Ich habe mit dem Gedanken gespielt, Cara damit zu behandeln und ihre Zuckungen zu stoppen, indem ich sie lähme, entschied dann jedoch, es besser nicht auszuprobieren. Hundspfeffer macht teils dadurch bewegungsunfähig, daß er die Atmung beeinflußt. Man hat das Gefühl, als würden einem die Augen aus dem Kopf gebrannt, als würde man geblendet. Man denkt, die Nase stehe in Flammen, man ist überzeugt, das Herz werde einem zerspringen, und man bekommt keine Luft. Wenn man es abzuwaschen versucht, wird es nur noch schlimmer, weil das Pulver ölhaltig ist und sich nur verteilt.
Schädlich ist es eigentlich nicht, und man erholt sich nach einer kurzen Weile wieder vollständig, nur bis dahin ist man handlungsunfähig und vollkommen hilflos. Ich glaube, es wäre nicht gut, Cara auf diese Weise ruhigzustellen, weil sie ohnehin schon schwer Luft bekommt. Es könnte ihren Zustand verschlimmern, anstatt ihr zu helfen.«
»Wißt Ihr denn überhaupt eine Möglichkeit, wie Ihr ihr helfen könnt?« fragte Kahlan und gab sich Mühe, nicht allzu kritisch zu klingen.
Nadines Hand verharrte am Rand des Beutels. »Na ja, ich … ich denke schon. Die Symptome findet man nicht so häufig, daher bin ich nicht ganz sicher, aber mein Vater hatte sie einmal beiläufig erwähnt.«
Kahlan war alles andere als beruhigt. Nadine fand ein kleines Fläschchen in ihrem Beutel und begutachtete es im Licht der Fackel. Sie zog den Korken heraus, hielt das Fläschchen mit einem Finger zu und stellte es auf den Kopf.
»Haltet ihr den Kopf hoch.«
»Was ist das?« fragte Kahlan, während sie Cara umdrehte. Sie sah zu, wie Nadine das Mittel auf Caras Schläfen verrieb.
»Lavendelöl. Es lindert die Kopfschmerzen.«
»Ich glaube, sie hat mehr als bloß Kopfschmerzen.«
»Ich weiß. Aber vielleicht schwächt es ihre Schmerzen ein wenig ab, bis ich etwas gefunden habe, mit dem ich sie ruhigstellen kann. Ein einzelnes Mittel allein wird ihr kaum helfen. Ich muß wohl versuchen, etwas zusammenzumischen.
Die Schwierigkeit besteht darin, daß wir sie wegen der krampfartigen Zuckungen nicht dazu bringen können, einen Absud oder Tee zu trinken. Herzgespann und Lindenblüten haben beruhigende Wirkung, doch werden wir sie nicht so weit kriegen, daß sie eine ganze Tasse davon in Wasser gelöst trinken kann. Schwarzer Andorn würde das Erbrechen unterbinden, allerdings müßte sie davon fünf Tassen pro Tag trinken. Ich wüßte nicht, wie wir ihr bei diesen Zuckungen auch nur eine einflößen können. Vielleicht bringen wir sie so weit, daß sie ein wenig Mutterkraut einnimmt. Aber eine Hoffnung habe ich noch…«
Nadines langes, nasses Haar hing ihr um den Kopf, während sie in ihrem Beutel kramte. Sie brachte ein weiteres kleines braunes Fläschchen zum Vorschein.
»Ja! Ich habe es tatsächlich mitgenommen!«
»Was ist das?«
»Passionsblumentinktur. Das ist ein starkes Betäubungs- und Schmerzmittel. Ich hörte, wie mein Vater sagte, es beruhige Menschen, die sich in einem Zustand äußerster Erregtheit befinden. Ich vermute, mit Erregtheit meinte er so etwas wie Zuckungen. Da es sich um eine Tinktur handelt, können wir ihr etwas hinten auf die Zunge träufeln. Auf diese Weise wird sie es schlucken.«
Cara schüttelte sich heftig in Kahlans Armen. Die Mutter Konfessor nahm sie noch fester in die Arme, bis sie ein wenig stiller hielt. Kahlan war nicht recht wohl bei dem Gedanken, sich auf Nadines Vermutungen zu verlassen, aber sie wußte keine bessere Lösung. Irgend etwas mußte geschehen.
Nadine war soeben dabei, das Wachssiegel des kleinen braunen Fläschchens Passionsblumentinktur mit dem Daumennagel zu öffnen, als ein Schatten in die Tür oben trat. Nadine erstarrte.
Die reglose Silhouette einer Gestalt füllte den Türrahmen und schien die beiden Frauen ausgiebig zu betrachten. Der Mann drehte sich ohne das geringste Flattern seines Gewandes um und begann, die Leiter hinabzusteigen.
In der Stille war nur das leise Zischen der Fackel zu hören, als Kahlan Cara zerstreut über die Stirn strich und beobachtete, wie der Mann in dem Kapuzengewand die Leiter heruntergeklettert kam.
13
Nadine hielt inne.
»Wer …?«
»Er ist eine Art Heiler«, flüsterte Kahlan, während sie beobachtete, wie der Mann mechanisch nach unten geklettert kam. »Aus D'Hara. Mir wurde berichtet, er sei gekommen, um Richard seine Dienste anzubieten. Ich glaube, er ist ein wichtiger Mann.«
Nadine ging mit einem Murren darüber hinweg. »Was will er denn ohne Kräuter oder dergleichen anfangen?« Sie beugte sich vor, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Er scheint überhaupt nichts bei sich zu haben.«
Kahlan sagte ihr, sie solle still sein. Steinstaub knirschte unter seinen Stiefeln, als sich der Mann umdrehte. Das Geräusch hallte durch die angespannte Stille der Grube. Er kam gemessenen Schritts näher. Die Fackel befand sich hinter ihm an der Wand, so daß Kahlan seine Gesichtszüge unter der großen Kapuze nicht erkennen konnte.
Er war so groß wie Richard und hatte ebenso breite Schultern.
»Mord-Sith«, stellte er mit einer Stimme fest, die glatt und herrisch wirkte und ebenfalls ein wenig an Richards erinnerte.
Er zog eine Hand unter seinem Gewand hervor und machte eine Geste. Kahlan gehorchte und drehte Cara mit dem Rücken auf den Steinfußboden. Während er Caras Zittern zu begutachten schien, wollte Kahlan ihn nicht damit behelligen, daß sie die beiden einander vorstellte. Sie wollte nichts anderes, als daß jemand Cara half.
»Was ist mit ihr passiert?« fragte er aus dem Schatten seiner Kapuze heraus, mit einer Stimme, die fast ebenso tief und dunkel war.
»Sie hatte die Kontrolle über den Mann, der –«
»Er hatte die Gabe? Sie war mit ihm verbunden?«
»Ja«, antwortete Kahlan. »So nannte sie es.« Aus seiner Kehle löste sich ein Grunzen, als wollte er sich die Information gedanklich einverleiben. »Wie sich herausstellte, war der Mann von einem Traumwandler besessen und –«
»Was ist ein Traumwandler?«
»Soweit ich verstanden habe, jemand, der in den Verstand eines anderen eindringen kann, indem er in die Zwischenräume seiner Gedanken schlüpft. Auf diese Weise kann er den Betreffenden beherrschen. Er hatte insgeheim von diesem Mann Besitz ergriffen, mit dem sie verbunden war.«
Er dachte einen Augenblick lang nach. »Verstehe. Fahrt fort!«
»Wir kamen hier herunter, um den Mann zu verhören –«
»Um ihn zu foltern.«
Kahlan atmete gereizt durch. »Nein. Ich erklärte Cara, daß wir ihn nur befragen wollten, um, wenn möglich, Antworten zu erhalten. Der Mann war ein gedungener Mörder, den man geschickt hatte, um Lord Rahl zu töten. Und wenn er diese Fragen nicht beantwortet hätte, dann wäre Cara bereit gewesen, zu tun, was immer sie tun mußte, um an diese Antworten zu kommen – und um Lord Rahl zu schützen.
Aber soweit kam es gar nicht. Wir fanden heraus, daß dieser Traumwandler die Kontrolle über den Zauberer hatte und über seine Gabe. Der Traumwandler benutzte die Gabe des Mannes, um in das Gestein hinter Euch eine Prophezeiung zu schreiben.«
Der Heiler drehte sich nicht mal um. »Und weiter?«
»Dann wollte er fliehen. Cara hat versucht, ihn aufzuhalten –«
»Über ihre Verbindung?«
»Ja. Sie stieß einen Schrei aus, wie ich ihn noch nie zuvor gehört hatte, hielt sich die Ohren zu und brach zusammen.« Kahlan deutete mit dem Kopf auf Nadine. »Diese Frau und ich haben den Mann verfolgt. Glücklicherweise haben wir ihn erwischt. Er kam zu Tode. Als wir zurückkamen, fanden wir Cara auf dem Fußboden vor. Sie wand sich in Krämpfen.«
»Ihr hättet sie nicht alleine lassen dürfen. Sie hätte an ihrem Erbrochenen ersticken können.«
Kahlan preßte die Lippen aufeinander und schwieg. Ihr Gegenüber stand einfach da und sah zu, wie Cara sich schüttelte.
Schließlich riß ihr der Geduldsfaden. »Sie ist eine der persönlichen Leibwächterinnen von Lord Rahl. Wir brauchen sie. Habt Ihr die Absicht, Ihr zu helfen, oder wollt Ihr einfach nur rumstehen?«