»Nicht ganz. Ihr seid der mit der Gabe gesegnete Erbe Darken Rahls. Ein entscheidender Unterschied, Lord Rahl.«
»Mit der Gabe gesegnet? Darken Rahl hat meine Mutter vergewaltigt. Ich hatte oft Grund, meine Magie als Fluch zu betrachten.«
Drefan nickte respektvoll. »Ganz wie Ihr wollt, Lord Rahl. Aber Darken Rahl betrachtete seine Nachkommen mit anderen Augen als Ihr. Für ihn gab es einerseits den Erben und andererseits nur nutzlose Schwächlinge. Ihr seid sein Erbe, ich bin nur einer der nutzlosen Schwächlinge.
Die üblichen Dinge, die man mit dem Akt der Zeugung in Verbindung bringt, waren für den Herrscher D'Haras nicht von Belang. Frauen waren … einfach dazu da, um ihm Vergnügen zu bereiten oder seine Leibesfrucht auszutragen. Die, die eine minderwertige Leibesfrucht empfingen – die ohne Gabe –, waren in seinen Augen unfruchtbares Land. Selbst Eure Mutter wäre, nachdem sie diese kostbare Leibesfrucht ausgetragen hatte, für ihn nicht wichtiger gewesen als der Dreck in seinem Lieblingsgarten.«
Richard nahm eine steife Haltung an. »Er hat meine Geschwister getötet?«
»So ist es, Lord Rahl«, bestätigte Cara. »Nicht methodisch, sondern eher seiner üblen Laune folgend.«
»Von diesen anderen Kindern weiß ich nichts. Bis zum vergangenen Herbst wußte ich nicht einmal, daß er mein Vater ist. Wie kommt es, daß du noch lebst?« fragte er Drefan.
»Meine Mutter wurde nicht…« Drefan hielt inne und suchte nach einem unverfänglichen Weg, es auszudrücken. »Meine Mutter erfuhr nicht eine so unglückliche Behandlung wie Eure hochgeschätzte Mutter, Lord Rahl.
Meine Mutter war eine Frau voller Ehrgeiz und Habgier. Sie sah in unserem Vater ein Mittel, an gesellschaftlichem Rang zu gewinnen. Wie ich habe erzählen hören, hatte sie ein hübsches Gesicht und einen schönen Körper und gehörte zu den wenigen, die mehrfach in sein Schlafgemach gerufen wurden. Die meisten konnten sich dessen nicht rühmen. Offenbar gelang es ihr, seinen Appetit auf ihre Reize zu entwickeln. Um es rundheraus zu sagen, sie war eine begabte Hure.
Sie hoffte, diejenige zu sein, die ihm den mit der Gabe gesegneten Erben schenkt, um in ihrem gesellschaftlichen Rang noch ein wenig höher aufzusteigen.
Das ist ihr nicht gelungen.« Drefans Wangen erröteten. »Sie bekam mich.«
»Das mag in ihren Augen ein Versagen gewesen sein«, erwiderte Richard mit ruhiger Stimme, »aber nicht in den Augen der Guten Seelen. Ihr seid in ihren Augen nicht geringer als ich.«
Drefan lächelte. »Vielen Dank, Lord Rahl. Sehr großzügig von Euch, den Guten Seelen das zuzugestehen, was ihnen immer schon gehörte. Nicht alle Menschen tun das. ›Deine Weisheit erfüllt uns mit Demut‹«, zitierte er aus der Andacht.
Drefan schaffte es, auf höfliche Weise Respekt zu zeigen, ohne unterwürfig zu werden. Er schien aufrichtig, voller Achtung zu sein, verlor dabei jedoch auch seine noble Haltung nicht. Anders als in der Grube war er sehr auf Höflichkeit bedacht, trotzdem strahlte er die Erhabenheit eines Rahl aus: Wie oft er sich auch verbeugte, an seinem sicheren Auftreten änderte das nichts. Und wie bei Richard, haftete seinem Auftreten eine angeborene Autorität an.
»Und was geschah dann?«
Drefan holte tief Luft. »Sie brachte mich als Säugling zu einem Zauberer, um mich testen zu lassen, in der Hoffnung, den mit der Gabe gesegneten Erben präsentieren zu können, der ihr Reichtum, Stellung und die katzbuckelnde Bewunderung von Darken Rahl einbringen würde. Hatte ich schon erwähnt, daß sie obendrein auch eine Närrin war?«
Richard antwortete nicht, und Drefan fuhr fort.
»Der Zauberer eröffnete ihr die schlechten Neuigkeiten: Ich war ohne die Gabe geboren worden. Statt den Paß in ein Leben voller Annehmlichkeiten in der Hand zu halten, war nun ihr Schicksal besiegelt. Darken Rahl war dafür bekannt, daß er solchen Frauen die Eingeweide aus dem Leib riß – Zoll für Zoll.«
»Offenbar«, sagte Richard, »gelang es Euch, ihm nicht weiter aufzufallen. Wie das?«
»Dafür war meine liebe Frau Mutter verantwortlich. Sie wußte, daß sie mich vielleicht würde aufziehen können, ohne je von ihm bemerkt oder getötet zu werden, aber sie wußte auch, daß dies ein hartes Leben werden würde, in dem man sich verstecken und bei jedem Klopfen an der Tür erschrecken mußte.
Statt dessen brachte sie mich, als ich kaum mehr als ein Säugling war, zu einer entlegenen Gemeinschaft von Heilern, damit diese mich unerkannt großziehen würden und mein Vater nichts von mir erführe.«
»Das muß schwer für sie gewesen sein«, stellte Kahlan fest.
Seine stechenden blauen Augen richteten sich auf sie. »Gegen ihren Kummer verschrieb sie sich ein wirksames Mittel, das wiederum von den Heilern bereitgestellt wurde: Bilsenkraut.«
»Bilsenkraut«, wiederholte Richard. »Bilsenkraut ist ein Gift.«
»Ja. Es wirkt schnell, hat aber die unangenehme Eigenschaft, dabei äußerst schmerzhaft zu sein.«
»Diese Heiler haben ihr Gift gegeben?« fragte Richard fassungslos.
Drefans raubvogelhafter Blick, in dem gleichzeitig etwas Warnendes lag, kehrte zu Richard zurück. »Es ist der Beruf eines Heilers, das verlangte Mittel bereitzustellen. Manchmal handelt es sich dabei um den Tod.«
»Da habe ich eine andere Vorstellung von einem Heiler«, sagte Richard, der den raubvogelhaften Blick auf gleiche Art erwiderte.
»Einem Menschen, der im Sterben liegt – ohne Hoffnung auf Besserung und unter großen Leiden – kann man nicht besser dienen als mit dem wohltätigen Akt, ihm beim Beenden seines Leidens behilflich zu sein.«
»Eure Mutter lag nicht ohne Hoffnung auf Besserung im Sterben.«
»Wenn Darken sie gefunden hätte, wäre ihr Leid vollkommen gewesen, um es vorsichtig auszudrücken. Ich weiß nicht, wieviel Ihr über Euren Vater wißt, aber er war für seinen Einfallsreichtum beim Bereiten von Schmerzen bekannt und dafür, daß er sie genüßlich in die Länge zog. Sie lebte in ständiger Angst vor diesem Schicksal. Das trieb sie fast in den Wahnsinn. Bei jedem Schatten brach sie in Tränen aus. Die Heiler konnten nichts tun, um ihr dieses Schicksal zu ersparen und sie vor Darken Rahl zu beschützen. Hätte Darken Rahl sie finden wollen, hätte er sie auch gefunden. Wäre sie bei den Heilern geblieben und dort entdeckt worden, hätte er sie allesamt erschlagen, weil sie sie versteckt hatten. Sie opferte ihr Leben, damit ich eine Chance hatte, meines zu leben.«
Kahlan zuckte zusammen, als das Holz im Kamin knackte. Drefan zeigte keine Regung, ebensowenig Richard.
»Das tut mir leid«, sagte Richard leise. »Mein Großvater brachte seine Tochter, meine Mutter, nach Westland, um sie vor Darken Rahl zu verbergen. Wahrscheinlich war auch er sich über die Gefahr im klaren, in der sie schwebte. Und ich.«
Drefan zuckte die Achseln. »Dann sind wir uns sehr ähnlich, Ihr und ich: Flüchtlinge vor unserem Vater. Nur, daß Ihr nicht getötet worden wärt.«
Richard nickte, wie zu sich selbst. »Er hat versucht, mich zu töten.«
Drefan runzelte neugierig die Stirn. »Tatsächlich? Erst will er einen mit der Gabe gesegneten Erben, und dann versucht er, ihn umzubringen?«
»Er wußte ebensowenig wie ich, daß er mich gezeugt hatte.« Richard kam zum Thema zurück. »Und was hatte das zu bedeuten, daß Ihr Frieden mit den Guten Seelen schließen wollt, für den Fall, daß Ihr heute noch zu ihnen geht?«
»Die Heiler, die mich aufzogen, haben mir nie verschwiegen, wer ich war. Seit ich denken kann, weiß ich, daß ich der uneheliche Sohn unseres Herrschers Vater Rahl bin. Ich lebte stets in der Gewißheit, daß er jeden Augenblick kommen und mich töten konnte. Jede Nacht betete ich zu den Guten Seelen und dankte ihnen für einen weiteren Tag ohne meinen Vater und ohne das, was er mir antun würde.«
»Hatten die Heiler keine Angst, daß er kommen und sie ebenfalls töten könnte, weil sie Euch versteckten?«
»Mag sein! Sie haben es stets abgestritten. Sie sagten, um sich selbst hätten sie keine Angst, sie könnten stets behaupten, ich sei ein Findelkind gewesen, dessen Eltern sie nicht kannten.«