Er schüttelte den Kopf und hielt seine Rippen umklammert. »Bitte«, flehte er, als ihm wieder die Tränen kamen, »tut das nicht. Ich werde Eure Fragen beantworten … aber eigentlich weiß ich gar nichts. Kaiser Jagang besucht mich in meinen Träumen und trägt mir auf, was ich tun soll. Ich kenne den Preis, den er verlangt, wenn man versagt. Ich tue, was man mir aufträgt.« Er hielt inne und schluchzte keuchend. »Ich sollte … hierherkommen und Euch beide töten. Er benutzt Zauberer und Hexenmeisterinnen, die tun müssen, was er verlangt.«
Kahlan stand auf. Marlins Worte hatten sie stutzig gemacht. Er schien fast wieder in seine Rolle als kleiner Junge zurückgefallen zu sein. Irgend etwas fehlte, aber sie kam nicht darauf, was. Oberflächlich ergab die Geschichte einen Sinn – Jagang schickt einen Meuchelmörder los – trotzdem, etwas paßte nicht ins Bild. Sie ging zu dem Tisch mit der Lampe und lehnte sich dagegen. Den Rücken Marlin zugekehrt, rieb sie sich die pochenden Schläfen.
Cara kam vorsichtig näher. »Alles in Ordnung?«
Kahlan nickte. »Der ganze Ärger macht mir nur Kopfschmerzen, das ist alles.«
»Vielleicht könntet Ihr Euch von Lord Rahl einen Kuß geben und sie heilen lassen.«
Kahlan lachte lautlos in sich hinein, als sie Caras besorgtes Stirnrunzeln sah. »Das würde sicher helfen.« Sie fuchtelte mit den Händen, als wollte sie eine Mücke verscheuchen, und versuchte die Zweifel zu vertreiben. »Es ergibt keinen Sinn.«
»Der Traumwandler, der versucht, seinen Feind zu töten, ergibt keinen Sinn?«
»Denkt doch einmal nach.« Sie sah über die Schulter und betrachtete Marlin, der sich die Rippen hielt und auf dem Boden wand. Seine Augen, selbst wenn nicht das Grauen in ihnen stand, und selbst wenn er wie jetzt nicht in ihre Richtung sah, bereiteten ihr aus irgendeinem Grund eine Gänsehaut. Sie drehte sich wieder zu Cara um und senkte die Stimme. »Jagang muß doch gewußt haben, daß ein einzelner Mann, und sei er ein Zauberer, an einer solchen Aufgabe scheitern würde. Richard würde einen Mann erkennen, der die Gabe hat, außerdem gibt es hier zu viele Menschen, die mehr als bereit wären, einen Eindringling zu töten.«
»Trotzdem, mit seiner Gabe hätte er vielleicht eine Chance gehabt. Jagang wäre es egal, wenn der Mann getötet würde. Er hat endlos viele andere, die ihm zu Willen sind.«
Kahlan dachte hektisch nach und versuchte, hinter den quälenden Zweifeln irgendeinen vernünftigen Grund zu finden.
»Selbst wenn es ihm gelänge, einige von ihnen mit seiner Magie zu töten, sind es immer noch zu viele. Eine ganze Armee von Mriswith hat Richard nicht töten können. Dank seiner Gabe, seiner Magie, kann er erkennen, wenn jemand ihn bedroht. Er weiß zwar nicht, wie er seine Gabe beherrschen soll, genau wie Ihr nicht wißt, wie Ihr Marlins kontrollieren könnt, sieht man einmal davon ab, ihm damit Schmerzen zuzufügen, aber zumindest wäre er gewarnt.
Das ergibt einfach keinen Sinn. Jagang ist alles andere als dumm. Es muß mehr dahinterstecken. Er muß sich etwas dabei gedacht haben. Und zwar mehr, als wir im Moment erkennen.«
Cara verschränkte die Hände hinter dem Rücken und holte tief Luft. Sie drehte sich um. »Marlin.« Sein Kopf schnellte hoch, seine Augen wurden aufmerksam. »Wie lautete Jagangs Plan?«
»Er wollte, daß ich Richard Rahl und die Mutter Konfessor umbringe.«
»Und weiter?« fragte Kahlan. »Was sah sein Plan noch vor?«
Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Das weiß ich nicht. Ich schwöre es. Ich habe Euch gesagt, was er mir befohlen hat. Zuerst sollte ich mir eine Soldatenuniform und Waffen beschaffen, damit ich so aussehe, als gehörte ich hierher, und damit ich in seine Nähe gelange. Ich sollte Euch beide umbringen.«
Kahlan wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Wir stellen nicht die richtigen Fragen.«
»Ich wüßte nicht, was da noch kommen sollte. Das Schlimmste hat er bereits zugegeben. Er hat uns sein Ziel verraten. Was sonst könnte sich da noch verbergen?«
»Das weiß ich nicht, aber irgend etwas ist da noch.« Kahlan seufzte resigniert. »Vielleicht kann Richard sich einen Reim darauf machen. Er ist schließlich der Sucher der Wahrheit. Er wird dahinterkommen, was es bedeutet. Richard wird wissen, welche Fragen man stellen muß, um…«
Plötzlich hob Kahlan den Kopf und riß die Augen auf. Sie machte einen großen Schritt auf den Mann am Boden zu.
»Marlin, hat Jagang dir auch aufgetragen, dich bei deiner Ankunft zu erkennen zu geben?«
»Ja. Sobald ich im Palast bin, sollte ich bekanntgeben, weshalb ich hergekommen sei.«
Kahlan versteifte sich. Sie packte Cara am Arm und zog sie zu sich, ohne die Augen von Marlin zu lassen. »Vielleicht sollten wir Richard nichts davon erzählen. Es ist zu gefährlich.«
»Ich bin im Besitz von Marlins Kraft. Er ist hilflos.«
Kahlans Blick zuckte umher. Sie bekam kaum mit, was Cara sagte. »Wir müssen ihn an einen sicheren Ort schaffen. Das Zimmer genügt nicht.« Sie tickte sich mit ihrem Daumennagel an die Zähne.
Cara runzelte die Stirn. »Dieses Zimmer ist so sicher wie jeder andere Ort auch. Er kann nicht entkommen. Er ist hier drinnen sicher aufgehoben.«
Kahlan nahm den Daumen aus dem Mund und starrte auf den Mann, der auf dem Fußboden hin- und herwippte.
»Nein. Wir müssen einen sichereren Ort finden. Ich glaube, wir haben einen großen Fehler gemacht. Und jetzt stecken wir in ernsthaften Schwierigkeiten.«
3
»Erlaubt einfach, daß ich ihn töte«, sagte Cara. »Ich brauche ihn bloß mit dem Strafer an der richtigen Stelle zu berühren, und sein Herz bleibt stehen. Er wird nicht leiden.«
Zum ersten Mal zog Kahlan Caras oft wiederholte Bitte ernsthaft in Erwägung. Sie war zwar bereits früher schon gezwungen gewesen, Menschen zu töten, und hatte Hinrichtungen angeordnet, trotzdem gab sie der Regung des Augenblicks nicht nach. Sie mußte diese Sache noch durchdenken. Schließlich konnte dies Jagangs eigentlicher Plan sein, obwohl sie sich nicht recht vorstellen konnte, was er davon hätte. Aber hinter seinen Anordnungen mußten irgendwelche Machenschaften stecken. Er war nicht dumm. Er wußte, daß man Marlin zumindest gefangennehmen würde.
»Nein«, antwortete Kahlan. »Noch wissen wir nicht genug. Vielleicht ist das das Falscheste, was wir überhaupt tun können. Wir dürfen nichts unternehmen, bis wir uns die Sache gründlich überlegt haben. Bereits jetzt sind wir in einen Sumpf hineinspaziert, ohne auch nur einen Augenblick daran zu denken, wo wir hintreten.«
Cara nahm die altbekannte Weigerung mit einem Seufzer auf. »Was wollt Ihr also tun?«
»Ich bin mir noch nicht sicher. Jagang muß gewußt haben, daß man ihn zumindest festnehmen würde, und dennoch hat er es befohlen. Warum? Das müssen wir herausfinden. Bis dahin ist es wichtig, ihn an einem sicheren Ort zu verwahren, wo er weder fliehen noch jemandem etwas antun kann.«
»Mutter Konfessor«, meinte Cara mit übertriebener Geduld, »er kann nicht entkommen. Ich habe die Kontrolle über seine Kraft.
Glaubt mir, ich weiß, wie man einen Menschen beherrscht, wenn ich die Herrschaft über seine Magie besitze. Er ist nicht in der Lage, irgend etwas gegen meinen Willen zu tun. Hier, ich will es Euch beweisen.«
Sie riß die Tür auf. Überraschte Soldaten griffen zu den Waffen, während sie das Zimmer stumm musterten. Im zusätzlichen Licht von jenseits der Tür erkannte Kahlan das wahre Ausmaß des Chaos. Eine Gischt aus Blut war quer über das Regal gespritzt. Blut durchtränkte auch den dunkelroten Teppich. Der Fleck reichte bis weit über die Grenze des goldenen Zierstreifens. Marlins Gesicht bot einen blutigen Anblick. Auf der Seite seiner beigefarbenen Uniformjacke befand sich ein dunkler, feuchter Fleck.