»Botschafter Seidon, Mardovia liegt mitten in der östlichen Wildnis, nicht weit von der Alten Welt. Dort seid Ihr verwundbar.«
»Die Mauern, Mutter Konfessor, die unsere Mutterstadt Renwold umgeben, haben allen Prüfungen der Zeit standgehalten. Wie Ihr sagt, liegen wir mitten zwischen den Völkern der Wildnis. In der Vergangenheit haben diese Völker uns oft überfallen. Keinem ist auch nur gelungen, eine Bresche in die Mauern zu schlagen, erst recht nicht, unsere unerschütterlichen Verteidiger zu besiegen. Statt dessen treiben die verschiedenen Völker der Wildnis jetzt Handel mit uns, und mit Renwold ist in der östlichen Wildnis der Midlands ein Handelszentrum entstanden, das von allen respektiert wird, die uns einst erobern wollten.«
Kahlan beugte sich vor. »Die Imperiale Ordnung ist nicht irgendein Stamm der Wildnis, Botschafter. Sie wird Euch vernichten. Besitzt der Rat der Sieben nicht genug Verstand, das zu erkennen?«
Botschafter Seidon lächelte nachsichtig. »Ich verstehe Eure Sorge, Mutter Konfessor, aber wie ich schon sagte, die Mauern von Renwold leisteten uns gute Dienste. Seid versichert, Renwold wird nicht an die Imperiale Ordnung fallen.« Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Es wird auch nicht an diesen neuen Bund fallen, den Ihr zusammen mit D'Hara bildet.
Große Zahlen bedeuten nicht viel gegen einen Felsbuckel in der Wildnis. Ein Eroberer wird es schnell leid werden, sich die Zähne an einem so winzigen Brocken auszubeißen. Unsere geringe Größe, unsere Lage und unsere Mauern sorgen dafür, daß sich die Mühe nicht einmal ansatzweise lohnt. Schlössen wir uns Euch an, wären wir verwundbar, denn dann stünden wir für Widerstand.
Unsere Neutralität bedeutet keinerlei feindselige Absicht. Wir sind bereit, mit Eurem Bund Handel zu treiben, so wie wir bereit sind, mit der Imperialen Ordnung Handel zu treiben. Wir wünschen niemandem etwas Schlechtes, aber verteidigen werden wir uns selbst.«
»Botschafter Seidon, Eure Frau und Eure Kinder befinden sich in Renwold. Begreift Ihr nicht, in welcher Gefahr Eure Familie schwebt?«
»Meine geliebte Frau und die Kinder sind hinter den Mauern von Renwold in Sicherheit, Mutter Konfessor. Ich habe keine Angst um sie.«
»Werden Eure Mauern auch gegen Magie standhalten? Die Imperiale Ordnung setzt Zauberer ein! Oder hat Euch die Vergangenheit so trunken gemacht, daß Ihr die Bedrohung Eurer Zukunft nicht erkennt?«
Sein Gesicht hatte sich gerötet. »Der Beschluß des Rates der Sieben ist endgültig. Wir haben keine Angst um unsere Sicherheit. Auch bei uns gibt es Menschen, die über Magie verfügen und die die Mauern vor Magie schützen. Neutralität hat nichts Bedrohliches. Vielleicht solltet Ihr die Guten Seelen um Gnade bitten, schließlich seid Ihr es, die den Krieg will. Nach den Gesetzen der Gewalt zu leben, heißt sie herausfordern.«
Kahlan trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, während alles auf ihre Entgegnung wartete. Sie wußte, selbst wenn sie diesen Mann überzeugen konnte, würde dies nichts nützen. Der Rat der Sieben hatte seinen Beschluß gefaßt, und dieser Mann konnte ihn nicht abändern, selbst wenn er wollte.
»Botschafter Seidon, Ihr werdet Aydindril bis zum Ende des heutigen Tages verlassen haben. Ihr werdet zum Rat der Sieben in Renwold zurückkehren und ihm erklären, daß D'Hara Neutralität nicht anerkennt. In diesem Kampf geht es um unsere Welt – darum, ob sie im Licht gedeihen oder im Schatten der Tyrannei verdorren wird. Lord Rahl hat verfügt, daß niemand neutral bleiben kann. Ich habe verfügt, daß es für die Imperiale Ordnung keine Gnade geben wird. In diesem Punkt sind wir einer Meinung.
Ihr entscheidet Euch entweder für uns oder gegen uns. Die Imperiale Ordnung sieht das ebenso.
Erklärt dem Rat der Sieben, daß Mardovia von nun an gegen uns steht. Einer von uns beiden, entweder D'Hara oder die Imperiale Ordnung, wird Mardovia erobern. Weist den Rat an, zu den Guten Seelen zu beten und sie zu bitten, daß wir es sind, die Euch erobern und Renwold einnehmen, und nicht die Imperiale Ordnung. Wir werden für Euren Widerstand harte Sanktionen verhängen, doch Euer Volk wird überleben. Sollte die Imperiale Ordnung als erste über Euch herfallen, dann werden sie Eure Verteidiger vernichtend schlagen und Euer Volk versklaven. Mardovia wird nur noch Vergangenheit sein.«
Sein nachsichtiges Lächeln wurde breiter. »Seid unbesorgt, Mutter Konfessor. Renwold wird gegen jedes Land standhalten, selbst gegen die Imperiale Ordnung.«
Kahlan betrachtete ihn mit kalter Wut. »Ich habe mitten unter den Toten in den Mauern von Ebinissia gestanden. Ich habe mit angesehen, welches Gemetzel die Imperiale Ordnung angerichtet hat. Und mir entging nicht, was sie davor mit den Lebenden gemacht haben. Ich bete für die armen Menschen, die unter den Selbsttäuschungen des Rates der Sieben zu leiden haben werden.«
Verärgert gab Kahlan den Wachen ein Handzeichen, sie möchten den Mann aus dem Ratssaal hinausbegleiten. Was mit dem Volk von Mardovia geschehen würde, wenn die Imperiale Ordnung zuerst angriff, wußte sie. Und auch, daß Richard nicht das Leben von Verbündeten aufs Spiel setzen konnte, nur um Renwold zu dessen eigener Sicherheit einzunehmen. Das Land lag zu weit abseits. Sie würde ihm davon abraten, wie auch jeder seiner Generäle.
Mardovia war verloren, und seine Neutralität würde die Imperiale Ordnung anlocken, wie der Geruch von Blut die Wölfe.
Sie war durch die Tore in den mächtigen Mauern von Renwold gegangen. Die Mauern waren beeindruckend. Unbezwingbar waren sie nicht. Die Imperiale Ordnung verfügte über viele Zauberer wie Marlin. Dem Zaubererfeuer würden die Mauern nicht standhalten, trotz der Menschen mit magischen Fähigkeiten, die Renwold verteidigten.
Kahlan versuchte, das Schicksal Mardovias aus ihren Gedanken zu verbannen, und bat die beiden Mitglieder der königlichen Familie von Grennidon vorzutreten.
»Wo steht Grennidon?« knurrte sie.
Walter Cholbane räusperte sich. Seine Schwester war es, die das Wort ergriff.
»Grennidon, ein Land von großer Bedeutung, ein Land mit weiten Feldern, deren Erzeugnisse –«
Kahlan schnitt ihr das Wort ab. »Ich fragte, wo Grennidon steht.«
Leonora rieb sich die Hände und versuchte die Entschlossenheit in Kahlans Augen abzuschätzen.
»Die königliche Familie bietet ihre Kapitulation an, Mutter Konfessor.«
»Danke, Leonora. Wir freuen uns für Euch und Euer Volk. Bitte sorgt dafür, daß meinen Offizieren alles an Information gewährt wird, was sie benötigen, damit Eure Armee unter unser gemeinsames Oberkommando gestellt werden kann.«
»Ja, Mutter Konfessor«, stammelte sie. »Mutter Konfessor, sollen unsere Streitkräfte vor den Mauern von Renwold zur Ader gelassen werden, um diese niederzureißen?«
Grennidon lag im Norden von Mardovia und befand sich in der günstigsten Angriffsposition, Kahlan wußte aber, daß Grennidon keinen Gefallen daran finden würde, einen Handelspartner anzugreifen. Zudem hatten einige aus dem Rat der Sieben in die königliche Familie Cholbane eingeheiratet.
»Nein. Renwold ist eine Stadt der lebenden Toten. Die Geier werden an den Knochen ihrer Bewohner nagen. Bis dahin ist der Handel mit Mardovia untersagt. Wir treiben Handel nur mit denen, die sich uns anschließen.«
»Ja, Mutter Konfessor.«
»Mutter Konfessor«, warf Walter, ihr Bruder, ein, »wir möchten einige der Bedingungen mit Lord Rahl besprechen. Wir haben Wertvolles anzubieten, außerdem möchten wir ihn auf einige wichtige Punkte aufmerksam machen.«
»Die Kapitulation erfolgt bedingungslos. Es gibt nichts zu besprechen. Lord Rahl trug mir auf, Euch daran zu erinnern, daß es keinerlei Verhandlungen geben wird. Entweder entscheidet Ihr Euch für uns oder gegen uns. Also: Wollt Ihr nun Eure Kapitulation vor Unterzeichnung der Urkunden zurückziehen und statt dessen das Schicksal Mardovias teilen?«
Er atmete tief durch. »Nein, Mutter Konfessor.«
»Danke. Sobald Lord Rahl Zeit findet – wie ich hoffe, bald –, wird er sich gerne anhören, was Ihr als geschätztes Mitglied des D'Haranischen Reiches vorzubringen habt. Bedenkt bitte, daß Ihr von nun an Teil D'Haras seid, dessen Herrscher er ist.«