»Als ich sie verließ, ruhte sie sich gerade aus. Sie wird sich wieder erholen. Ihre Verletzungen waren nicht ernsthaft, nicht so ernsthaft, wie sie leicht hätten sein können. Wenn man bedenkt, was passiert ist, kann sie von Glück reden, daß sie noch lebt. Wenn man bedenkt, daß sie überhaupt erst gar nicht hinunter zu Marlin hätte gehen dürfen, wenn man bedenkt, daß ich Euch ausdrücklich gesagt habe, niemand von Euch solle die Grube betreten.«
Cara schloß die Augen. »Es war allein mein Fehler, Lord Rahl. Ich war es, die sie dazu überredet hat. Ich wollte Marlin verhören. Sie hat versucht, mich davon abzuhalten. Sie kam nur mit, um darauf zu achten, daß ich ihn in Frieden lasse, wie Ihr es befohlen hattet.«
Wäre Richard nicht so wütend gewesen, hätte er womöglich gelacht. Selbst wenn Kahlan ihm die Wahrheit nicht gestanden hätte, so kannte er Cara gut genug, um ihre Beichte als pure Erfindung abzutun. Er wußte zudem auch, daß Cara sich nicht besonders angestrengt hatte, um Kahlan von dem Meuchelmörder fernzuhalten.
»Ich dachte, ich hätte ihn unter Kontrolle. Ich habe einen Fehler gemacht.«
Richard beugte sich nach vorne. »Hatte ich Euch nicht ausdrücklich gesagt, daß ich nicht will, daß eine von Euch dort runtergeht?«
Ihre Schultern bebten, als sie gesenkten Kopfes nickte.
»Ja, Lord Rahl.«
»War Euch in irgendeiner Weise unklar, wie ich das meinte?«
»Nein, Lord Rahl.«
Richard lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Das war der Fehler, Cara. Versteht Ihr das? Nicht, daß Ihr keine Kontrolle über ihn hattet – das überstieg Eure Fähigkeiten. Dort hinabzusteigen war eine Entscheidung, die Ihr selbst getroffen habt. Darin bestand Euer Fehler.
Ich liebe Kahlan mehr als alles andere auf dieser oder irgendeiner anderen Welt. Nichts ist mir so wertvoll. Ich habe darauf vertraut, daß Ihr sie beschützt, daß Ihr für ihre Sicherheit sorgt.«
Das Licht, das durch das Scherengitter drang, spielte in Tupfern über ihre rote Lederkleidung – wie Sonnenschein, der durch ein Blätterdach fällt.
»Lord Rahl«, sagte sie kleinlaut, »ich bin mir über das Ausmaß meines Fehlers und seine Bedeutung vollkommen im klaren.
Lord Rahl, würdet Ihr mir eine Bitte gewähren?«
»Die wäre?«
Sie fiel auf die Knie und beugte sich flehend nach vorn. Sie nahm ihren Strafer und hielt ihn in beiden Händen.
»Darf ich die Art meiner Hinrichtung wählen?«
»Was?«
»Eine Mord-Sith trägt bei ihrer Hinrichtung stets ihre rote Lederkleidung. Hat sie bis dahin ehrenhaft gedient, erhält sie die Erlaubnis, die Art ihrer Hinrichtung selbst zu wählen.«
»Und wofür würdet Ihr Euch entscheiden?«
»Für meinen Strafer, Lord Rahl. Ich weiß, ich habe Euch enttäuscht – ich habe ein unverzeihliches Verbrechen begangen – aber in der Vergangenheit habe ich ehrenvoll gedient. Bitte! Erlaubt, daß es mit meinem Strafer geschieht. Das ist mein einziger Wunsch. Entweder Berdine oder Raina kann die Hinrichtung durchführen. Sie wissen, wie.«
Richard kam um den Tisch herum. Er lehnte sich an dessen Kante und sah hinab auf Caras zusammengesunkene, bebende Gestalt. Er verschränkte die Arme.
»Abgelehnt.«
Ihre Schultern erbebten, als sie zu schluchzen begann. »Darf ich fragen, für was Lord Rahl sich … entscheiden wird?«
Fast zärtlich sagte er: »Seht mich an, Cara.« Ihr tränenverschmiertes Gesicht kam hoch. »Ich bin wütend, Cara, aber ganz gleich, wie wütend ich zuvor war, nie, niemals würde ich eine von euch hinrichten lassen.«
»Ihr müßt. Ich habe Euch enttäuscht. Ich habe Euren Befehl mißachtet, Eure Geliebte zu beschützen. Ich habe einen unverzeihlichen Fehler begangen.«
Richard mußte lächeln. »Ich weiß nicht, ob es Fehler gibt, die unverzeihlich sind. Verrat ist vielleicht unverzeihlich, ein Fehler jedoch nicht. Wenn wir damit anfangen wollten, Menschen für ihre Fehler hinzurichten, dann, so fürchte ich, wäre ich schon lange tot. Ich mache ständig Fehler. Einige davon waren ziemlich schwerwiegend.«
Sie schüttelte den Kopf und sah ihm staunend ins Gesicht. »Eine Mord-Sith weiß, wann sie es verdient hat, hingerichtet zu werden. Ich habe es verdient.« Er bemerkte die eiserne Entschlossenheit in diesen blauen Augen. »Entweder führt Ihr sie durch, oder ich werde es tun.«
Richard stand eine Weile da und versuchte abzuschätzen, an welche Pflichten eine Mord-Sith gebunden sein mochte. Versuchte, den Wahnsinn in diesen Augen abzuschätzen.
»Sehnt Ihr Euch nach dem Tod, Cara?«
»Nein, Lord Rahl. Seit Ihr unser Lord Rahl seid, überhaupt nicht mehr. Deswegen muß ich es tun. Ich habe Euch enttäuscht. Eine Mord-Sith lebt und stirbt nach einem strengen Pflichtenkodex ihrem Herrn gegenüber. Weder Ihr noch ich könnt verhindern, was geschehen muß. Mein Leben ist verwirkt. Ihr müßt die Hinrichtung durchführen, oder ich werde es tun.«
Richard wußte, daß sie nicht um Mitgefühl buhlen wollte. Mord-Sith blufften nicht. Wenn es ihm nicht irgendwie gelang, ihre Meinung zu ändern, würde sie tun, was sie sagte.
Dies wissend und aus der daraus folgenden, widerwärtigen Erkenntnis heraus, daß es seine einzige Wahl war, tat er den geistigen Sprung von der Klippe des gesunden Menschenverstandes hinab in den Wahnsinn, wo ein Teil des Verstandes dieser Frau und, wie er fürchtete, auch des seinen heimisch war.
Die Entscheidung war gefallen, so unwiderruflich wie ein Herzschlag.
Die Muskeln angesichts der Unwiderruflichkeit gespannt, zog er sein Schwert. Das leise, unverwechselbare Klirren von Stahl erklang im Raum und fuhr ihm in die Knochen.
Dieser scheinbar einfache Vorgang setzte den Zorn des Schwertes frei. Der Riegel des Tors zum Tod war zurückgezogen. Es raubte ihm den Atem wie eine Wand aus Säuredampf. Aus diesem Wind erhob sich ein Sturm des Zorns.
»Dann«, erklärte er ihr, »soll Magie zu Eurem Richter und zu Eurem Henker werden.«
Sie kniff krampfhaft die Augen zu.
»Seht mich an!«
Der Zorn des Schwertes durchfuhr ihn und wollte ihn mit sich fortreißen. Er mußte kämpfen, nicht die Beherrschung zu verlieren, wie stets, wenn er der Raserei freien Lauf ließ.
»Ihr werdet mir in die Augen sehen, während ich Euch töte!«
Sie öffnete die Augen. Sie runzelte die Stirn, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Alles Gute, das sie je getan hatte, alle Tapferkeit im Anblick der Gefahr, jedes Opfer, das sie für ihre Pflicht erbracht hatte, war ihr durch ihre Schande genommen. Man hatte ihr die Ehre eines Todes durch ihren eigenen Strafer verwehrt. Aus diesem Grund, und allein aus diesem Grund, weinte sie.
Richard preßte die rasiermesserscharfe Schneide gegen seinen Unterarm und gab der Klinge ihren Vorgeschmack auf das Blut. Er legte das Schwert der Wahrheit an seine Stirn, berührte seine Haut mit dem kalten Stahl und dem warmen Blut.
Er sprach die beschwörenden Worte. »Klinge, sei mir heute treu.«
Dies war der Mensch, der ihn mit seiner Vermessenheit, und nur durch Glück letztendlich doch nicht, fast um Kahlan gebracht hätte. Ihn um alles gebracht hätte.
Sie verfolgte, wie sich die Klinge über ihm erhob. Sie sah das Ungestüm, den gerechten Zorn in seinen Augen. Sie sah die Magie, die dort aufblitzte.
Sie sah den Tod, der in ihnen funkelte.
Die Knöchel seiner beiden Fäuste waren weiß, so fest hielt er das Heft.
Er wußte, daß er der Magie ihren Willen nicht abschlagen konnte – wenn er eine Chance haben wollte. Er ließ dem Zorn über diese Frau freien Lauf, weil sie ihre Pflicht, Kahlan zu beschützen, verletzt hatte. Ihre Anmaßung hätte Kahlan das Leben und ihn die Zukunft kosten, ihm seine Daseinsberechtigung nehmen können. Er hatte seine größte Liebe ihrer Obhut anvertraut, und sie hatte sein Vertrauen nicht gerechtfertigt.
Er hätte zurückkommen und Kahlan tot vorfinden können, wegen ebendieser Frau, die hier vor ihm auf den Knien lag. Aus keinem anderen Grund.