Sie räusperte sich. »Aber … es wird doch sicher…«
»Nein. Wenn ich bleibe oder versuche Zedd aufzusuchen, sterbe ich. Die Prophezeiung bestätigt nicht, ob ich überlebe, wenn ich mit dir gehe, immerhin besagt sie, daß meine einzige Chance darin besteht, dich zu begleiten. Wenn du mich zwingst hierzubleiben, werde ich sterben. Wenn du versuchst, mich zu Zedd zu bringen, werde ich sterben. Wenn du möchtest, daß ich eine Überlebenschance habe, dann mußt du mich mitnehmen. Entscheide dich, Prälatin.«
Verna mußte schlucken. Als Schwester des Lichts, als Magierin, sah sie am trüben Blick in seinen Augen, wie sehr ihm die Kopfschmerzen der Gabe zusetzten. Sie wußte auch, daß Warren sie über eine Prophezeiung nicht anlügen würde. Er würde vielleicht irgendeinen Trick versuchen, um sie zu begleiten, eine falsche Prophezeiung würde er nicht benutzen.
Er war ein Prophet. Prophezeiungen bedeuteten sein Leben. Und vielleicht seinen Tod.
Sie ergriff seine Hände. »Besorg ein paar Vorräte und zwei Pferde. Ich werde gehen und Adie noch etwas sagen, dann muß ich mit meinen Beraterinnen sprechen und ihnen erklären, was sie zu tun haben, solange wir fort sind.«
Verna küßte seine Hand. »Ich lasse nicht zu, daß du stirbst, Warren. Dafür liebe ich dich zu sehr. Wir werden dies gemeinsam durchstehen. Ich bin nicht müde. Laß uns nicht bis morgen früh warten. Wir können in einer Stunde aufbrechen.«
Warren zog sie an sich und schloß sie voller Dankbarkeit in seine Arme.
24
Aus dem Schatten heraus sah er zu, wie der Mann mittleren Alters die Tür schloß und einen Augenblick in der Diele stehenblieb, um sein Hemd über den Kugelbauch zu ziehen und in die Hose zu stopfen. Der Mann lachte gutgelaunt in sich hinein, dann entfernte er sich schweren Schritts durch die Diele, stieg die Treppe hinunter und verschwand aus dem Blickfeld.
Es war spät. Erst in einigen Stunden würde die Sonne aufgehen. Wegen der rotgestrichenen Wände spendeten die Kerzen, die man vor versilberten Reflektoren zu beiden Seiten der schmalen Diele angebracht hatte, reichlich wenig brauchbares Licht. So mochte er es – wenn der tröstliche Deckmantel der Schatten in tiefster Nacht dem schändlichen Verlangen seine Stimmung verlieh.
Ausschweifungen gab man sich am besten nachts hin. Und im Dunkeln.
Er blieb eine Weile in der Stille der Diele stehen und kostete sein Verlangen aus. Er ließ seiner Lust freien Lauf und spürte, wie deren wollüstiger Schmerz ihn ganz erfüllte.
Er schloß den Mund und atmete durch die Nase, um all die Gerüche besser aufnehmen zu können, die ebenso übersinnlich wie beharrlich waren. Er zog die Schultern nach hinten und benutzte die Bauchmuskeln, um langsamer und tiefer einzuatmen.
Eine Vielzahl unterschiedlicher Düfte konnte er unterscheiden, angefangen bei den Gerüchen, die Männer mit hereinbrachten und wieder mit hinaus in ihren Alltag nahmen, die Gerüche ihrer Arbeit – nach Pferd, Ton, Getreidestaub, nach dem Wollfett, das die Soldaten zur Pflege ihrer Uniformen verwendeten, und dem Öl, das sie zum Schärfen ihrer Waffen benutzten, bis hin zu den zarten Spuren von Mandelöl und dem schalen Staub und dem feuchten Holz des Gebäudes.
Es war ein Fest auf ihn einströmender Sinnlichkeit, das eben erst begann.
Noch einmal blickte er kurz und prüfend die Diele entlang. Aus keinem der anderen Zimmer hörte er Geräusche der Lust. Es war spät, selbst für ein Etablissement wie dieses. Der fette, dickbäuchige Mann war wahrscheinlich der letzte gewesen, abgesehen von ihm selbst.
Er war gern der letzte. Die Klarheit der vor ihm liegenden Ereignisse, die zurückgebliebenen Gerüche bedrängten ihn mit einem Ansturm von Empfindungen. In diesem Zustand der Erregung waren seine Sinne stets geschärft, und er genoß jede Einzelheit.
Für einen Moment schloß er die Augen und spürte das Beben seines Verlangens. Sie würde ihm helfen. Sie würde sein sehnliches Begehren mehr als befriedigen, und aus diesem Grunde war er hier. Sie gab sich stets bereitwillig hin.
Andere Männer, wie der dickbäuchige Kerl, warfen sich einfach auf eine Frau, stöhnten kurz im Augenblick der Befriedigung, dann war es vorbei. Sie verschwendeten niemals einen Gedanken daran, was die Frau empfand, wonach es sie verlangte, oder daran, sie zu befriedigen. Diese Männer waren brünftige Tiere, unkundig aller Künste, die zum Höhepunkt für beide beitragen konnten. Ihr eifriger Blick, ihr Wollen war zu sehr auf das Objekt ihrer Lust gerichtet, und das, was zu echter Befriedigung führte, nahmen sie nicht wahr.
Das Flüchtige, das Vergängliche war es, das eine über die Sinne hinausreichende Erfahrung erzeugte. Dank einer ungewöhnlichen Wahrnehmung und seiner einzigartigen Bewußtheit gelang es ihm, solche vergänglichen Ereignisse einzufangen, sie auf ewig in seinem Gedächtnis zu speichern und so einer dem Wesen nach flüchtigen Befriedigung Dauer zu verleihen.
Er schätzte sich glücklich, daß er solche Dinge sah und daß zumindest er den Frauen Erfüllung schenken konnte.
Schließlich holte er tief Luft und schlich dann lautlos weiter durch den Flur. Dabei vermerkte er die Art und Weise, wie die Schatten und winzigen Lichtstrahlen, die von den versilberten Kerzenreflektoren zurückgeworfen wurden, über seinen Körper glitten. Er glaubte, vorausgesetzt, er wäre achtsam, eines Tages vielleicht die Berührung des Lichtes und der Dunkelheit spüren zu können.
Ohne anzuklopfen, öffnete er die Tür, aus der der dickbäuchige Mann gekommen war, trat in ihr Zimmer ein und stellte zufrieden fest, das es fast ebenso trüb beleuchtet war wie die Diele. Er schloß die Tür mit einem Finger.
Hinter der Tür war die Frau gerade dabei, ihren Schlüpfer über ihre Beine hochzustreifen. Sie machte die Knie breit und ging ein wenig in die Hocke, dann zog sie sie fest an ihren Körper. Als sie plötzlich den Blick ihrer himmelblauen Augen hob und ihn ansah, bestand ihre einzige Reaktion darin, daß sie die beiden Hälften ihres Morgenmantels über den Rest ihres nackten Körpers schlug und den Seidengürtel mit einer knappen Bewegung zwanglos zu einem losen Knoten band.
In der Luft stand der Geruch der heißen Kohlen in der wärmenden Kohlenpfanne unter dem Bett, der saubere Wohlgeruch von Seife, der sanfte Duft von Körperpuder und das widerwärtige Odeur eines Übelkeit erregenden, süßlichen Parfüms. Ganz wie die Dunkelheit, die Schatten formt, durchdrang all dies der in der Luft stehende scharfe Geruch der Lust, den die interessante Würze von Samenflüssigkeit noch unterstrich.
Das Zimmer hatte keine Fenster. Das Bett, bezogen mit fleckigen, zerwühlten Laken, hatte man in eine hintere Ecke geschoben. Obwohl es nicht groß war, nahm es einen Großteil des Zimmers ein. An der Wand neben dem Kopfende stand eine kleine, schlicht gearbeitete Fichtentruhe, vermutlich für persönliche Dinge. An der Wand über dem Kopf des Bettes hing eine Tuschzeichnung zweier in Leidenschaft vereinter Menschen. Sie überließ nichts der Phantasie.
Neben der Frau, hinter der Tür, stand auf einem wackelig aussehenden Schränkchen ein Waschbecken. Die weiße Schüssel wies am Rand eine nierenförmige Absplitterung auf und hatte einen Sprung, der wie eine Ader aussah, die von der Niere fortlief. Die Kleider, die über dem Beckenrand hingen, tropften noch. Das milchig trübe Wasser schwappte träge von einer Seite auf die andere. Sie hatte sich gerade gewaschen.
Sie hatten alle ihre Eigenheiten. Manche machten sich nicht die Mühe, sich zu waschen, aber das waren gewöhnlich die älteren, unattraktiven Frauen, die wenig Geld bekamen und die nur wenig scherte. Ihm war aufgefallen, daß die jüngeren, hübscheren, teureren Frauen sich nach jedem Mann wuschen. Er zog jene vor, die sich wuschen, bevor er zu ihnen kam, doch am Ende war ihm seine Lust wichtiger als derart banale Dinge.
Träge dachte er darüber nach, ob die, mit denen er zusammengewesen war und die keine Berufshuren waren, jemals einen Gedanken an diese Dinge verschwendeten. Vermutlich nicht. Er bezweifelte, ob andere Menschen sich über derart abseitige Dinge den Kopf zerbrachen. Andere achteten einfach nicht auf das Zusammenspiel der Einzelheiten.