»Ja, aber ich hatte Angst um dich und wollte einfach –«
»Du hast es gegen meinen ausdrücklichen Wunsch getan. Welche Gründe du auch hattest, du tatest es gegen meinen Willen, habe ich nicht recht?« Sie nickte an seiner Brust. »Das könnte der Verrat aus der Prophezeiung sein. Du wurdest verwundet, warst voller Blut. Du hast mich verraten, und du hattest Blut an dir. Dein Blut.«
»Das, was ich getan habe, würde ich nicht als Verrat bezeichnen. Ich tat es für dich, weil ich dich liebe und weil ich Angst um dich hatte.«
»Verstehst du denn nicht? Die Worte einer Prophezeiung bedeuten nicht unbedingt das, was sie zu besagen scheinen. Im Palast der Propheten, in der Alten Welt, haben sowohl Warren als auch Nathan mich gewarnt, daß Prophezeiungen nicht so gedacht sind. Die Worte stehen nur in einem verborgenen Zusammenhang mit der Prophezeiung.«
»Aber ich begreife nicht, wie –«
»Ich versuche dir nur zu erklären, daß es so etwas Einfaches sein könnte. Man darf eine Prophezeiung nicht die Kontrolle über die eigenen Ängste gewinnen lassen. Tu das nicht.«
»Zedd hat etwas Ähnliches gesagt. Er meinte, es gebe Prophezeiungen über mich, die er mir nicht verraten wolle, weil man sich nicht auf die Worte verlassen könne. Er meinte, du hättest richtig gehandelt, die Worte einer Prophezeiung zu ignorieren. Aber dieser Fall liegt anders, Richard. Hier steht, daß ich dich verraten werde.«
»Ich sagte dir doch schon, vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung.«
»Blitze sind nichts Einfaches. Wenn man von einem Blitz getroffen wird, dann ist das ein Symbol dafür, daß man getötet wird, wenn nicht sogar ein klarer Hinweis auf die Todesart. In der Prophezeiung heißt es, ich würde dich verraten und deswegen würdest du sterben.«
»Das glaube ich nicht. Ich liebe dich, Kahlan. Ich weiß, daß das unmöglich ist. Du würdest mich nicht verraten oder mir Schaden zufügen. Das würdest du nicht tun.«
Kahlan krallte sich in sein Hemd und schluchzte. »Deswegen schickte Shota Nadine. Damit du eine andere heiratest, weil sie weiß, daß ich dein Untergang wäre. Shota versucht dich zu retten – vor mir.«
»Das glaubte sie schon einmal, und dann stellte sich heraus, daß sie sich geirrt hatte. Erinnerst du dich noch? Hätte Shota ihren Willen bekommen, hätten wir Darken Rahl niemals Einhalt gebieten können. Er wäre jetzt unser aller Herrscher, wenn wir uns ihrer Auslegung der Zukunft gefügt hätten. Mit den Prophezeiungen verhält es sich nicht anders.« Richard faßte sie bei den Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Liebst du mich?«
Ihre verletzte Schulter summte vor Schmerz, als er sie dort berührte, sie weigerte sich aber, sich aus seinem Griff zu lösen. »Mehr als mein eigenes Leben.«
»Dann vertraue mir. Ich werde nicht zulassen, daß die Prophezeiung uns vernichtet. Am Ende wird sich alles zum Besten wenden, du wirst sehen. Wir können nicht über die Lösung nachdenken, solange wir uns auf das Problem konzentrieren.«
Sie rieb sich die Augen. Er klang so selbstsicher. Seine Zuversicht beruhigte sie und gab ihr Auftrieb. »Du hast recht. Entschuldige.«
»Willst du mich heiraten?«
»Natürlich, aber ich wüßte nicht, wie wir uns so lange aus der Verantwortung stehlen können, um abzureisen und –«
»Die Sliph.«
Sie machte ein ungläubiges Gesicht. »Die was?«
»Die Sliph, oben in der Burg der Zauberer. Ich habe darüber nachgedacht. Wir sind in ihr, mit ihrer Magie, den ganzen Weg in die Alte Welt und zurück gereist, und es hat jeweils weniger als einen Tag gedauert. Ich kann die Sliph wecken, und wir können in ihr reisen.«
»Doch sie würde uns in die Alte Welt bringen, nach Tanimura. Und dort, in der Nähe von Tanimura, hält sich Jagang auf.«
»Das ist trotzdem noch viel näher bei den Schlammenschen als Aydindril. Außerdem glaube ich, daß die Sliph auch an andere Orte reisen kann. Sie fragte mich, wohin ich reisen wolle. Demnach kann sie auch andere Ziele aufsuchen, möglicherweise eins, das viel näher an den Schlammenschen liegt.«
Kahlan, die über die Aussicht auf eine rasche Hochzeit ihre Tränen vergessen hatte, warf einen Blick hinauf zur Burg der Zauberer. »Wir könnten zu den Schlammenschen reisen, getraut werden und in wenigen Tagen wieder zurück sein. So lange können wir bestimmt von hier fortbleiben.«
Richard nahm sie lächelnd von hinten in die Arme. »Bestimmt.«
Kahlan wischte sich die letzte Träne fort und drehte sich in seinen Armen um. »Wie schaffst du es nur immer wieder, dir so etwas auszudenken?«
Er deutete mit einem Nicken auf ihr Bett. »Ich hatte einen sehr starken Beweggrund.«
Kahlan, deren Gesicht sich zu einem Schmunzeln verzog, wollte ihn gerade mit einer eindeutigen Unschicklichkeit belohnen, als es an der Tür klopfte. Sie ging sofort auf, ohne daß jemand geantwortet hätte. Nancy steckte den Kopf herein.
»Alles in Ordnung, Mutter Konfessor?« Sie warf einen bedeutungsschwangeren Blick auf Richard.
»Ja. Was gibt es?«
»Fräulein Nadine läßt fragen, ob sie den Umschlag wechseln dürfte.«
»Ach, tatsächlich?« erwiderte Kahlan mit düsterem Unterton.
»Ja, Mutter Konfessor. Aber wenn es Euch … ungelegen kommt, könnte ich sie bitten, zu warten, bis –«
»Bittet sie nur herein«, sagte Richard.
Nancy zögerte. »Ihr werdet das Oberteil Eures Kleides ablegen müssen, Mutter Konfessor. Um an den Umschlag heranzukommen.«
»Das ist schon in Ordnung«, flüsterte Richard in Kahlans Ohr. »Ich muß gehen und mit Berdine sprechen. Ich habe Arbeit für sie.«
»Ich hoffe, es hat nichts mit Pferdemist zu tun.«
Richard feixte. »Nein. Ich möchte, daß sie an Kolos Tagebuch arbeitet.«
»Warum?«
Er gab ihr einen Kuß auf den Scheitel. »Wissen ist eine Waffe. Ich habe die Absicht, vortrefflich gewappnet zu sein.« Er sah zu Nancy hinüber. »Braucht Ihr mich noch, damit ich Euch bei ihrem Kleid helfe?«
Nancy brachte es fertig, gleichzeitig eine böse Miene zu ziehen und rot zu werden.
»Ich nehme an, das heißt, Ihr kommt allein zurecht.« An der Tür wandte er sich noch einmal zu Kahlan um. »Ich werde warten, bis Nadine mit dir fertig ist, dann sollten wir diesen Drefan aufsuchen. Für ihn habe ich ebenfalls Arbeit. Ich hätte … dich gerne dabei.«
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, strich Nancy sich das kurze braune Haar zurück und trat zu Kahlan, um ihr mit dem Kleid zu helfen. »Das Kleid, das Ihr gestern getragen habt, war so zerschlissen, daß es nicht mehr zu flicken war.«
»Das dachte ich mir.« Konfessoren besaßen eine Reihe von Kleidern, die alle völlig gleich waren. Konfessoren trugen Schwarz, nur die Mutter Konfessor trug Weiß. Sie mußte an das blaue Hochzeitskleid denken, das sie tragen würde. »Nancy, könnt Ihr Euch noch erinnern, wie Euer Gatte Euch den Hof machte?«
Nancy hielt inne. »Ja, Mutter Konfessor.«
»Dann müßt Ihr wissen, wie Ihr Euch gefühlt hättet, wenn ständig jemand hereingekommen wäre, sobald Ihr mit ihm allein wart.«
Nancy zog das Kleid über Kahlans Schultern. »Ich durfte vor unserer Hochzeit nicht mit ihm allein sein, Mutter Konfessor. Ich war jung und unwissend. Meine Eltern handelten richtig, als sie über mich und meine jugendliche Sprunghaftigkeit wachten.«
»Ich bin eine erwachsene Frau, Nancy. Ich bin die Mutter Konfessor. Ich kann nicht zulassen, daß Ihr und die anderen Frauen ständig den Kopf in mein Schlafzimmer steckt, sobald Richard bei mir ist. Au!«
»Entschuldigung. Das war meine Schuld. Es ist nicht richtig, Mutter Konfessor.«
»Darüber zu entscheiden ist meine Angelegenheit.«
»Wenn Ihr meint, Mutter Konfessor.«
Kahlan streckte den Hals aus, während Nancy ihr das Kleid über den Ärmel stülpte. »Ich meine das ernst.«
Nancy warf einen kurzen Blick auf das Bett. »In diesem Bett wurdet Ihr gezeugt. Wer weiß, wie viele Mütter Konfessor schon ihre Töchter hier empfangen haben. Ihr müßt eine vererbte Tradition fortsetzen. Nur verheiratete Mütter Konfessor nahmen ihre Männer mit in dieses Bett, um ein Kind zu empfangen.«