»Damals sah ich diesen Blick in Richards Augen zum ersten Mal. Er sagte kein Wort. Er machte einfach kehrt und ging hinaus.«
Nadine fuhr sich mit der Hand unters Haar, das ihr Gesicht umgab, und wischte sich damit schniefend über die Nase. »Ich dachte, mir würde wenigstens Michael bleiben. Der lachte mich aus, als ich ihm sagte, er hätte mir einen Antrag gemacht. Er lachte bloß. Danach wollte er nie wieder mit mir Zusammensein. Er hatte bekommen, was er wollte. Danach war ich ihm nicht mehr von Nutzen. Er ging zu anderen Mädchen.«
»Aber wenn Ihr bereit gewesen wart … Gütige Seelen, warum habt Ihr nicht einfach Richard verführt?«
»Weil ich befürchtete, er würde genau das erwarten und hätte sich schon dagegen gewappnet. Ich war nicht das einzige Mädchen, mit dem er tanzen ging. Ich hatte Angst, er wollte sich nicht festlegen; wenn ich einfach versuchte, ihn zu verführen, war er vielleicht darauf vorbereitet und würde mich abweisen. Ich hatte ein Gerücht gehört, daß Bess Pratter es darauf angelegt hätte. Offenbar hatte sie keinen Erfolg gehabt. Ich hatte Angst, der Anstoß wäre nicht stark genug.
Ich hoffte, daß die Eifersucht ihn zu einer Entscheidung zwingen würde. Mein Plan, so dachte ich, würde ihn so überraschen, daß er einfach vor Eifersucht und Lust den Kopf verlöre und dann mir gehörte. Ich hatte gehört, es gebe bei einem Mann keinen mächtigeren Antrieb als Eifersucht und Lust.«
Nadine strich sich das Haar mit beiden Händen zurück. »Ich kann gar nicht glauben, daß Richard Euch davon erzählt hat. Ich dachte, er würde niemals jemandem davon erzählen.«
»Hat er auch nicht«, gab Kahlan tonlos zurück. »Richard starrte mich bloß an, als ich ihm sagte, Ihr hättet erzählt, er habe Euch dabei erwischt, wie Ihr seinen Bruder küßt. Er hat mir nichts erzählt. Das habt Ihr gerade ganz von selbst getan.«
Nadine ließ das Gesicht in die Hände sinken.
»Ihr seid vielleicht mit Richard aufgewachsen, aber Ihr habt ihn nicht besonders gut gekannt. Gütige Seelen, Ihr hattet nicht die geringste Ahnung, wie er wirklich war.«
»Es hätte klappen können. Ihr wißt längst nicht soviel, wie Ihr meint. Richard ist ein einfacher Junge aus Kernland, der nie etwas besessen hat und der sich den Kopf von schönen Dingen und Menschen, die tun, was er sagt, hat verdrehen lassen. Deswegen hätte der Plan gelingen können – weil er einfach will, was er sieht. Ich wollte ihm nur helfen zu erkennen, was ich zu bieten hatte.«
Kahlan dröhnte der Kopf. Sie kniff sich in den Nasenrücken und schloß die Augen.
»Nadine, die Gütigen Seelen sind meine Zeugen, Ihr müßt so ungefähr die dümmste Frau sein, die mir je begegnet ist.«
Nadine sprang auf. »Ihr haltet mich für dumm? Ihr liebt ihn. Ihr begehrt ihn.« Sie tippte sich mit dem Finger an die eigene Brust. »Ihr wißt, wie es sich hier drinnen anfühlt, wenn man ihn begehrt. Ich habe ihn nicht weniger begehrt als Ihr. Wenn Ihr müßtet, würdet Ihr dasselbe versuchen. Ihr würdet in diesem Augenblick, so gut Ihr ihn auch kennt, dasselbe tun, wenn Ihr der Meinung wärt, es sei Eure einzige Chance. Eure einzige Chance! Jetzt erzählt mir nur nicht, Ihr würdet so etwas nicht tun!«
»Nadine«, antwortete Kahlan ruhig, »Ihr habt von Liebe nicht die geringste Ahnung. Es geht nicht darum, sich zu nehmen, was man haben will. Es geht darum, das Glück für den zu wollen, den man liebt.«
Die andere Frau beugte sich mit giftigem Gesichtsausdruck vor. »Ihr würdet dasselbe tun wie ich, wenn Ihr müßtet!«
Die Worte aus der Prophezeiung gingen Kahlan durch den Kopf.
Im Blitzgewitter wird man ihn auf diesem Pfad sehen können, denn die Frau in Weiß, seine wahre Liebe, wird ihn in ihrem Blut verraten…
»Ihr täuscht Euch, Nadine, das würde ich nicht. Um nichts in der Welt würde ich riskieren, daß Richard ein Leid geschieht. Um keinen Preis. Ich würde ein Leben in Elend und Einsamkeit auf mich nehmen, ehe ich das zuließe. Ich würde ihn sogar eher Euch überlassen, als ihm weh zu tun.«
17
Kahlan sah Nadine noch hinterher, die wütend durch den Flur davon stürmte, als eine atemlose, strahlende Berdine ganz aufgeregt vor ihr stehenblieb.
»Mutter Konfessor, Lord Rahl möchte, daß ich die ganze Nacht aufbleibe und für ihn arbeite. Ist das nicht wunderbar?«
Kahlan zuckte mit den Brauen. »Ganz wie Ihr meint, Berdine.«
Berdine eilte strahlend in dieselbe Richtung weiter, in die auch Nadine gelaufen war. Auf der anderen Seite des Ganges, ein Stück entfernt, redete Richard auf eine Gruppe von Soldaten ein. Hinter den Soldaten, wiederum ein Stück weiter den Gang hinauf, standen Cara und Egan und sahen zu.
Richard bemerkte Kahlan, ließ die Wachen stehen und kam zu ihr. Als er sie erreicht hatte, krallte sie eine Faust in sein Hemd und nahm ihn sich zur Brust.
»Beantworte mir eine Frage, Richard«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
»Was ist denn?« fragte Richard unschuldig erstaunt.
»Warum bist du je mit dieser Hure tanzen gegangen?«
»So habe ich dich noch nie reden hören, Kahlan.« Richard warf einen Blick in die Richtung, in die Nadine entschwunden war. »Wie hast du sie dazu gebracht, daß sie dir davon erzählt?«
»Ich habe sie ausgetrickst.«
Richard lächelte verschmitzt. »Du hast ihr gesagt, ich hätte dir die Geschichte erzählt, hab' ich recht?«
Sie nickte nur, und sein Lächeln wurde breiter. »Ich habe einen schlechten Einfluß auf dich.«
»Tut mir leid, Richard, daß ich sie gebeten habe hierzubleiben. Davon wußte ich nichts. Sollte ich Shota jemals in die Finger bekommen, werde ich sie erwürgen. Verzeih mir.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen. Meine Gefühle waren mir einfach dabei im Weg, das zu erkennen. Es war richtig von dir, sie zu bitten hierzubleiben.«
»Bist du sicher, Richard?«
»Sowohl Shota als auch die Prophezeiung erwähnen den ›Wind‹. Dabei spielt Nadine irgendeine Rolle. Sie muß erst einmal hierbleiben. Ich werde sie besser bewachen lassen, damit sie nicht abreist.«
»Wir brauchen keine Wachen. Nadine wird nicht abreisen.«
»Wieso bist du da so sicher?«
»Geier geben niemals auf. Sie kreisen, solange sie glauben, daß es Knochen geben wird, die man abnagen kann.« Kahlan sah nach hinten in den menschenleeren Flur. »Sie hatte tatsächlich die Frechheit, mir zu sagen, ich hätte an ihrer Stelle ebenso gehandelt.«
»Nadine tut mir ein bißchen leid. Sie hat auch ihre guten Seiten, aber was wahre Liebe ist, wird sie wohl nie erfahren.«
Kahlan spürte seine Wärme in ihrem Rücken. »Wie konnte Michael dir so was antun? Wie konntest du ihm je vergeben?«
»Er war mein Bruder«, meinte Richard leise. »Ich hätte ihm alles vergeben. Eines Tages werde ich vor den Guten Seelen stehen. Ich möchte ihnen keinen Grund liefern zu sagen, ich sei nicht besser gewesen.
Was er jedoch anderen angetan hat, das konnte ich ihm nie verzeihen.«
Sie legte ihm die Hand tröstend auf den Arm. »Ich glaube, jetzt verstehe ich, warum du willst, daß ich dich zu Drefan begleite. Die Seelen haben dich mit Michael auf eine harte Probe gestellt. Ich denke, du wirst feststellen, daß Drefan ein besserer Bruder ist. Er ist vielleicht ein wenig arrogant, aber er ist ein Heiler. Außerdem dürfte es schwer sein, zwei so schlechte Menschen zu finden.«
»Nadine ist auch eine Heilerin.«
»Nicht, verglichen mit Drefan. Seine Begabung grenzt an Magie.«
»Glaubst du, er besitzt Magie?«
»Ich glaube nicht, allerdings kann ich das unmöglich genau sagen.«
»Ich werde es spüren. Falls er Magie besitzt, werde ich es erfahren.«
Die Wachen auf ihren Posten in der Nähe des Salons der Mutter Konfessor salutierten, nachdem Richard ihnen Anweisungen gegeben hatte. Kahlan blieb an seiner Seite, während sie den Flur entlanggingen. Cara richtete sich auf, als Richard kurz vor ihr stehenblieb. Selbst Egan reckte erwartungsvoll den Kopf. Cara sah müde und elend aus, fand Kahlan.
»Cara«, sagte Richard schließlich, »ich werde jetzt diesen Heiler aufsuchen, der Euch gerettet hat. Wie ich hörte, ist er ebenfalls ein unehelicher Sohn von Darken Rahl, genau wie ich. Warum begleitet Ihr mich nicht? Ich hätte nichts dagegen, eine … gute Freundin dabeizuhaben.«