Ihr glaubt, ich würde Euch irgendwas verraten, was Ihr nicht wissen sollt.«

»Was habt Ihr mit Cara gemacht?«

Er lächelte, antwortete jedoch nicht. Er hob Marlins Hand. Ein Stoß geballter Luft schlug ein weiteres Stück des Rosts zur Seite.

Der Stein, an dem sie sich festhielt, gab nach. Sie schrammte mit dem Rücken über die abgebrochene Kante. Kahlan schnappte nach einem festen Stück und bekam es gerade noch mit den Fingern zu fassen, bevor sie aus dem Kanal herausgedrückt wurde. Als sie nach unten sah, blickte sie auf die Felsen unterhalb des Fundaments. Über ihr toste das Wasser.

Mühsam schob sie die Finger über das scharfkantige Gestein und versuchte verzweifelt, sich wieder hinter die Überreste des Rosts zu ziehen. Panik verlieh ihren Bemühungen Kraft. Es gelang ihr, hinter das Steingitter zu kommen, sie konnte allerdings nicht mehr von dort weg. Das Wasser hielt sie gefangen.

»Schwierigkeiten, Kleines?«

Kahlan hätte ihn am liebsten angeschrien, konnte aber bestenfalls keuchend nach Luft schnappen, während sie dagegen ankämpfte, durch die Öffnung gespült zu werden. Ihre Arme brannten vor Anstrengung. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn aufhalten sollte.

Sie dachte an Richard.

Jagang hob erneut Marlins Hand und spreizte die Finger.

Plötzlich tauchte Nadine unmittelbar hinter ihm aus dem Wasser auf. Mit einer Hand hielt sie sich an einer steinernen Treppenstufe fest, mit der anderen umklammerte sie noch immer die Fackel. Mit einem Gesicht, als stünde sie am Rand des Wahnsinns, holte sie zu einem wuchtigen Schlag aus und verpaßte Marlin einen Hieb in die Kniekehlen.

Seine Beine knickten unter ihm weg, und er stürzte direkt vor Kahlan kopfüber ins Wasser. Mit der einen Hand blieb er am zerbrochenen Rost hängen. Als er sah, was ihn draußen erwartete, versuchte er verzweifelt, sich zurückzustoßen. Offenbar hatte er nicht vorausgesehen, daß es vom Abflußkanal womöglich keinen Weg nach unten gab.

Nadine krallte sich an den Trittstein, als ginge es ums nackte Überleben.

Kahlan griff mit ihrem verletzten Arm nach hinten, stopfte ihre linke Hand unter Wasser durch eine Öffnung des Gitters und ballte sie zur Faust, um sie dort festzuklemmen.

Mit der anderen packte sie Marlin an der Kehle.

»Sieh mal an, was ich hier habe«, preßte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, »den großen und allmächtigen Kaiser Jagang.«

Er grinste und zeigte ihr sein schiefes Gebiß. »Genaugenommen, Schätzchen«, sagte er mit Jagangs nervend unverschämter Stimme, »habt Ihr nur Marlin.«

Sie zog sich dicht an sein Gesicht heran. »Meint Ihr wirklich? Wißt Ihr nicht, daß die Magie eines Konfessors schneller wirkt als ein Gedanke? Deswegen hat niemand eine Chance, wenn wir ihn erst einmal berührt haben. Niemand. Die magischen Bande meiner Treue zu Richard verwehren dem Traumwandler den Zugang zu meinem Verstand. Marlins Verstand ist jetzt unser Schlachtfeld. Glaubt Ihr etwa, Eure Magie arbeitet schneller als meine? Was meint Ihr? Kann ich Euch zusammen mit Marlin überwältigen?«

»Zwei auf einen Streich?« sagte er mit einem fiesen Grinsen. »Das glaube ich kaum, Schätzchen.«

»Wir werden sehen. Vielleicht kriege ich Euch doch. Vielleicht machen wir dem Krieg und der Imperialen Ordnung gleich hier an Ort und Stelle ein Ende.«

»Ach, Schätzchen, was seid Ihr nur für eine Närrin. Der Mensch ist dazu bestimmt, seine Welt von den Fesseln der Magie zu befreien. Selbst wenn Ihr mich hier auf der Stelle töten würdet, wäre das nicht das Ende der Imperialen Ordnung. Sie wird das einzelne Individuum überleben, auch mich, denn die gesamte Menschheit strebt danach, unsere Welt zu erben.«

»Erwartet Ihr wirklich, daß ich glaube, Ihr tut das nicht aus Selbstsucht? Aus reiner Machtgier?«

»Gewiß nicht. Ich genieße das Herrschen. Aber ich reite nur ein Pferd, daß sich bereits in vollem Galopp befindet. Euch wird es niedertrampeln. Ihr seid eine Närrin, wenn Ihr weiter an der sterbenden Religion der Magie festhaltet.«

»Eine Närrin, die Euch immerhin bei der Kehle gepackt hält – Euch, den großen Jagang, der angeblich den Triumph des Menschen über die Magie sucht und dabei selbst Magie anwendet!«

»Im Augenblick noch. Wenn jedoch die Magie stirbt, werde ich es sein, der den Wagemut und die Kraft besitzt zu herrschen – und zwar ohne Magie.«

In Kahlan erwachte ein wilder Zorn. Dies war der Mann, der den Tod Tausender unschuldiger Menschen angeordnet hatte. Dies war der Schlächter von Ebinissia. Dies war der Mann, der die Welt versklaven würde.

Dies war der Mann, der die Absicht hatte, Richard umzubringen.

In der Stille ihrer Gedanken, im Kern ihrer Kraft, wo es keine Kälte gab, keine Erschöpfung, keine Angst, hatte sie alle Zeit der Welt. Er machte zwar keine Anstalten zu fliehen, doch selbst dann wäre es hoffnungslos für ihn gewesen. Er gehörte ihr.

Kahlan tat, was sie unzählige Male zuvor auch schon getan hatte – sie gab ihre Zurückhaltung auf.

Eine kaum wahrnehmbare Zeitspanne lang war etwas anders als sonst. Da, wo sonst nichts war, entstand ein Widerstand. Eine Wand.

Ihre Kraft durchstieß sie wie heißer Stahl Glas.

Die Magie breitete sich explosionsartig in Marlins Verstand aus.

Donner ohne Hall.

Gesteinssplitter regneten nach der Erschütterung herab. Wassertropfen tanzten. Trotz der Strömung des Wassers bildete sich ein Kreis aus Wellen um die beiden, der nach außen wogte und eine Wand aus Staub und Gischt vor sich hertrieb.

Nadine, die sich an den Trittstein klammerte, stieß einen Schmerzensschrei aus, weil sie die Freisetzung der Konfessorenkraft aus nächster Nähe erlebt hatte.